335. Johannisfest.

[253] Der Tag Johannes des Täufers wird fast überall in Nieder- und Oberhessen noch in eigener sinniger Weise gefeiert. Die Magd nämlich, welche früh Morgens zuerst zum Brunnen geht, setzt diesem einen großen bunten Kranz von allerlei Feld- und Wiesenblumen auf.1 Oft sind es auch mehrere Kränze, mit übereinander greifenden Spangen künstlich zur Krone gestaltet. In Treisa ist es eine kleine steinerne Statue, auf dem obersten Brunnen, das »Johannesmännchen« genannt, welche man an diesem Tage bekränzt.

Am festlichsten begeht aber die Eschweger Schuljugend den Johannestag. Seit undenklichen Zeiten kommen die Knaben am nächsten Sonnabend vor diesem Tage in ihren Schulzimmern früh Morgens zusammen, mit Barten und kleinen Aexten versehen, und ziehen von da unter Begleitung ihrer Lehrer und der Bürger, denen dieser Zug besonders Vergnügen macht, nach dem Schülerberge, einem hinter Grebendorf gelegenen Walde. Nachdem sie hier Maien gehauen haben, soviel sie tragen können, sammeln sich die im Walde zerstreut unter lautem Jubel hausenden Knaben unter der Linde zu Grebendorf, wo einige Lieder gesungen werden, und ziehen dann mit ihren Büschen gleich einem wandernden Walde, langsam und unter fröhlichen Gesängen nach Eschwege zurück. Die Maien werden auf das Werdchen – eine von zwei Armen der Werra umschlossene Wiese – gebracht und damit ein großer Kreis umsteckt, welcher als Tanzplatz dienen soll. Am folgenden Sonntag[253] versammelt sich dann die ganze Schuljugend, festlich gekleidet, in den Schulzimmern, empfangen ein Jeder einen Wecke und ziehen von da in schöner Ordnung nach dem Werdchen, voran die Musik und dann abwechselnd Knaben und Mädchen. Dem Tanze auf dem Werdchen geht Gesang voran, wodurch die Freude eingeleitet wird. Zur Erfrischung wird auf Kosten der Stadt den Kindern Bier gereicht. Wenn das Wetter dem Tage hold ist, so wohnen die meisten Einwohner von Eschwege dem fröhlichen Feste bei; gewöhnlich wird auch noch den folgenden Montag getanzt.2

Mündlich.

1

So z.B. in Wolfhagen.

2

Wie bei den meisten noch übrig gebliebenen Volksfesten die Neuzeit störend eingegriffen, so ist auch hier der Einfluß nicht zu verkennen, welchen die Schule sich angeeignet hat.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCLIII253-CCLIV254.
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