252. Der Wolkenborst.

[179] In der Flur von Trendelburg befindet sich ein tiefer trichterförmiger Erdfall, der Wolkenborst genannt, welcher bei einer Tiefe von 150 Fuß an seinem oberen Rande einen Durchmesser von 360 Fuß hat. Ein kleiner stehender See, dessen Tiefe auf 60, dessen oberer Durchmesser auf 90 Fuß geschätzt wird, füllt ihn zum Theil aus. Ueber die Entstehung des Wolkenborstes gehen verschiedene Sagen in der Gegend um. Eine reiche Frau in Trendelburg stand in dem Rufe, daß sie die Gaben Gottes, Korn, Brod etc. geringschätze und zu lästerlichen Dingen mißbrauche. Man sagte ihr nach, daß sie aus Brod- und Semmelrinde ihrem Kinde Schuhe und allerhand Spielzeug verfertige. Als nun eines Tages ein schweres Gewitter über Trendelburg aufzog und trotz der inbrünstigen Gebete der erschreckten Einwohner weder wanken noch weichen wollte, kam man auf den Gedanken, daß Jemand in der Stadt sich schwer versündigt haben müsse, und daß der Himmel ein Opfer verlange. Man kam demnach überein, durch das Loos zu entscheiden, wer hinaus auf das offene Feld gehen und den Blitzen sich preisgeben solle. Und siehe das Loos traf die reiche Frau, welche das Brod mißbraucht hatte. Nichts half ihr Sträuben; man führte sie hinaus, und kaum stand sie allein, als eine Wetterwolke sich zusammenzog, auf sie herabschoß, sie tödtete und ein[179] tiefes Loch in den Boden riß, welches sich nicht wieder ausfüllte. Man zeigt es noch in der Nähe von Trendelburg unter dem Namen Wolkenborst1.

Mündlich.

1

M. vgl. oben Nr. 56.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLXXIX179-CLXXX180.
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