Der Trinker von Gottes und Rechts wegen

[105] Romanze.


Ich hatt' in meiner Mutter Leib

Gewohnt ein halbes Jahr,

Da sprang zu hoch das junge Weib,

Dacht' nicht an die Gefahr.[105]

Auf einem Weinberg tanzte sie

Bei einem Winzerfest;

Das Röcklein flog bis an die Knie',

Das Mieder saß nicht fest.


Da roch ich was von Rebensaft,

Da hört' ich Gläserklang,

Und flugs heraus aus meiner Haft

Sprang ich in wildem Drang.

Sie legten mich auf Rebenlaub,

Sie sprengten mich mit Wein,

Ich blieb nicht blind und stumm und taub,

Und sog die Tropfen ein.


Ein Schenkwirth war mein Herr Papa,

Goß immer ein und aus.

Das Wasser stand dem Weine nah

Allzeit in seinem Haus.

Und als der Pfaff nach Wasser rief',

Daß er mich taufte drein,

Mein Vater sich in Eil' verlief

Und brachte blanken Wein.


Damit begoß der heil'ge Mann

Mein Haupt und mein Gesicht,

Und sprach dazu den Segen dann,

Ich schrie und muckte nicht.

In sel'gem Rausche lag ich da

Den ganzen lieben Tag;

Sie glaubten schon mein Ende nah,

Da ward ich jauchzend wach.


Und als ich lernte selber stehn,

Trieb ich's, wie mein Papa:

Sollt' ich zum Wasserfasse gehn,

Gar oft ich mich versah,

Und schöpfte nebenbei heraus

Und nebenbei hinein;

Ich war der einz'ge Gast im Haus,

Der zechte reinen Wein.
[106]

Und nun, ihr Leute, sagt mir an,

Wie sollt' es anders sein,

Als daß mein Mund nichts trinken kann,

Als guten reinen Wein?

Er ist's, der vor der Zeit mich rief

In diese Welt heraus;

Wär' er nicht mehr, fürwahr, ich lief'

Auch vor der Zeit hinaus.


Er ist es auch, der mich hernach

Zum Christen hat gemacht,

Das hab' ich mir so manchen Tag.

Fein christlich überdacht.

Und weil's muhamedanisch ist,

Zu trinken keinen Wein,

Will ich beim Wein ein guter Christ

Trotz Türk' und Teufel sein!

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 105-107.
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