Capitel 28.
Wie mein Töchterlein endlich durch des allbarmherzigen, ach des allbarmherzigen Gottes Hülf gerettet wird.

[220] Hierzwischen war ich aber, von wegen meinem Unglauben, womit mich Satanas wiederumb versuchte, also schwach worden, daß ich meinen Rücken an den Büttel seine Kniee stützen mußte, und nicht vermeinete, ich würde das Ende bis an den Berg mehr ableben. Denn nunmehro war auch die letzte Hoffnung, so ich mir gemachet, verschwunden, und ich sahe, daß meim unschuldigen Lämmelein auch also umb ihr Herze war. Hierzu kam, daß Ehre Martinus sie schalt, wie Dn. Consul gethan, und sagte: er sähe anjetzo selbsten, daß alle ihre Schwüre, Lügen gewest und sie in Wahrheit Wetter machen könne. Hierauf gab sie zur Antwort und zwar lächelnde, obwohl sie so weiß, wie ein Laken anzusehen war: »Ei Herr Päte, gläubet Er denn in Wahrheit, daß unser Herr Gott nicht mehr das Wetter macht? Seind denn Gewitter umb diese Jahreszeit also selten, daß sie der böse Feind nur machen kann? Nein, ich habe den Taufbund, so Er einstmals für mich geschlossen nicht gebrochen und will ihn nimmer brechen, so wahr mir Gott gnädig sei in mei nem letzten Stündlein so nunmehro schon geschlagen!« Aber Ehre Martinus schüttelte ungläubig mit seinem Kopf und sagte: Der Teufel muß dir viel versprochen haben, daß du bis an dein Ende also verstockt bleibest, und den Herren deinen Gott lästerst, aber harre! du wirst bald mit Schrecken gewahr werden, daß er ein Vater der Lügen ist, Joh. am achten. Als er solches und ein Mehres gesaget kamen wir in Uekeritze an, wo alles Volk Groß und Klein wieder aus den Thüren stürzete, auch Jakob Schwarten sein Weib, so in der letzten Nacht, wie wir vernahmen, nur ihre Niederkunft gehalten. Und[220] kam ihr Kerl ihr vergeblich nachgerannt umb sie aufzuhalten. Sie sagte: er wäre ein Narr, das wäre schon so lange her, und sölle sie den Berg auf ihren Knieen hinaufkriechen, so wölle sie die Priesterhexe doch auch brennen sehen. Hätte sich lange darauf gefreuet, und wenn er sie nicht fahren ließe, wölle sie ihme Eins auf sein Maul geben, etc.

Also gebehrdete sich das grobe und unflätige Volk umb unsern Wagen und da sie nicht wußten, was unterwegen geariviret, liefen sie so nahe gegen uns, daß das Wagenrad einem Jungen über seinen Fuß ging, kamen auch, und insondereit die Mädkens wiederumb an, und befühleten meinem Töchterlein ihre Kleider, wollten ihre Schuhe und Strümpfe aber auch sehen und frageten wie ihr zu Muthe wär, item ein Kerl: ob sie eins trinken wölle, und was sie sonsten mehr für Narrentheidinge trieben, so daß sie letzlich, und als Etzliche kamen und sie um ihren Kranz, und die güldene Kette baten, ihr Haupt lächelnd zu mir wendete und sprach: »Vater ich muß nur wieder auf lateinisch anfangen, denn sonst läßt mir das Volk keine Ruhe!« Aber es war dieses Mal nit vonnöthen. Denn da unsere Wächter mit ihren Forken nunmehro die hintersten auch erreichet, und ohne Zweifel verzählet hatten, was fürgefallen, höreten wir alsbald, ein groß Gerüste hinter uns: daß sie umb Gottes willen zurücke kommen söllten, ehebevor ihnen die Hexe etwas anthäte, und da Jacob Schwarten sein Weib sich nicht daran kehrete, sondern mein Töchterlein immerfort quälete, daß sie ihr ihren Schurzfleck zu eim Taufkleid vor ihr Kindlein geben müge, dieweil er ja doch nur verbrenne, schmiß ihr letzlich ihr Kerl mit einem Knüppel so er von eim Zaun brach, also in den Nacken, daß sie mit großem Geschrei niederstürzete, und wie er kam, umb sie aufzurichten, ihn bei seinen Haaren niederzog und, wie Ehre Martinus sagte, nunmehro doch in Ausführung brachte, was sie ihm gelobet,[221] angesehen sie ihn mit einer Faust immer aus aller Macht auf die Nase geschlagen, bis die anderen Leute hinzugeloffen und sie abgehalten hätten. Hierzwischen aber hatte das Wetter sich fast verzogen und suckete1 nach der Sehe zu.

Und als wir nunmehro auch durch die kleine Heide gelanget, sahen wir plötzlich den Streckelberg für uns mit vielem Volk und den Scheiterhaufen auf seiner Spitzen, auf welchem der lange Büttel sprang, als er uns ankommen sahe und mit der Mützen winkete, so viel er kunnte. Hierüber vergingen mir aber meine Sinnen, und ist es meinem Lämmelein auch nit viel anders ergangen. Denn sie hat hin und her geschwanket wie ein Rohr, und abereins ausgerufen, ihre gebundenen Händeleins gen Himmel streckende:


Rex tremendae majestatis! –

qui salvandos salvas gratis,

Salva me fons pietatis. –2


Und siehe, wie sie es kaum ausgesprochen, ist die liebe Sonne wieder herfürgetreten und hat einen Regenbogen auf dem Gewölk geformiret, recht über den Berg, also, daß es lustig anzusehen gewest. Und war dieses offenbarlich ein Zeichen des barmherzigen Gottes, wie er uns oftermalen solche Zeichen giebt; aber wir blinden und ungläubigen Menschen achten es nit sonderlich. So hat sie es auch nit geachtet, denn obwohl sie an den ersten Regenbogen gedacht, so uns unsere Trübsal fürgebildet, hat es ihr doch unmüglich geschienen, daß sie annoch könnte errettet werden, und ist also matt worden, daß sie auf das[222] liebe Gnadenzeichen weiter gar nicht geachtet, und ihr Kopf, (dieweil sie ihne nicht mehr an mich lehnen konnte, angesehen ich so lang ich gewachsen in dem Wagen gelegen) ihr also war vorne übergesacket, daß ihr Kränzlein meinem Herrn Gevatter fast seine Knie berühret. Und hat selbiger nunmehro dem Gutscher anbefohlen, einen Augenblick stille zu halten, und zu einer kleinen Flaschen mit Wein gegriffen, so er immer in seiner Taschen führet, wenn Hexen gebrennet werden3 umb ihnen in solcher Angst beizuspringen, (will es hinfüro auch so halten, dieweil mir diese Mode von meim lieben Gevatter wohl gefällt). Von solchem Wein hat er erstlich mir in meinen Hals gegossen, und nachgehends auch meinem Töchterlein, und seind wir kaum wieder zu uns kommen, als ein grausamer Rumor und Tumult sich unter dem Volke hinter uns erhoben, und selbiges nicht nur in Todesangst gerufen: der Amtshaubtmann kommt wieder! besondern auch, da es weder vorwärts noch rückwärts entweichen mügen (denn hinter sich scheueten sie das Gespenst und vor sich mein Töchterlein) zur Seiten gelaufen, und zum Theil in den Busch gesprungen, zum Theil aber bis an den Hals in das Achterwasser gewatet. Item ist Dom. Camerarius, so bald er gesehen, daß das Gespenst auf den Schimmel aus dem Busch gekommen, so auch einen grauen Hut mit einer grauen Feder aufgehabt, wie der Amtshaubtmann hätte, unter ein Bund Stroh in den Wagen niedergekrochen, Dn. Consul aber hat abereins mein Kind verwünschet, und schon denen Gutschern Befehlig gegeben, so toll zu fahren als sie könnten, wenn auch alle Pferde daraufgingen, als der dreuste Büttel hinter uns ihme zugeschrieen: es ist nicht der Amtshaubtmann, besondern der Junker von Nienkerken, der die Hexe sicherlich wird retten[223] wöllen, soll ich ihr darum mit dem Schwert das Genicke abstoßen? Bei diesen erschröcklichen Worten kamen mein Töchterlein und ich erst wieder gänzlich zur Besinnung, und hohlete der Kerl schon hinter ihr mit seinem blanken Schwert aus, dieweil ihm Dn. Consul ein Zeichen mit der Hand gab, als mein lieber Gevatter, so es gewahr worden (Gott müge es ihm an jenem Tage lohnen, ich kann es ihm nicht lohnen) mein Töchterlein mit aller Gewalt rückwärts auf seinen Schooß riß. Und wollte der Bube sie nunmehro auf seinen Schooß erstechen. Aber der Junker war auch schon da, und als er solches sahe, juge er ihm seinen Jägerspieß, so er in Händen hatte, zwischen die Schultern, daß er gleich kopfüber zur Erden fiel, und sein eigen Schwert ihme mit Schickung des gerechten Gottes also in seine Seite fuhr, daß es aus der andern wieder herausbrach. Lag also und brüllete, was aber der Junker nicht achtete, sondern zu meinem Töchterlein sprach: »Jungfer, meine liebe Jungfer, Gott sei Dank, daß Sie gerettet ist!« Dieweil er aber ihre gebundenen Händekens sahe, knirschete er mit seinen Zähnen sprang alsofort, ihre Richter verwünschend, vom Rosse, und schnitt ihr mit dem Schwerte, so er in der Rechten hielt, den Strang durch, nahm darauf ihre Hand und sprach: »ach liebe Jungfer, wie viel habe ich mich umb sie gegrämet, aber ich kunnte sie nicht retten, dieweil ich, wie sie selbsten in Ketten gelegen hab, was sie mir auch wohl ansehen wird.«

Aber mein Töchterlein kunnte ihm kein Wörtlein Antwort geben, besondern fiel für Freuden abereins in Unmacht, kam aber alsbald, da mein lieber Gevatter noch etwas Fürrath an Wein hatte, wieder bei sich. Unterdessen aber that mir der liebe Junker Unrecht, was ich ihm aber gerne verzeihen will. Denn er schnarchete mich an und nannte mich ein altes Weib, das Nichtes künnte als heulen und wehklagen. Warumb ich nit alsogleich dem schwedischen König nachgereiset wäre, oder warumb ich nicht[224] selbsten nacher Mellenthin gekommen und sein Gezeugnüß mir gehohlet, da ich ja wüßte, was er von denen Hexen dächte? (Ja, du lieber Gott, wie konnte ich anders, als dem Richter gläuben, so dort gewesen war. Das hätten wohl mehr Leute gethan, denn alte Weiber; aber an den schwedischen König hätte ich keine Gedanken, und, Lieber sage, wie hätte ich auch zu ihm reisen und mein eigen Kind verlassen mögen! Aber solches bedenken junge Leute nicht, dieweil sie nit wissen, wie einem Vater zu Muthe.)

Nunmehro war aber Dn. Camerarius, da er gehöret, daß es der Junker sei, wieder unter dem Stroh herfürgekrochen, item Dn. Consul vom Wagen gesprungen und herbeigeloffen laut den Junker scheltende und fragende: aus was Macht und Zuversicht er solches thäte, da er zuvor doch diese gottlose Hexe selbsten verdammet? Aber der Junker zeigte mit dem Schwert auf seine Leute, welche an die 18 Kerls mächtig jetzunder auch mit Säbeln, Pieken und Mousqueten aus dem Busch geritten kamen, und sprach: da seh Er meine Macht, und würd' ich Ihme hier gleich etwas vor seinen podex geben lassen, wenn ich nit wüßte, daß Er ein dummer Esel wäre. Wann hat Er mir ein Gezeugnüß über diese rechtschaffene Jungfer abgenommen? – Er lügt in seinen Hals, wenn er solches behauptet. Und als Dn. Consul nun stund und sich verschwure, verzählete der Junker zu Aller Verwunderung wie folget:

Nachdem er von dem Unglück gehöret, so mich und mein Kind getroffen, hätte er alsogleich sein Pferd satteln lassen, umb gen Pudgla zu reuten und ein Zeugniß von unserer Unschuld abzulegen: Solches hätte aber sein alter Vater nicht gestatten wölllen, alldieweil er vermeinet, dadurch seine adeliche Ehre einzubüßen, wenn es an den Tag käme, daß sein Sohn mit einer verrufenen Hexen die Nacht auf dem Streckelberge conversiret habe. Hätte ihm dahero, da er mit Bitten und Drohen nichts ausgerichtet,[225] Hände und Füsse binden, und in das Burgverliß setzen lassen, wo bis dato ein alter Diener sein gepfleget, der ihm nicht hätte los geben wöllen, so viel Geld er ihm auch geboten; wannenhero er in große Angst und Verzweiflung gerathen, daß unschuldig Blut umb seinet willen fließen sölle. Aber der gerechte Gott hätte es annoch gnädig abgewendet. Denn da sein Vater von dem Aerger fast heftig krank worden, und die ganze Zeit über auf dem Bette gelegen, hätte es sich heute Morgen umb Betglockenzeit begeben, daß der Jäger nach eim Rudeärpel im Schloßteich geschossen, unversehens aber seines Vaters seinen Lieblingshund, Pakan geheißen schwer verwundet. Solcher wäre schreiend zu seines Vaters Bett gekrochen, und alldorten verrecket, worüber der Alte in seiner Schwachheit sich also geärgert, daß ihn alsofort der Schlag gerühret, und er auch seinen Geist aufgegeben.

Nunmehro hätten ihn aber seine Leute herfürgezogen und nachdem er seines Vaters Augen zugedrücket, und ein Vaterunser über ihm gebetet, hätte er sich alsogleich mit allem Volk aufgemachet, so er in der Burg auftreiben können, umb die unschuldige Jungfer zu retten. Denn er bezeuge hieselbsten vor männiglich und auf Ritter Wort und Ehre, ja bei seiner Seelen Seeligkeit, daß er der Teufel gewest, so der Jungfer auf dem Berg als ein haarigter Riese erschienen. Denn dieweil er durch das Gerücht es vernommen, daß selbige oftermalen dorthin gehe, hätte er gerne wissen wöllen was sie dorten thäte, und sich in einen Wulfspelz verkleidet, daß Niemand ihn kennen müge von wegen seinem harten Vater. Und hätte er schon zwei Nächte dorten zugebracht, bis die Jungfer in der dritten gekommen und er gesehen hätte, daß sie nach Birnstein in den Berg gegraben, auch nicht den Satanas angerufen, sondern vor sich ein lateinisch Carmen gerecitiret. Solches hätte er dahero in Pudgla zeugen wöllen, aber aus gedachter Ursache nicht gekönnet, besondern sein Vater hätte[226] seinen Vetter Glas von Nienkerken, so bei ihm zum Besuch gewest, sich für ihn in das Bette legen, und ein falsch Gezeugnüß ablegen lassen. Denn, alldieweilen Dn. Consul ihme (verstehe den Junker) in langen Jahren nicht gesehen, anerwogen er in der Fremde gestudieret; so hätte sein Vater wohl gegläubet, daß er leichtlich getäuschet werden müge, wie denn auch besehenen.«

Als solches der rechtschaffene Junker vor Dn. Consule und allem Volk bezeugte, welches nunmehro wieder in haufen herbeigelaufen kam, da es hörete, daß der Junker kein Gespenst gewesen, fiel es mir wie ein Mühlenstein von meinem Herzen, und dieweil mich das Volk rief (so bereits den Büttel unter dem Wagen herfürgezogen, und also dicke um ihn wimmelte, wie ein Bienenschwarm) daß er sterben wölle, mir aber zuvorab noch etwas offenbaren, sprang ich so leicht wie ein Junggeselle von dem Wagen, und rief Dn. Consulem und den Junker gleich mit mir, gestalt ich wohl mir abnehmen kunnte, was er auf seinem Herzen hätte. Und saß er auf eim Stein, und das Blut stund ihm wie ein Pferdeschwanz aus seiner Seiten, (angesehen man ihm das Schwert herausgezogen) wimmerte, als er mich sahe und sprach: daß er in Wahrheit Allens hinter der Thüren gehöret, was die alte Lise mir gebeichet, als nämlich, daß sie alle Zaubereien selbsten mit dem Amtshaubtmann an Menschen und Viehe angerichtet, umb mein arm Kind zu erschröcken und also zu einer Huren zu machen. Solches hätte er aber verschwiegen, dieweil der Amtshaubtmann ihm dafür ein Großes versprochen, müßte es aber jetzunder, wo der gerechte Gott die Unschuld meines Töchterleins an den Tag brächte, freiwillig bekennen. Bäte dahero mich und mein Kind ihme zu vergeben, und als Dn. Consul ihn hierauf kopfschüttlend fragete, ob er auf solch sein Bekenntnüß leben und sterben wölle, sprach er noch »ja!« fiel sodann aber alsogleich auf die Seite zur Erden nieder und gab seinen Geist auf.[227]

Hierzwischen aber war dem Volk auf dem Berge, so von Coserow, vom Zitze vom Gnitze etc. alldorten zusammengelaufen war, umb mein Töchterlein brennen zu sehen, die Zeit lang worden und kamen sie nunmehro wie die Gänse, einer nach dem andern, in langer Reihe den Berg niedergelaufen, umb zu sehen, was geariviret. Und war auch mein Ackersknecht Claus Neels darunter. Als selbiger aber sahe und hörete, was geschehen, hube der gute Kerl vor Freuden an, laut zu weinen und verzählete nun auch, was er in dem Garten den Amtshaubtmann zu der alten Lisen sprechende gehöret, und wie er ihr ein Schwein versprochen, dafür daß sie ihr eigen Ferkelken todt gehexet umb mein Töchterlein in ein böses Geschrei zu bringen, summa: Allens, was ich schon oben notirt habe und er bis dato aus Furcht vor der Marter verschwiegen. Hierüber verwunderte sich alles Volk, und entstunde ein groß Lamentiren, so daß Etzliche kamen, worunter auch der alte Paassch befindlich, und mir wie meinem Töchterlein Hände und Füsse küssen wollten und uns nunmehro ebenso lobeten als sie uns vorhero verachtet hatten. Aber so ist das Volk; dannenhero auch mein Vater seliger zu sagen pflegte:


Volkes Haß:

Ein schneidend Glas;

Volkes Gunst:

Ein blauer Dunst!


Auch caressirete mein lieber Gevatter mein Töchterlein in einem zu, sie auf seinen Schooß haltend, und wie ein Vater weinend (denn ich kunnte nicht mehr weinen als er weinete). Sie selbsten aber weinte nicht, besondern bat den Junker, welcher wieder an den Wagen getreten war, einen Reuter an ihre alte, treue Magd nacher Pudgla zu schicken, umb ihr zu sagen, was gearriviret, welches er auch alsogleich[228] ihr zu Willen that. Aber Ein ehrsam Gericht, (denn nunmehro hatten Dn. Camerarius und der Scriba sich auch ein Herz gefasset und waren von dem Wagen gestiegen) war annoch nicht zufrieden gestellet, angesehen Dn. Consul anhub dem Junker von der behexten Brücken zu erzählen, welche kein anderer könne bezaubert haben, denn mein Töchterlein. Hierauf gab der Junker zur Antwort: daß solches in Wahrheit ein seltsam Ding sei, inmaßen sein eigen Roß sich darauf ein Bein zubrochen, und er darumb den Amtshaubtmann sein Pferd genommen, so er unter der Mühlen angebunden gesehen. Er gläube aber nicht, daß dieses der Jungfer zuzuhalten wäre, sondern daß es ganz natürlich zuginge, wie er schon halb und halb verspüret, aber nit die Zeit gehabt, es zu untersuchen. Darumb wölle er bitten, daß Ein ehrsam Gericht und alles Volk, wie mein Töchterlein selbsten, wieder umbkehre, umb selbige mit Gottes Hülfe auch von solchem Verdacht rein zu waschen, und männiglich ihre gänzliche Unschuld zu bezeugen.

In solches Fürhaben willigte Ein ehrsam Gericht und dieweil der Junker den Amtshaubtmann seinen Schimmel meinem Ackersknecht übergeben, umb den Leichnam, so man dem Roß vorne über den Hals geleget, nacher Coserow abzuführen, stieg der Junker bei uns auf den Wagen, aber setzete sich nicht bei meim Töchterlein, besondern rückwärts bei meim lieben Gevatter nieder, gab auch Befehlig, daß nit der alte Gutscher, sondern einer von seinen Unterthanen unsern Wagen fahren sölle, und also kehreten wir in Gottes Namen wieder umb. Custos Benzensis, welcher auch mit den Kindern in die Wicken gelaufen war, so annoch am Wege stunden (mein seliger Custos sollt es nicht gewest sein, der hatte mehr Courage) ging wieder mit der lieben Jugend fürauf und mußte nunmehro, auf Befehlig seines Herrn Pastoren, den ambrosianischen Lobgesang anstimmen, welches uns alle mächtiglich[229] erbarmete, insonderheit mein Töchterlein, so daß ihr Buch naß wurde von ihren Thränen, und sie es letzlich wegklegete und sprach, indem sie dem Junker ihre Hand reichete: »wie soll ich es Gott und Ihme danken, was Er an mir gethan?« worauf der Junker zur Antwort gab: »ich habe mehr Ursache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, angesehen Sie unschuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe schuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum ersten Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich schon zu vergehen, und als es sich zum dritten Male vernehmen ließe, wäre ich wohl unsinnig worden in meinem Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht so gefüget, daß er fast in selbigem Augenblick meinem wunderlichen Vater sein Leben genommen, umb Ihr unschuldig Leben durch mich retten zu lassen. Darumb habe ich auch dem lieben Gotteshause einen neuen Thurm angelobet, und was sich sonsten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte mir auf Erden geschehen mügen, denn Ihr Todliebe Jungfer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!«

Aber mein Töchterlein weinete und seufzete nur bei diesen Worten, und wenn er sie ansahe, sahe sie zitternde auf ihren Schooß nieder, so daß ich gleich argumentirete, mein Jammer sei annoch nicht zu Ende, sondern solle nur ein ander Thränenfaß angestochen werden, wie denn auch geschahe. Hiezu kam, daß der Esel von custos, nachdem er den Lobgesang beendet und wir annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden Gesang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, nämlich dieses: Nun lasset uns den Leib begraben. (Gott sei Dank, hat solches aber bis dato noch nichts Böses bedeutet). Mein lieber Herr Gevatter schnarchete ihn davor nicht wenig an und sölle er aus Strafe vor seine Dummheit auch das Geld vor die Schuhe[230] nit kriegen, so er ihm allbereits aus dem Kirchenblock versprochen. Aber mein Töchterlein getröstete ihn und versprach ihme vor eigene Unkosten ein Paar Schuhe, angesehen es vielleicht besser für sie wäre, er stimmete umb sie einen Leichen- dann einen Freudengesang an.

Und als den Junker solches verdroß und er sprach: »ei liebe Jungfer, Sie weiß nit wie Sie Gott und mir vor Ihre Rettung danken soll, und Sie spricht also?« gab sie wehmüthig lächelnde zur Antwort: sie hab es nur gesagetumb den armen custodem zu beruhigen. Aber ich sahe es ihr gleich an, daß es ihr Ernst war, dieweil sie schon jetzt bei sich befunde, daß sie zwar aus einer Brunst gerettet, doch in die andere kommen sei.

Hierzwischen gelangeten wir wieder bei der Brücken an und stunde alles Volk und sperreten die Mäuler auf, als der Junker vom Wagen sprang, undnachdem er zuvor sein Roß erstochen, so noch auf der Brücken lag und spartelte, auf seine Kniee fiel, mit der Hand auf den Boden hin und her wischete und letzlich Ein ehrsam Gericht herbeirief, dieweil er nunmehro den Zauber aufgefunden. Aber es wollte Niemand nicht ihm folgen denn Dn. Consul und ein Paar Kerls aus dem Haufen, worunter auch der alte Paassch befindlich, item ich und mein lieber Gevatter, und zeigete uns der Junker nunmehro ein Stücklein Talg bei der Größe einer guten Nuß, so auf dem Boden lag, und womit die ganze Brücke übergeschmieret war, so daß sie fast ein weißlich Ansehn hatte, was aber männiglich in der Angst für Mehlstaub aus der Mühlen gehalten, item mit einer andern materia, so als Marderdreck stunk, wir aber nicht erkannten. Bald darauf funde ein Kerl auch noch ein ander Stücklein Talg, und zeigete es dem Volk, worauf ich ausrief: ho ho das hat Niemand, denn der gottlose Mühlenknappe gethan vor die Prügel, die ihm der Amtshaubtmann hat geben lassen, weil er mein Töchterlein gelästert und erzählete nunmehro den Fürfall, von welchem[231] Dn. Consul auch gehöret, und dannenhero alsogleich den Müller rufen ließ.

Selbiger that aber als wüßte er von Nichtes, und berichtete nur, daß sein Mühlenknappe seit einer Stunden abgewandert sei. Doch sagete ein Mädken, so bei dem Müller im Dienst stunde, daß sie heute Morgen für Tagesanbruch, als sie aufgestanden, umb das Vieh auszulassen, den Knappen habe auf der Brücken liegen und scheuren sehen. Hätte sich weiters nicht daran gekehret, sondern wäre alsbald noch wieder eine Stunde schlafen gangen. Wohin der böse Bube aber gewandert, wollte sie so wenig in Erfahrung gezogen haben, denn der Müller. Als der Junker diese Kundschaft erlanget stieg er auf den Wagen und hub an das Volk zu vermahnende, wobei er letzlich es auch persuadiren wollte, nicht mehr an Zauberei zu gläuben, dieweil sie sähen, wie es mit der Hexerei befindlich wäre. Als ich solches hörete, entsatzte ich mich, wie billig in mein priesterlichen Gewissen, und stieg auf das Wagenrad und bliese ihm ein, daß er umb Gottes willen von dieser Materia aufhören sölle, dieweil das Volk, wenn es den Teufel nicht mehr fürchte, auch unsern Herrgott nicht mehr fürchten würde4.

Solches thät der liebe Junker mir auch alsogleich zu Gefallen, und fragete nur das Volk noch, ob sie jetzunder mein Töchterlein ganz für unschuldig hielten. Und nachdem sie »ja!« gesaget, bate er sie, nunmehro geruhsam nach Hause zu gehen und Gott zu danken, daß er unschuldig Blut gerettet. Er wölle jetzo auch wieder umbkehren und hoffe er, daß Niemand mich und mein Töchterlein beschweren würde, wenn er uns allein nacher Coserow zurückfahren ließe. Hierauf wandte er sich eilends an selbige, gab ihr die Hand und sprach: »Lebe Sie wohl liebe Jungfer, ich hoffe Ihre Ehre auch bald vor der Welt zu retten, und danke Sie nicht mir, sondern Gott!« Also machte ers auch mit mir[232] und meinem lieben Gevatter, worauf er von dem Wagen sprang und bei Dn. Consuli auf seinen Wagen sitzen ging. Selbiger hatte auch bereits etzliche Worte zum Volk gesprochen, auch mich und mein Kind umb Vergebung angerufen (und muß es ihme zur Ehre nachrühmen, daß seine Thränen dabei auf die Backen niederflossen) wurde aber von dem Junker also sehr gedränget, daß er kürzlich abbrechen mußte, und sie ohne sich umbzusehen über die kleine Brücke von dannen fuhren. Nur Dn. Consul sahe sich noch einmal umb und rief mir zu: daß er in der Eil vergessen habe, dem Scharfrichter zu avertiren, daß heute nicht gebrennet würde; ich müge also in seinem Namen meinen Fürsteher von Uekeritze auf den Berg schicken und ihm solches sagen lassen, was ich auch that. Und ist der Bluthund auch noch in Wahrheit auf dem Berg gewest, doch obwohl er längst gehöret was fürgefallen, hat er doch so erschröcklich zu fluchen angefangen wie der Schulze ihm den Befehl Eines ehrsamen Gerichtes überbracht, daß es einen Stein hätte erwecken mögen, hat auch seine Mütze sich abgerissen, und selbige mit Füssen getreten, woraus man gießen mag, was an ihme ist. Doch umb wieder auf uns zu kommen, so saß mein Töchterlein, also still und blaß wie eine Salzsäule nachdem der Junker sie so plötziglich und unvermuthet verlassen, wurde aber alsbald in Etwas wieder getröstet, als die alte Magd angelaufen kam, ihre Röcke bis an die Knie aufgeschürzet, und ihre Strümpfe und Schuhe in den Händen tragend. Wir höreten sie schon aus der Ferne für Freuden heulen, dieweil die Mühle stille stund, und fiel sie wohl an die dreien Malen auf der Brücken, kam aber letzlich auch glücklich hinüber und küßete bald mir, bald meinem Töchterlein Hände und Füße, nur bittende: wir wöllten sie nicht verstoßen, besondern sie bis an ihr selig Ende bei uns behalten, was wir auch zu thun versprachen. Und mußte sie hinten aufhacken, da wo der dreuste Büttel aufgehacket[233] war, angesehen mein lieber Herr Gevatter mich nicht verlassen wollte, bis ich wieder in meine Widemen gekommen. Und da den Junker sein Kerl bei dem andern Wagen aufgehacket war, fuhr uns der alte Paassch zurück, und alles Volkso bis dato gewartet, trottirete jetzt wieder umb den Wagen her, und lobete und beklagete uns, wie es uns vorhero verachtet und geschmähet hatte. Wir waren aber kaum durch Uekeritze gelanget, als ein abermalig Geschrei erging: »de Junker kümmt, de Junker kümmt!« so daß mein Töchterlein hoch auffuhr für Freuden und so roth wie eine Erdbeer wurde, von dem Volk aber Etzliche schon wieder begunnten in den Buchweizen zu laufen, so am Wege stunde, dieweil sie abermals vermeineten, es wäre ein Spükels5. Es war aber in Wahrheit der Junker wieder, so auf einem schwarzen Rappen angesprenget kam, undals er gegen uns war ausrief: »so eilig ich es auch habe liebe Jungfer, so muß ich dennoch umbkehren und sie bis in Ihr Haus geleiten, angesehen ich eben gehöret, daß das unflätige Volk sie unterweges schimpfiret, und ich nicht weiß, ob sie jetzunder sicher genug ist. Hierauf trieb er den alten Paassch zur Eile an, und da das Ampeln6 mit seinen Beinen, so er fürnahm nicht sonderlich die Pferde in den Trab bringen wollte, schlug er von Zeit zu Zeit das Sattelpferd mit der flachen Klingen über den Rücken, so daß wir in Kurzem in das Dorf und vor die Widemen gelangeten. Doch als ich ihn bate, ein wenig abzusteigen, wollte er nicht, besondern entschuldigte sich, daß er heute noch über Usedom nacher Anclam reisen müßte, empfohle aber dem alten Paassch so ein Schulze bei uns war, mein Töchterlein auf seinen Kopf an, und möge er alsogleich,[234] wenn etwas Sonderbares sich eräugnen sollte, selbiges dem Rentmeister in Pudgla, oder Dn. Consuli in Usedom vermelden, worauf er, als der Mann solches zu thun versprach, mit der Hand uns winkete, und wieder von dannen jagte, so sehr er kunnte.

Aber er war noch nit bei Pagels umb die Ecke kommen kehrete er zum dritten Male zurück, und als wir uns verwunderten sprach er: wir möchten ihme vergeben, daß er heute kurz von Gedanken sei.

Ich hätte ihme doch vormals gesaget, daß ich annoch meinen Adelsbrief hätte, und bäte er mich, ihn selbigen einige Zeit zu lehnen. Hierauf gab ich zur Antwort: daß ich selbigen erst herfürsuchen müßte, und müge er dannenhero ein wenig niedersteigen. Aber er wollte nit, besondern entschuldigte sich abereins, daß er keine Zeit nit hätte. Blieb darumb vor der Thüren halten, bis ich ihme den Brief brachte, worauf er sich bedankete und sprach: »laß Er sich dieses nicht verwundern; Er wird bald sehen was ich im Sinne habe!« Und hiemit stieß er seinem Rappen die Sporen in die Seite und kam nicht wieder.

1

plattdeutsch: sich senken.

2

König majestät'scher Größe!

Der umsonst deckt unsre Blöße,

Quell der Liebe, komm, erlöse!

3

Dies geschah in damaliger Zeit so häufig, daß in manchen Parochien Pommerns wohl sechs bis sieben solcher elenden Weiber jährlich den Scheiterhaufen besteigen mußten.

4

Vielleicht eine tiefe Wahrheit!

5

Gespenst.

6

Plattdeutsch: Zappeln.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 220-236.
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