309. Der Martinswein in Hanau.

[227] Während der Minderjährigkeit des Grafen Ulrich V. von Hanau hatte der Erzbischof Johann von Mainz, als dessen Vormund,[227] die Städte Hanau und Babenhausen mit mainzischen Söldnern besetzt, und weigerte sich nachmals unter nichtigen Vorwänden beide Städte herauszugeben. Als aber im Jahre 1419 Vormund und Mündel zugleich starben und des Letzteren Nachfolger, Graf Reinhard III., vergeblich die Zurückziehung der mainzischen Besatzungen verlangte, entschlossen sich die Bürger von Hanau, diese mit Gewalt zu vertreiben und so dem Grafen zu seinem Rechte zu verhelfen. Die mainzischen Beamten in Hanau erhielten jedoch Kunde von diesem Vorhaben und ließen insgeheim Unterstützungstruppen von Mainz kommen, welche die Weisung erhielten, nachdem sie in Steinheim angekommen, hier zu verweilen, bis sie das gewöhnliche 9-Uhr-Läuten in Hanau hörten; auf dies Zeichen sollten sie anrücken und in die Stadt eingelassen werden. Die Bürger von Hanau waren aber sehr auf ihrer Hut; sie erhielten sowohl von dem Anschlage der mainzischen Beamten, als von der Ankunft der Truppen in Steinheim Kenntniß und ließen dem Grafen von Allem Nachricht geben, mit der Aufforderung, sich auf diesen Abend – es war just Martinsabend – ebenfalls bereit zu halten. Das 9-Uhr-Läuten wurde unterlassen, um die mainzischen Söldner in Steinheim irre zu führen; die ganze Besatzung mit den Beamten des Erzstifts wurden zur Stadt hinausgetrieben und in derselben Nacht der Graf Reinhard mit Jubel empfangen und bis in das Schloß begleitet.


Der Graf belohnte nachmals die Treue seiner Bürger mit gebührendem Danke und verordnete, daß zur ewigen Erinnerung an diese Begebenheit alljährlich am Martinsabend jedem Bürger ein Maß Wein aus dem Schloßkeller gereicht werden sollte. Der Martinswein wurde noch im vorigen Jahrhundert an die Bürger der Altstadt ausgetheilt. Die Neustadt ist erst lange nach jenem Ereignisse angelegt worden und hatte keinen Anspruch auf den[228] Wein. Auch unterblieb jedesmal am Martinsabend das 9-Uhr-Läuten.

Hanau'sches Magazin, 1778 S. 309 und 1781 S. 426.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXVII227-CCXXIX229.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen