89. Die Kobolde im Steckelberg.

[56] Auf dem Steckelberge unweit Schlüchtern, auf welchem im Jahr 1488 Ulrich von Hutten geboren wurde, lebte einst ein tapferer junger Ritter, der gern den Unglücklichen beistand und die[56] Wahrheit überall in Schutz nahm. Ihm waren zahllose Weinfässer als Erbe zugefallen, und der Wein darin hatte die Kraft, den zu verjüngen, welcher ihn trank. Doch der Jüngling sprach: »Was nützt mir jetzt der Wein? Wenn ich dereinst alt bin, soll er mir munden und mir die Jugend wieder bringen.« Auch hatte er viel Geld, aber er sprach zu sich selbst: »Das Geld brauche ich jetzt nicht, es mag da liegen bis ich ein Weib habe.« So wohnten damals auch drei schöne Mädchen auf der Steckelburg, die liebten alle drei den Jüngling und sprachen: »Wenn der Jüngling Eine von uns erwählt, sollen auch die andern Beiden bei ihm bleiben als Dienerinnen seines Hauses.« Doch der junge Ritter dachte: »Zum Heirathen habe ich noch lange Zeit.«

Und er reisete thatenkühn durch allerlei Länder, aber Bösewichter verfolgten ihn und lauerten ihm auf, und er kam um's Leben, ehe er seine Heimath wiedersah. Da traten die Kobolde zusammen und sagten: »Den Wein und das Geld des Steckelbergs nehmen wir zu uns; Niemand kann mehr das Geld recht anwenden.« Und die Kisten und Kasten voll Gold und Silber rollten hinab in die Tiefe des Steckelbergs, wo auch der Wein »in seiner eignen Haut« liegt, von einem schwarzen Hunde mit glühenden Augen bewacht. – Oft kamen geldgierige Leute an den Berg und gruben heimlich nach; aber sie fanden nur Katzengold und Katzensilber.

Die drei Mädchen starben in der Blüthe ihrer Jahre vor Liebeskummer. Treu Liebende können sie in hellen Mondnächten sehen, wie sie am Ufer einer Kinzigquelle, unten am Fuße des Steckelberges, auf und nieder wandeln und unter leisem Gesange ihr Brautgewand weben.

Mündlich; mitg. v.H. Dr. Bernstein.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. LVI56-LVII57.
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