Capitel 20.
Von der Bosheit des Amtshaubtmanns und der alten Lisen, item vom Zeugenverhör.

[144] Am andern Morgen waren meine Haare so bis dato grau mengliret gewest, ganz weiß wie ein Schnee, wiewohlen mich der Herre sonsten wunderlich gesegnet. Denn umb Tagesanbruch kam eine Nachtigall in den Fliederbusch vor mein Fenster und sange also lieblich, daß ich gleich gläubte sie sei ein guter Engel gewest. Denn nachdeme ich sie eine Zeitlang angehöret, kunnte ich mit einem Mal wieder beten, was ich seit dem Sonntag nit mehr können. Und da nun der Geist unsers Herrn Jesu Christi anhub in meinen Herzen zu schreien: »Abba lieber Vater!«1 nahm ich daraus eine gute Zuversicht: Gott wölle mich sein elendig Kind wieder zu Gnaden annehmen, und nachdem ich ihm für so viel Barmherzigkeit gedanket, gewann ich nach langer Zeit wieder eine so erquickliche Ruhe, daß die liebe Sonne schon hoch am Himmel stund, als ich aufwachte.

Und dieweil mir noch also zuversichtlich umbs Herze war, richtete ich mich im Bette empor und sang mit heller Stimmen: »Verzage nicht du Häuflein klein!« worauf Meister Seep in die Kammer trat, vermeinende ich hätte ihn gerufen. Blieb aber andächtig stehen, bis ich fertig war, und nachdem er sich anfänglich über meine schloweißen Haare verwundert, verzählete er, daß es schon bei sieben Uhren wär, item wäre meine halbe Gemein schon allhier bei ihme versammlet, um heute Zeugniß abzulegen, worunter auch mein Ackersknecht Claus Neels. Als ich solches vernommen, mußte der Krüger selbigen alsofort aufs Schloß schicken, umb zu fragen, wann das Verhör anhübe, worauf er die Botschaft brachte: daß man es[144] nit wisse, inmassen Dn. Consul schon heute gen Mellenthin zu dem alten Nienkerken gefahren, aber noch nicht wieder zurücke wär. Diese Botschaft gab mir wieder einen guten Muth und fragete ich den Burschen: ob er auch kommen wär, umb gegen mein arm Kind zu zeugen? Darauf sagete er: nein, ich weiß Nichtes von ihr denn Gutes, und wollte ich den Kerls wohl was brauchen, aber –

Solche Rede verwunderte mich und drang ich fast heftig in ihn mir sein Herze zu offenbaren. Aber er hub an zu weinen und sagte letzlich: er wisse nichtes. Ach er wußte nur zu viel und hätte jetzunder mein arm. Kind retten können, so er gewollt. Aber aus Furcht vor der Marter schwieg er stille, wie er nachgehends bekannte. Und will ich hier gleich einrücken, was ihm diesen Morgen geariviret:

Er gehet, umb allein mit seiner Braut zu sein, wel che ihm das Geleit geben (sie ist Steffen seine Tochter von Zempin, verstehe aber nicht den Bauern, sondern den lahmen Gicht-Steffen seine) heute in guter Frühzeit von Haus, und gelanget schon gegen 5 Uhren in Pudgla an, wo er aber noch Niemand im Kruge fürfindet, denn die alte Lise Kolken, welche aber auch alsobald auf das Schloß wackelt. Und dieweil seine Braut wieder heimgekehret, wird ihm die Zeit lang und er steiget über den Krügerzaun in den Schloßgarten, allwo er hinter eim Buschwerk sich auf den Bauch wirft umb zu schlafen. Währet aber nit lange, so kömmt der Amtshaubtmann mit der alten Lisen an und nachdem sie sich überall umbgeschauet und Niemand befunden, gehen sie in eine Laube dicht vor ihm, worauf sie ein solch Gespräch geführet:

Ille. Jetzunder wären sie beide allein, was sie nun von ihm wölle?

Illa. Sie käme, umb sich das Geld zu hohlen vor die Zauberei, so sie im Dorf angerichtet.

Ille. Was ihm alle diese Zauberei genützet? Mein Töchterlein[145] ließe sich nicht schröcken, sondern würde immer trutziger, und gläube er nicht, daß er sie jemalen zu seinem Willen bekäm.

Illa. Sölle sich nur Zeit lassen, wenn es erst zur Angstbank ginge, würde ihr schon das Brusen2 ankommen.

Ille. Das wäre möglich aber ehe bekäme sie auch kein Geld?

Illa. Was? Ob sie ihm vor sein Vieh auch was brauchen sölle?

Ille. Ja, wenn ihr der podex früre, möge sies thun. Im Uebrigen gläube er, daß sie ihm selbsten schon was gebrauchet, angesehen er eine Brunst zu der Pfaffentochter hätte, wie er vormals nie verspüret

Illa. (lachende) Dasselbige hätt er vor 30 Jahren gesagt, als er sich allererst an sie gemacht.

Ille. Pfui du alte Vettel, hilf mir nicht darauf, sondern siehe nur zu, daß du drei Zeugen bekömmst wie ich dir letzlich gesaget, denn sonsten, sorge ich, recken sie dir doch noch die alten lahmen Lenden.

Illa. Sie hätte die drei Zeugen und verliesse sich im Uebrigen auf ihn. Denn wenn sie gerecket würde, würde sie Allens offenbaren, was sie wüßte.

Ille. Sie sölle ihr großes Maul halten und zum Teufel gehen.

Illa. Ja, aber zuerst müßte sie ihr Geld haben.

Ille. Sie kriegte kein Geld nicht ehbevor er mein Töchterlein zu seinem Willen bracht.

Illa. So möge er ihr doch allererst ihr Ferkelken bezahlen, so sie sich selbsten umb nicht in Mißgunst zu kommen zu Tode gehext.

Ille. Sie könne sich wieder eines aussuchen, wenn seine Schweine trieben und sölle nur sagensie hätt es ihm bezahlt. Hiemit, sagte mein Ackersknecht, wären auch schon die Schweine getrieben und eines in den Garten gelaufen,[146] da die Pforte aufgestanden, und weil der Säuhirt ihm gefolget, wären sie beide auseinander gangen, doch hätte die Hexe noch für sich gemurmelt: Nu help Düwel help, datt ick – aber ein Mehreres hätte er nicht verstanden.

Solches Alles verschwieg mir aber der furchtsame Knabe wie oben bemeldet und sagete nur mit Thränen: er wisse Nichts. Gläubete ihm also und satzte mich vor das Fenster umb auszuschauen, wenn Dn. Consul wieder heimkehren würde. Und als ich solches gesehen, hub ich mich alsogleich empor und ging auf das Schloß, wo mir der Büttel auch schon mit meim Töchterlein, so er bringen sollte, vor dem Gerichtszimmer begegnete. Ach, sie sahe so froh aus, wie ich sie lange nit gesehen und lächelte mich an mit ihrem lieblichen Mündlein; da sie aber mein schloweiß Haar erblickte, thät sie einen Schrei, also daß Dn. Consul das Gerichtszimmer offen schlug und heraus rief: »ha, ha, du merkest wohl schon, welche Zeitung ich dir bringe, komm nur hereindu verstockt Teufelskind!« worauf wir zu ihm in das Zimmer traten und er anhube seine Worte an mich zu richten, nachdem er sich mit dem Amtshaubtmann, so bei ihm war, niedergesetzet.

Als er mich gestern Abend vor einen Todten hätte zu Meister Seep tragen lassen, (sagte er) und dies mein verstockt Kind, wieder wär ins Leben bracht, hätt er sie abereins aus allen Kräften beschworen nicht länger dem lebendigen Gott zu lügen sondern die Wahrheit zu bekennen, worauf sie sich aber fast ungeberdig gestellet, die Hände gerungen, geweint und geschluchzet und letzlich zur Antwort geben: daß der junge Nobilis solches unmüglich könne gesaget haben, besondern sein Vater hätte dieses geschrieben, welcher ihr abhold wäre, wie sie wohl gemerket, als der schwedische König in Coserow gewest wäre. Diese ihre Sag hätte er, Dn. Consul, zwar gleich in Zweifel gezogen, wäre aber als ein gerechter Richter heute Morgen[147] zu guter Zeit mit dem scriba nacher Mellenthin gefahren, umb den Junker zu verhören.

Und könne ich nun selbsten abnehmen, welch erschröckliche Bosheit in meim Kind stecke. Denn der alte Ritter hätte ihn an das Bett seines Sohnes geführet, so noch für Aerger krank läge, und selbiger hätte Allens, was der Vater geschrieben, bestättiget, und die schändliche Unholdin (wie er mein Kind genennet) verfluchet, daß sie ihm wölle seine adliche Ehre rauben. »Was sagstu nun« fuhr er fort, »wiltu noch deine große Uebelthat leugnen. Sieh hier das Protokollum so der Junker manu propria unterschrieben?« Aber die elendige Magd war hierzwischen schon wieder umbgefallen, und der Büttel hatte solches nicht alsobald gesehen, als er nach der Küchen lief, und mit einem brennenden Schwefelfaden zurücke kam, den er ihr unter der Nasen halten wollte.

Aber ich wehrete es ihm und sprützete ihr einen Topf mit Wasser über das Gesicht, so daß sie auch wieder die Augen aufschlug und sich an einen Tisch in die Höhe richtete. Stand aber jetzo eine ganze Zeit, ohne ein Wörtlein zu sagen, noch meines Jammers zu achten, bis sie anhub freundlich zu lächeln und also zu sprechen: Sie sähe wohl, wie wahr der heilige Geist gesaget, verflucht ist, der sich auf Menschen verläßt3 und hätte die Untreue, so der Junker an ihr bewiesen, gewißlich ihr armes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieser Nacht einen Traum eingegeben, so. sie erzählen wölle, nicht umb den Richter zu persuadiren, sondern umb das weiße Haubt ihres armen Vaters wieder aufzurichten.

Nachdeme ich die ganze Nacht gesessen und gewachet (sagete sie) hörte ich gegen den Morgen eine Nachtigall gar lieblich in dem Schloßgarten singen, worauf mir die Augen zufielen und ich entschlief. Alsbald kam es mir für,[148] als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Coserow ruhig auf meiner Bleichen. Da sprang der Amtshaubtmann über den Zaun, wandelte sich aber in einen Wulf umb, der mich in sein Maul nahm, und mit mir auf den Streckelberg zulief, allwo er sein Nest hatte. Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und sahe meinen Tod für Augen, als er mich vor sein Nest niedersetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag. Aber siehe, alsobald reckete sich eine Hand, wie eines Mannes Hand durch das Gebüsche, und ergriff die Wülfe, einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerscheiterte sie also, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn ein grau Pulver. Daraufnahm die Hand mich selbsten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen. –

Lieber, wie ward mir anjetzo zu Muthe, als ich dies Allens und auch von der lieben Nachtigallen hörete, woran du nunmehro auch nicht mehr zweifeln wirst, daß sie Gottes Dienerin gewest. Ich umbhalsete mein Töchterlein sogleich mit tausend Thränen und verzählete ihr, wies mir gangen, und gewunnen wir Beide einen solchen Muth und Zuversicht, als wir noch nie gehabt, so daß sich Dn. Consul verwunderte, wie es den Anschein hatte, der Amtshaubtmann aber blaß wurde wie ein Laken, als sie anjetzo auf die beiden Herrschaften hinzutrat und sprach: »jetzo machet mit mir, als euch geliebet, das Lämmlein erschröcket nicht, denn es stehet in der Hand des guten Hirten!« Hierzwischen trat nun auch Dn. Camerarius mit dem Scriba ein, entsatzte sich aber, als er ungefährlich mit dem Rockzipf meim Töchterlein an die Schürzen stieß und stund und schrapete, an seim Rock, als ein Weib, so Fische schrapet. Endiglich, nachdem er zuvor zu dreien Malen ausgespieen, redete er das Gerichte an: ob sie nicht anheben wöllten, den Zeugeneid abzunehmen, angesehen alles Volk schon längstens im Schloß und Kruge versammblet wäre. Solches ward angenehm aufgenommen, und erhielt der Büttel Befehl, mein Kind so lange in seinem[149] Zimmer aufzubewahren, bis das Gericht sie wieder rufen würd. Ging also mit ihr; hatten aber viel Plage von dem dreusten Schalk, inmaßen er nicht blöde war, den Arm meinem Töchterlein umb die Schulter zu legen, und in mea praesentia4 von ihr ein Küßeken zu verlangen. Aber ehbevor ich noch kunnte zu Worte kommen, riß sie sich loß und rief: ei du böser Schalk, soll ichs dem Gerichte klagen, hastu vergessen, was du schon aufgeladen? worauf er aber lachend zur Antwort gab: »kiek, kiek, wo oet5« und nunmehro fortfuhr, sie zu persuadiren, daß sie sich sölle williger finden lassen, und ihren eignen Vortheil nicht vergessen. Denn er hab es eben so gut mit ihr im Sinn, als sein Herr, sie möge es gläuben oder nicht, und was er weiters skandalisirte und ich überhöret hab. Denn ich nahm mein Töchterlein auf meinen Schooß und legte mein Haubt in ihren Nacken und so saßen wir stille und weineten.

1

Galat. 4, 6.

2

Niedriger, plattdeutscher Ausdruck.

3

Jeremias 17, 5.

4

In meiner Gegenwart.

5

Sieh, sieh, wie spröde!

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 144-151.
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