278. Wohin die Kirche gebaut werden soll.

[199] Als die heilige Elisabeth zu dem Entschlusse gekommen, in Marburg eine Kirche zu bauen, war sie lange über das Wohin? im Zweifel. Zuerst hatte sie einen hohen Berg über der Stadt, der deshalb auch noch heutigen Tages die »Kirchspitze« heißt, und von dessen Gipfel man weithin die schöne Gegend überschauen kann, dazu ausersehen. Doch gab sie diesen Plan bald wieder auf und da sich ihr in oder nahe bei Marburg eben kein geschickter Platz darbot, so ward sie endlich mit sich eins, dem höchsten Herrn die Wahl selbst zu überlassen. Sie wollte die Kirchspitze ersteigen, einen großen Stein von oben hinab rollen und dahin die Kirche bauen lassen, wo der Stein liegen bleiben würde. Und so geschah's. Der Stein kollerte schnell und immer schneller in einem großen Bogen zu Thal, dem Ufer der Lahn zu, bis er in einem Sumpfe[199] stecken blieb. Elisabeth erlebte zwar den Beginn des Baues nicht mehr, doch wurde die Kirche nachmals an dieselbe Stelle hingesetzt, wo der Stein lag. Zahllose Baumstämme mußten zuvor in den Moorgrund eingerammt werden, ehe man die Gewölbe der Kirche darüber hinlegen konnte.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXCIX199-CC200.
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