88. Das Mäumkenloch.

[55] Auf der Paschenburg zeigt man eine tiefe Höhle, das »Mäumkenloch« genannt, in welcher vor Zeiten Zwerge gewohnt haben. Noch zur Zeit, als auf der darunter liegenden Schaumburg Amtleute ihren Sitz hatten, trieben sie daselbst ihr Wesen. Einer[55] dieser Beamten ritt häufig mit seinem Diener aus, ohne daß seine Frau erfahren konnte, wohin. Sie argwöhnte eine Untreue ihres Mannes und gab sich Mühe, derselben auf die Spur zu kommen. Der Diener verweigerte beharrlich jede Auskunft, doch ließ er sich endlich bereden, bei dem nächsten Ritt Linsen auf den Weg zu streuen. Die Frau folgte dieser Spur und gelangte über Rosenthal den Berg hinauf bis zum Mäumkenloch. Hier stand der Diener mit dem Pferde und deutete in die Höhle. Die Frau trat hinein und fand in einem schönen Saale ihren Mann bei dem Mäumken1 sitzen. Sie führte ihn heraus und er mußte ihr geloben, fortan nicht mehr zum Mäumkenloch zu reiten.

Bald nachher erschien ein Zwerg vorn auf der Spitze des Berges und rief nach der Schaumburg hinunter: »Die Mäume ist todt! Die Mäume ist todt!«

Von dieser Zeit an wurde das Bier – der Broihahn – in Oldendorf schlecht. Es führte nämlich vom Mäumkenloch ein unterirdischer Gang ins Brauhaus zu Oldendorf und die Zwerge brauten daselbst einen schönen Broihahn. Seit jenem Vorfall hat man aber von den Zwergen nichts mehr gehört.

Mündlich.

1

Mäume = Mutter, Mäumken = kleines Mütterchen, Zwergmutter. – Männekenloch ist eine falsche Schreibart. Um einen Zwerg zu bezeichnen, kennt man im Schaumburgischen die Ausdrücke »Twerg« oder »lütke Keerl«; Männeken sagt aber Niemand.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. LV55-LVI56.
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