Wasserfluth

[114] Manche Thrän' aus meinen Augen

Ist gefallen in den Schnee;

Seine kalten Flocken saugen

Durstig ein das heiße Weh.


Wann die Gräser sprossen wollen,

Weht daher ein lauer Wind,

Und das Eis zerspringt in Schollen,

Und der weiche Schnee zerrinnt.


Schnee, du weißt von meinem Sehnen:

Sag' mir, wohin geht dein Lauf?

Folge nach nur meinen Thränen,

Nimmt dich bald das Bächlein auf.


Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,

Muntre Straßen ein und aus:

Fühlst du meine Thränen glühen,

Da ist meiner Liebsten Haus.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 114-115.
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