289. Otto der Quade.

[207] Der unerbittliche Tod hatte in Otto dem Schützen seinem hochbetagten Vater eine kräftige Stütze und zugleich seinen einzigen[207] Leibeserben und Nachfolger geraubt, und der hessische Fürstenstamm zählte keinen Sprößling mehr, der ihm die schwere Bürde der Regierung hätte tragen helfen können. Hermann, sein Bruder, der unvermählt zu Grebenstein Hof hielt, war gleichfalls schon bejahrt und der jüngere Hermann, sein Neffe, geistlich geworden. Da fiel sein Auge auf den Tochtersohn, Otto von Braunschweig, einen wilden, ungeduldigen Brausekopf, den sie den Quaden oder tobenden Hund nannten, und der wenig Freunde zählte unter den wackern Rittern des Hessenlandes. – Otto glaubte auch der Nachfolge gewiß zu sein und wünschte den Augenblick herbei, wo der alte Landgraf die Augen zuthun würde.


Einmal war er bei Felsberg auf der Jagd und der hessischen Ritter einige mit ihm. Als sie nun rasteten, schüttelte er seine Locken und sprach: »Wären zwei Augen todt, so käme ich aus aller meiner Noth und wäre ein reicher Fürst.« Das hörten Simon von Homberg und Eckhard von Röhrenfurth, die bei ihm standen und sie entgegneten trotzig und offen: »Herr da behüt' Euch der Teufel vor, wir wissen nähere Erben zum Hessenlande, denn Euch!« und warfen sich auf ihre Rosse und hinterbrachten's dem Landgrafen. »Gnädiger Herr, was wollt Ihr machen, daß Ihr Eurem Enkel das Land zuwendet, der sich Eures Todes freut!« sprachen sie. »Ist doch Eures Bruders leiblicher Sohn, Landgraf Hermann, noch am Leben, der, ob er gleich hat geistlich werden wollen, doch die Weihen noch nicht empfangen hat; den rufet uns zurück und wir wollen ihn, als getreue Hessen, zu unserm Herrn annehmen.« – Als nun Landgraf Heinrich hörte, wie sein Enkel solch bösen Wunsch gethan, ward er zornig und sprach: »So wahr mir Gott und St. Elisabeth helfe! das Wort soll meinem Enkel das Land schaden.« Und er sandte nach Magdeburg, wo Landgraf Hermann sich damals aufhielt, und ließ ihn abfordern, daß er[208] die Mitregierung übernehme. Also hatten die getreuen Hessen ihrem Lande wieder einen rechten Erben erworben.

Spangenb. Adelssp. II, 123. – Winkelmann, VI, 332, u.A.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCVII207-CCIX209.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen