Achter Gesang.
Der Einritt.

[173] Die Astronomie des Wojski. – Des Kämmerers Bemerkung über die Kometen. – Die geheimnißvolle Scene im Zimmer des Richters. – Thaddäus will sich geschickt aus der Verlegenheit ziehen und geräth in arge Bedrängniß. – Die neue Dido. – Der Einritt. – Der letzte Gerichtsbotenprotest. – Der Graf erobert Soplicowo. – Der Sturm, das Blutbad. – Gervasius als Kellermeister. – Einrittsfestmahl.


Dem Sturm geht eine Weile düstrer Stille voran,

Wenn über's Haupt der Menschen die Wolke am Himmelsplan

Aufflog – stillhält – droht: die Winde athmen kaum;

Sie schweigt, mit blitzenden Augen umkreist sie den Erdenraum,

Die Stellen bezeichnend, wo bald hindonnert Schlag um Schlag:

So war die Stille, die jetzt ob Soplicowo lag.

Es ist, als wenn ein Ahnen ungewöhnlicher Dinge

Die Lippen zusammenschlösse, die Seele mit Träumen umfinge.


Richter und Gäste verlassen nach dem Nachtmahl das Haus,

Geh'n in die Abendfrische in den Hof hinaus,

Sie setzen sich auf die grünen Rasenbänke hin,

Alle in stiller Haltung und mit trübem Sinn.

Sie blicken zum Himmel, der sich zu senken scheint, zu verengen,

Und nah' und immer näher sich an die Erde zu drängen, –

Bis die Beiden, vom dunklen Schattenflor verhüllt,

Wie Liebende, Zwiesprach beginnen – und, was ihr Herz erfüllt,

Aushauchen in leisen Seufzern, – verhalten, abgebrochen,[174]

Gemurmel und Flüsterlauten – still, halbausgesprochen:

Das sind der Abendmusik geheimnißvolle Töne.


Die Eule stimmt an: vom Söller ertönt ihr dumpf Gestöhne, –

Mit schlaffem Flügel rauschend fliegt die Fledermaus,

Von Scheiben und Menschengesichtern hingelockt, zum Haus;

Näher, vom weißen Gewand der Frauen angezogen,

Schaaren sich ihre Schwestern, Nachtfalter in kreisenden Bogen,

Belästigen namentlich Soschja, fahren ihr an die Wangen

Und in die Augen, die hell, wie lockende Lichter, prangen.

Im Luftreich sammeln sich Insekten in weiten Ringen,

Wie eine Harmonikawalze, so schwingen sie sich und klingen,

Soschja findet im tausendstimmigen Gesaus

Der Fliegen Akkord und der Mücken falschen Halbton heraus.


Im Feld, wo das Concert erst seinen Anfang nimmt,

Haben die Musiker eben die Instrumente gestimmt:

Grasläufer, der erste Geiger, hat dreimal schon geschrie'n,

Rohrdommeln in fernen Sümpfen, die Bässe, begleiten ihn.

Die Schnepfen flattern auf und kreisen leicht beschwingt,

Und schlagen, daß es klimpernd, wie Trommelschläge, klingt.


An die Musik aus dem Fliegen- und dem Vogelreiche

Schließt sich als Finale ein Doppelchor zweier Teiche:

Sie schweigen, wie jene verzauberten Seen im Kaukasus,

Den ganzen Tag, und tönen erst zum Abendgruß.

Der eine hat sandige Ufer, klare Flut –, und leise

Seufzt ihm aus bläulichem Busen eine gehaltene Weise;

Der Andre, mit schlammigem Grund und trübem Schlund, fällt ein

Mit lautem, klagevollem, leidenschaftlichem Schrei'n;

In Beiden quaken Frösche, zahllose rührige Horden,

Beide Chöre gestimmt zu zweien großen Akkorden.

Der braust fortissimo, jener summt leise; dieser scheint

Zu klagen, jener seufzt nur, – so tönen die Teiche vereint,

Über die Fluren hin in plauderndem Gesang,

Als wie zwei Äolsharfen, in stetem Wechselklang.
[175]

Dichter sinken die Schatten. Am Bach nur und im Hain

Blinken im Busch Wolfsaugen, wie heller Kerzenschein,

Und an des Horizontes enggeschlossenen Säumen

Die nächtlichen Feuer der Hirten, in weiten Zwischenräumen.

Die Silberfackel entzündet der Mond am Himmelszelt,

Tritt aus dem Wald – und Himmel und Erde sind erhellt.

Jetzt liegen sie halb enthüllt und halb in bergendem Schatten,

Und schlummern neben einander, wie zwei glückliche Gatten,

Die Erde von des Himmels reinen Armen umschlossen,

Ihr Busen vom Silberglanz des Mondes überflossen.


Dem Monde gegenüber erblinkt schon Stern um Stern,

Schon winken ihrer Tausend – Millionen nah' und fern:

Kastor und Pollux leuchten voran in voller Helle,

Einst nannten sie die Slaven »Lele« und »Polele«.

Jetzt hat sie der Volkszodiakus umgetauft; dem Sohne

Des Volks heißt jener »Lithauen«, dieser heißt »die Krone.«


In weit'rer Ferne glänzen die Schalen der Himmelswage:

In ihnen, erzählen die Alten, hat Gott am Schöpfungstage

Die Erde und alle Planeten gewogen, eh' sein Wort

Im Raum sie festgesetzt hat, jedes an seinen Ort;

Dann hängt' er die goldenen Wagen auf am Himmelszelt,

Das Muster für Wage und Schale lernte an ihnen die Welt.


Kreisrund leuchtet im Norden das sternenreiche Sieb;

Als Gott den Adam aus dem Paradies vertrieb,

Hat er für den Verbannten, – wie die Sage geht, –

Durch dieses Sieb Kornsamen zur Erde niedergesät.


Dort, höher, lenkt, zur Fahrt bereit, der Davidswagen1,

Die Deichsel vom Polarstern. – Die alten Lithauer sagen,

Man nenn' ihn mit Unrecht so, es sei der Engelswagen;

Auf ihm fuhr Lucifer in unvordenklicher Zeit,

Als er Gott, den Herrn, herausgefordert zum Streit,

Über die Milchstraße rasend zum Himmel hinan –

Michael warf ihn vom Wagen, den Wagen von der Bahn.[176]

Zwischen den Sternen schwankt nun verdorben das Gefährt,

Weil's Erzengel Michael auszubessern verwehrt.


So sagen die Lithauer; ferner lebt die Kunde bei ihnen –

Und dieser entnahmen sie vermuthlich den Rabbinen: –

Daß jener mächtige Drache, der sich im Thierkreis findet,

Der in gestirnten Ringen sich über den Himmel windet,

Nicht eine Schlange sei, wie die astronomischen Meister

Ihn nennen, sondern ein Fisch – und Leviathan heißt er.

Einst lebt' er in den Meeren, dann ist er verreckt,

Weil ihm nach der Sündflut das Wasser nicht gekleckt,

Als Seltenheit und zur Erinn'rung brachten dann

Die Engel sein Gerippe hoch am Himmel an.

So hängte der Pfarrer von Mir2 an heiliger Kirchenstätte

Röhrbeine auf und Rippen fossiler Riesenskelette.


Oft erzählte der Wojski solche Sterngeschichten,

Aus Büchern oder nach mündlich fortgepflanzten Berichten.

Die alten Augen des Wojski seh'n Abends wohl nicht klar,

Er nimmt selbst mit der Brille am Himmel gar nichts wahr,

Doch weiß er von jedem Stern Gestalt und Namen und Bahn

Auswendig – und zeigt Alles genau am Himmelsplan.


Heut' hört man ihm kaum zu; ganz unbeachtet blieb

Der Drache wie der Wagen, die Schalen, wie das Sieb:

Ein Gast, den man seit Kurzem erst am Himmel sieht,

Ist's, der nun Aller Gedanken und Blicke auf sich zieht:

Ein Komet war's, erster Größe3 – im Westen sichtbar geworden,

In höchstem Glanze strahlt er, und fliegt von West nach Norden;

Scheel auf den Wagen blickt sein Aug', das blutig- helle,

Als setzte er sich gern an Lucifers leere Stelle –

Den Lichtschweif warf er zurück, ein Drittel des Himmels umringend,

Hunderte von Sternen wie in ein Netz verschlingend, –

Hochüberragenden Hauptes, die Sterne mit sich zwingend,

So zieht er nun nach Norden, g'rad' in den Nordstern dringend.


Von unaussprechlicher Ahnung erfaßt mit tiefster Macht,

Sah alles Volk von Lithauen dies Wunder Nacht um Nacht;[177]

Der Stern, – manch Zeichen sonst schien Böses zu prophezeien:

Denn unheilkündende Vögel hört man so häufig schreien,

Die sich auf's wüste Feld in Schaaren niedersetzen,

Und, wie auf Leichen wartend, ihre Schnäbel wetzen.

Es wurde zu oft bemerkt, wie Hunde im Boden wühlten

Mit grausem Geheul, als wenn sie des Todes Nähe fühlten:

Das kündet Hunger – oder Krieg; die Wächter im Wald

Sah'n über den Friedhof wandeln der Pestjungfrau Gestalt,

Hoch über die höchsten Bäume ragend, und in der Linken

Mit einem blutbefleckten, weißen Tuche winken.


Draus folgert Manches der Vogt, der dort im Schatten des Hages

Harrt, um Bericht zu erstatten über die Arbeit des Tages, –

Der Schreiber auch, der flüsternd mit dem Verwalter spricht.


Der Kämm'rer aber, der vor'm Haus sitzt, unterbricht

Der Gäste Gespräch; man sieht, daß er das Wort begehre:

Im Mondenlicht erglänzt die große Tabatière,

Ganz aus purem Golde, aus Brillanten der Schild,

Inmitten, unter Glas, des Königs Stanislaus Bild.

Er klimpert dran mit den Fingern, nimmt eine Prise und spricht:

»Thaddäus, was Ihr von Sternen da sagt, genügt mir nicht.

Das ist nur ein Echo dessen, was die Lehrer sagen;

Ich möchte über Wunder doch lieber Laien befragen.

Auch ich hab' Astronomie in Wilno gehört – zwei Jahr';

Frau Puzynina, die eben so reich als weise war,

Gab den Ertrag von einem Zweihundert-Bauern-Gut

Zu Gläsern und Teleskopen für unser Institut.

Pater Poczobut4 war damals Professor der Astronomie –

Ein Mann von Ruf, zugleich auch Rector der Akademie;

Und dennoch verließ er am Ende Katheder, Gläser, Gestelle,

Und kehrte in's Kloster zurück, in seine stille Zelle –

Und starb dort wie ein Christ. Hab' auch Sniadecki gekannt,

Ein sehr gescheidter Mann, wenn auch vom Laienstand. –

Nun, was die Gelehrten an einem Planeten, Kometen betrachten,

Ist etwa das, was die Städter an einer Karosse beachten:

Sie wissen, ob sie vorfährt vor des Königs Haus,[178]

Oder aus dem Weichbild über die Grenze hinaus,

Doch wer in ihr gekommen, warum er zum König beschieden?

Was er vom König mitnahm? Ob's Krieg war oder Frieden?

Das fragen sie nicht einmal. Ich weiß noch, in meinen Jahren,

Kam Branicki nach Jassy in seiner Karosse gefahren –

Und dieser infamen Karosse kam da nachgetreten

Ein Schweif von Targowicanern, wie hinter diesem Kometen.

Das Volk, das nie in den Kreis politischer Händel trat,

Hat doch sogleich erkannt, der Schweif bedeute Verrath. –

Das Volk hat diesem Kometen den Namen ›Besen‹ gegeben,

Und Hunderttausende, meint es, fegt er aus dem Leben.«


Darauf mit einer Verbeugung der Wojski: »Sicherlich,

Mein gnädiger Herr Kämm'rer, eben erinnr' ich mich,

Was ich als kleines, kaum zehnjähriges Kind vernommen.

Ich weiß es noch: da war in unser Haus gekommen

Der selige Fürst Sapieha, ein schmucker Panzerreiter,

Damals war er erst Lieutenant, später bracht' er's weiter:

Ihr wißt, daß er dann Hofmarschall des Königs war,

Und starb als Kanzler von Lithau'n, im hundertzehnten Jahr.

Der hat bei der Wiener Belag'rung, zu Zeiten Johann's des Dritten,

Unter der Fahne des Hetmans Jablonowski gestritten. –

Also der Kanzler erzählt' uns da aus jenem Krieg,

Daß, als König Sobieski eben sein Roß bestieg –

Der päpstliche Nuntius ertheilt' ihm Segen und Gruß,

Und Österreich's Gesandter küßte ihm den Fuß

Und hielt ihm dann den Bügel, – Graf Wilczek hieß der Mann –

Da rief der König plötzlich: Seht doch den Himmel an!

Sieh, hoch ob ihren Häuptern hinzog ein Komet,

Desselben Weges, wie das Heer des Mahomet,

Von Ost nach Westen hin. – Von jener Erscheinung spricht

Auch Pater Bartochowski in seinem Lobgedicht:

›Orientis Fulmen‹ – auf den Triumph von Krakau gedichtet,

Da wird von dem Kometen gar Mancherlei berichtet.

Auch les' ich es im Buch ›Janina‹ dargestellt,

Das den ganzen Heerzug des Königs Johann enthält;

Abgebildet ist dort die Fahne des Mahomet,[179]

Und – ganz wie wir ihn heute sehen, – der Komet.«

»Amen,« versetzt der Richter, »die Deutung hör' ich gern,

Erschiene ein Johann der Dritte uns mit jenem Stern!

Ein Heros lebt im Westen: und über uns dort steht,

Vielleicht, – Gott geb' es! – als sein Bote, der Komet!«


Darauf erwidert der Wojski und neigt die Stirne bang:

»Kometen bedeuten Krieg, bedeuten auch manchmal Zank;

Dicht über Soplicowo zeigt er sich – bedroht

Uns hier vielleicht mit irgend einer häuslichen Noth.

Wir hatten gestern Streit genug in unserm Haus,

Während der Jagd sowohl, als auch beim Abendschmaus.

Erst hört' ich den Notar mit dem Assessor zanken,

Und Abends rief Thaddäus den Grafen in die Schranken.

Der Zank hat wohl den Anfang vom Bärenfell genommen,

Und wären mir Herr Richter nicht dazwischen gekommen:

Ich hätte bei Tisch die Sache zwischen den Beiden geschlichtet, –

Ich hätte einen ganz merkwürdigen Fall berichtet,

Ähnlich uns'rer gestrigen Jagdbegebenheit;

Und das muß man wissen: es waren zu meiner Zeit

Die allerersten Jäger, denen er passirte:

Nämlich der Herzog von Nassau und Rejtan, der Deputirte.


Der Fall, von dem ich rede, verlief in folgender Weise:

Der General von Podolien war eben auf der Reise

Nach seinen polnischen Gütern, oder, gedenk' ich recht,

So war's zum Reichstag nach Warschau; besucht' auch manches Geschlecht

Der Schlachta auf seiner Fahrt, zur Kurzweil oder auch wegen

Der Popularität – wie große Herren pflegen;

So kam er auch zum sel'gen Thaddäus Rejtan – später

Bekanntlich unser berühmter Nowogroder Vertreter.

Von Kindesbeinen wuchs ich auf in seinem Haus. –

Rejtan also bereitet einen großen Schmaus;

Zahlreiche, edle Gäste sah man da vereint,

Es gab Theater – der Fürst war ein Theaterfreund –

Feuerwerk gab Herr Kaszyc aus Jatro, Tiesenhaus

Die Tänzer; Oginski und Soltan schickten Kapellen heraus;[180]

Kurz, wunderherrliche Feste, Musik und Tanz und Spiel

Im Haus – und in den Wäldern Treibjagden in großem Styl.

Nun wißt Ihr, die Czartoryski's beinahe allesammt –

Obwohl sie aus dem Blut der Jagellonen entstammt –

Hatten an edlem Waidwerk wohl zu keiner Zeit

Besond're Lust – es war gewiß nicht Weichlichkeit,

Sondern Ausländerei. Der Fürst war, wie sie alle:

Stak öfter in den Büchern, als im Hundestalle,

Und öfter, als im Wald, im Damenboudoir.


Nun traf's sich so: in unsres Fürsten Suite war

Der deutsche Herzog von Nassau,5 der einst, wie man gesagt,

Mit Mohrenkönigen in Libyen gejagt

Und einen Tiger im Handkampf mit dem Spieß erlegt, –

Weß sich der deutsche Herzog gar sehr zu rühmen pflegt.

Wir hatten gerade Sauhatz, Rejtan schoß auf der Au

Mit seinem Stutzen eine gewaltige Muttersau –

Mit großer Gefahr. Er hatte aus der Nähe gezielt,

Ein Meisterschuß, für den er unendliches Lob erhielt,

Nassau allein blieb kalt bei uns'rem Ruhmeschor,

Ging auf und ab und summte unter der Nase hervor:

Ein guter Schuß beweist ein keckes Aug', nichts mehr,

Die kecke Hand erprobt doch nur das Kurzgewehr. –

Und fing nun wieder ein Langes von Libyen an, und pries

Seine Mohrenkönige, seinen Tiger und Spieß.

Herrn Rejtan hat das Prahlen endlich mißbehagt,

Lebhaft, wie er war, schlägt er an's Schwert und sagt:

›Keck dreinschau'n und keck dreinhau'n, das geht Hand in Hand,

Dem Tiger hält der Eber, dem Spieß der Säbel Stand!‹

Und mit dem Deutschen begann nun ein überaus heftiger Streit;

Der General griff ein, zum Glück zu rechter Zeit,

Versöhnte sie auf französisch, was ich nicht verstand.

Der Friede aber war nur Asche über dem Brand:

Denn Rejtan nahm sich's zu Herzen, und paßte auf einen Moment,

Wo er dem Deutschen ein gutes Stückchen spielen könnt'!

Er hätt' ihm bald das Leben gekostet, dieser Streich –

Er spielt' ihn am andern Tag; wie: das erzähl' ich gleich.«
[181]

Der Wojsti macht eine Pause, um die Hand zu erheben,

Und den Kämmerer zu bitten, er möcht' ihm die Dose geben.

Lang währt die Prise; – vor dem Schlusse bleibt er steh'n,

Als wollt' er so die Neugier der Hörerschaft erhöh'n.

Endlich beginnt er; – da wird die Geschichte wieder gestört,

Diese Geschichte, so fesselnd, so achtsam angehört!

Dem Richter wird gemeldet, es warte im Haus ein Mann

Mit einem Geschäft, das keinen Aufschub dulden kann.

So sagt er gute Nacht; sofort geht Alles hinaus,

Zerstreut sich nach allen Seiten; die geh'n zur Ruh' nach Haus,

Die Andern in die Scheuer auf's Heu, – der Richter kehrt

In's Zimmer zurück, zum Fremden, der ihn zu sprechen begehrt.


Die Gäste schlafen. Thaddäus schleicht von Gang zu Gang,

Geht, wie ein Wachtposten, die Thür des Onkels entlang;

Er muß ihn was Wichtiges fragen, noch eh' er zu Bette geht,

Noch heute. Der Richter hat den Schlüssel abgedreht.

Er hört, wie er im Zimmer geheim mit Jemand spricht,

Lauschend harrt er des Endes, zu klopfen wagt er nicht.


Drin schluchzt es! Ohne daß er der Schwelle nahe kam,

Blickt er durch's Schlüsselloch hinein: Wie wundersam!

Robak und der Richter halten sich fest umschlossen,

Knie'n auf der Erde, von heißen Thränen überflossen,

Robak küßt dem Richter die Hände, – innig und warm

Umhalst ihn Dieser und hält ihn weinend in seinem Arm;

Nach viertelstündiger Pause setzt das Gespräch sich fort,

Mit leiser Stimme nimmt der Priester so das Wort:


»Gott weiß es, Bruder! Bis heut' vernahm kein Menschenohr,

Was reuevoll in der Beichte ich zu verschweigen schwor:

Daß ich, nur Gott geweiht und meinem Vaterland,

Nicht eitlem Hochmuth fröhnend, noch irdischem Ruhm und Tand,

Gelebt bis heut' – und sterben wollt' im Mönchsgewand,

Ohne daß mein Name je meinen Lippen entfloh'n,

Vor'm Volk – ja auch vor dir und selbst vor meinem Sohn!

Doch hat der Provinzial mir die Erlaubniß gegeben,

[182] In articulo mortis den Schleier aufzuheben. –

Wer weiß, was geschieht! Wer weiß, ob ich lebend wiederkehre,

In Dobrzyn ist großer Tumult! Und die französischen Heere

Steh'n fern, – nun heißt es: warten, bis der Winter verstreicht!

Die Schlachta hält vermuthlich so lang' nicht aus! Vielleicht

Hab' ich für den Aufstand allzueifrig geworben!

Sie haben wohl schlecht verstanden! Der Schließer hat Alles verdorben!

Der Graf, der Tollkopf, soll sich nun in Dobrzyn befinden; –

Daß ich ihm nicht zuvorkam, geschah aus wichtigen Gründen;

Der alte Mathias hat mich erkannt; sagt er's nun Allen,

Dann ist mein Kopf unrettbar dem Federmesser verfallen,

Nichts hält den Schließer zurück! – Mein Kopf will wohl nichts heißen,

Doch würd' es das Gewebe des ganzen Complots zerreißen!

Doch muß ich hin, und wenn's mein Leben kosten soll,

Muß seh'n, was los ist; die Schlachta wird ohne mich ganz toll!

Leb' wohl, geliebtester Bruder! ich darf mich nicht verspäten.–

Fall' ich, wirst du allein für meine Seele beten!

Kommt es zum Krieg: vollende du, was ich begann; –

Du weißt ja Alles; – du heißest Soplica: denk' daran!«


Hier trocknet er die Thränen, setzt seine Kapuze auf,

Schließt seine Kutte, öffnet sacht das Fenster drauf, –

Springt in den Garten hinab, um rasch von dannen zu flieh'n,

Und einsam weint der Richter im Sessel vor sich hin.


Thaddäus wartet ein wenig, eh' er zu klopfen wagt,

Man öffnet, er tritt ein, verneigt sich tief und sagt:

»Ich hab' hier, liebster Oheim, kaum ein paar Tage verweilt,

Und, wie ein Augenblick, sind sie mir hingeeilt;

Es war zu kurz, um mich an Euch und Eurem Haus

Recht zu erfreu'n: und muß nun schon fort, ich muß durchaus –

Noch heute, höchstens morgen, – am Liebsten auf der Stell'.

Wir haben den Grafen gefordert, Ihr wißt's; nun, dies Duell

Ist meine Sache; hab' ihn auch schon zum Kampf entboten:

In Lithauen aber, wißt Ihr, ist das Duell verboten,

Drum muß ich in's Herzogthum Warschau, an die Grenze, reisen;

Der Graf, obwohl ein Prahlhans, wird sich nicht feig erweisen:[183]

Er wird gewiß am Platz sein; ich setz' mich mit dem Grafen

Dort auseinander, und werd' ihn, so Gott will, bestrafen;

Geh' über die Lososna hernach: am andern Strand

Erwarten mich die Brüder. – Ich soll, so viel mir bekannt,

Zum Heer, nach meines sel'gen Vaters letztem Willen, –

Wer hätt' ihn abgeändert? Nun will ich ihn erfüllen.«


Drauf Jener: »Bist du, Liebster, mit heißem Wasser verbrannt?

Drehst du dich, wie pfiffige Füchslein, die gewandt

Nach einer Richtung schwänzeln und nach der andern jagen?

Wir haben gefordert, wohl, – und müssen uns denn schlagen.

Doch weshalb so versessen? Warum denn auf der Stell'?

Man unterhandelt, schickt einander vor dem Duell

Die Freunde! Er kann sich ja zur Abbitte verstehen,

Es hat ja keine Eile, laß einige Zeit vergehen.

Oder treibt dich ein andrer Teufel aus dem Haus,

Wozu dann dieser Vorwand? – Rede frei heraus!

Ich bin dein Oheim, – bin alt: doch kenn' ich jungen Sinn,

Ich bin dir ein Vater gewesen,« – hier streichelt er ihn um's Kinn –

»Mir raunt's mein kleiner Finger schon zu: hast mit den Damen

Hier irgendwelche Kabalen – nun, in Henkers Namen!

Das junge Volk greift heute rasch zu – meiner Seel'!

Na, beichte mir, lieber Thaddäus – und offen, ohne Hehl!«


»Nun,« murmelt Thaddäus, »ja, es sind andere Gründe dabei!

Vielleicht hab' ich's verschuldet; sei's denn, wie es sei!

Ein Irrthum! ei nun! ein Unglück! das ist jetzt schwer zu heilen:

Nein, lieber Onkel, länger kann ich hier nicht weilen!

Ein Jugendfehl! Ich bitt' Euch, fragt mich nicht mehr darüber;

Fort muß ich aus Soplicowo – und je eher, je lieber.«


»Ho!« rief der Onkel aus, »ein Liebeshandel gewiß!

Ich sah, wie Jemand sich gestern auf die Lippen biß,

Und schielte dabei auf ein gewisses Mägdlein, – nicht?

Und auch das Mägdlein, sah ich, schnitt ein saures Gesicht.

Ich kenne die Narretheien: sind zwei Kinder verliebt,

Herrgott, was es da gleich für großen Jammer giebt!
[184]

Bald sind sie hoch im Himmel, bald wieder so schmerzzerrissen!

Bald beißen sie sich herum – weshalb? Gott mag es wissen!

Dann steh'n sie im Winkel – brummen – reden nicht ein Wort;

Zuweilen rennen sie gar in alle Felder fort!

Hat euch nun solch ein Raptus: so macht euch keine Beschwerden,

Seid nur geduldig, Kinder, euch kann geholfen werden.

Ich will euch in Kurzem versöhnen, ohne viel Federlesen, –

Kenn' diese Dummheiten: bin ja auch einmal jung gewesen.

Sag' mir nur Alles; ich werde dir dann auch vielleicht

Etwas entdecken, – so tauschen wir wechselseitig die Beicht'.«


»Onkelchen!« sagt Thaddäus und küßt ihm erröthend die Hand, –

»Ich will's gesteh'n: dies Mägdlein, – Ihr habt's wohl schon erkannt,

Euere Pflegetochter, Soschja, gefällt mir sehr,

Obwohl ich sie nur ein paar Mal geseh'n; – und, wie ich hör',

Ist's Euer Wille, ich möchte des Kämm'rers Tochter frei'n,

Ein schönes und reiches Mädchen. Nun kann das doch nicht sein,

Daß ich die Soschja liebe und mich mit Röschen vermähle;

Dem Herzen gebieten, ist schwer, und eine redliche Seele

Wär' nicht, wer Eine liebt und eine Andre freit:

So geh' ich denn fort, auf lange – mich heilt vielleicht die Zeit.«


»Mein Kind,« sagt Jener, »das muß ich ein seltsam Lieben nennen,

Von dem geliebten Wesen plötzlich davonzurennen!

Siehst du, es wär' eine Dummheit! Gut, daß du gegen mich

Wahr bist; was aber sagst du, wenn ich selber für dich

Um Soschja würbe? He? Machst keinen Freudensprung?«


Thaddäus schweigt; dann sagt er: »Wahrlich, Bewunderung

Erweckt mir Eure Güte – allein: was soll es frommen?

Vergeblich ist es! Mir ist alle Hoffnung genommen,

Frau Telimene gewährt mir nimmer Soschja's Hand.«

– »Wir werden sie bitten.«


»Niemand ist sie zu erweichen im Stand,«

Versetzte Thaddäus rasch – »ich kann nicht warten – nein!

Ich muß schnell fort – muß morgen schon auf der Reise sein;[185]

Gebt mir nur, theurer Onkel, Segen und Abschiedswort:

Alles ist fertig: ich reise in's Herzogthum, – sofort!«


Der Richter dreht sich den Schnurrbart und blickt ihn zornig an:

»So bist Du wahr? So hast du dein Herz mir aufgethan?

Erst jenes Duell, dann wieder die Liebe – und diese Reise!

Da ist ein Haken – da geht was nicht in richtiger Weise!

Ich hab' schon gehört, ich weiß von Seinen Schlichen genug –

Ein Windbeutel ist Er, ein Schwindler! Er sprach da Lug und Trug!

Wo ging Er denn neulich Abends gar so heimlich hinaus?

Was schnuppert' Er wohl damals, wie ein Spürhund, beim Haus?

Junge! hätt' Er etwa Soschja den Kopf verdreht,

Und macht sich nun fort? So wiss' Er, daß das nicht so geht!

Ob Er nun liebt, ob nicht: das merk' Er sich genau,

Was ich Ihm sage, – hört Er? Er nimmt die Soschja zur Frau!

Wenn nicht – den Kantschu! Morgen wird Er mit ihr getraut!

Der redet mir von Gefühlen! von treuer Lieb' – da schaut!

Ein Lügner ist Er! Pfui! Er wird sich schon bequemen,

Mir Rede zu steh'n – ich will Ihn bei den Ohren nehmen!

Heut' hatt' ich Unruh' genug! Der Kopf thut mir schon weh',–

Der stört mir noch den Schlaf! – Jetzt geh' zu Bette – geh'!«

Hier öffnet er weit die Thür – und ruft Protasius zu,

Er möge ihn entkleiden, er wolle nun zur Ruh'.


Gesenkten Haupts verläßt Thaddäus das Gemach,

Denkt über die ärgerliche Unterredung nach:

Das erste Mal, daß er so harte Schelte bekam!

Mit Recht wohl? Vor sich selbst erröthet er vor Scham.

Und wenn nun Soschja von Allem erfährt: was fängt er an?

Anhalten um sie? Was aber sagt Telimene dann?

Nein! Klar ist's, daß er hier nicht länger bleiben kann!


So hat er sinnend kaum einige Schritte gemacht: da tritt

Ihm etwas in den Weg; – sieh' da, mit schwebendem Schritt,

Mit ausgestrecktem Arme, naht ihm eine Gestalt,

Ganz weiß gekleidet, schlank und schmal: das Mondlicht wallt

Zitternd um die Erscheinung – nah' rückt sie auf ihn zu[186]

Und spricht mit leisem Seufzer: »Undankbarer du!

Mein Antlitz hast du gesucht, jetzt flüchtest du davor,

Hast meine Stimme ersehnt, jetzt schließest du dein Ohr,

Als hätt' ich Gift in den Worten, im Auge höllischen Bann:

Recht so! ich Thörin wußt' ja, wer du bist: – ein Mann!

Fremd aller Koketterie, nicht quälen wollt' ich dich:

Ich habe dich beglückt, – ist das dein Dank für mich?

Der Sieg über's weiche Herz, er machte dich hart wie Erz –

So rasch du es erobert, verwarfst du's auch, dies Herz!

Recht so! Aber nun, belehrt so fürchterlich,

Glaub' mir: noch mehr, als du, veracht' ich selber mich!«


Drauf er: »O Telimene, weiß Gott, hart war ich nie,

Noch meid' ich dich aus Verachtung – gewiß nicht! Aber sieh:

Man paßt uns auf, bemerkt uns – laß dich nur selber fragen:

Geht denn das so offen? Was werden die Leute sagen?

Das ist ja wider die Sitte, ist eine Sünde, weiß Gott –«

»Sünde!« erwidert sie und lächelt in bittrem Spott,

»O Unschuld! o Lämmchen! – Ich, ein Weib, ich acht' es nicht,

Ob man uns nun entdeckt und was man von mir spricht –

Mich kümmert's nicht, – weil ich liebe! und du, und du, ein Mann?

Was scheert's denn Einen von euch, auch wenn man sagen kann,

Er liebe zehn auf Einmal? Sag' offen, du willst Telimenen

Verlassen? Sag' die Wahrheit!« – Und sie zerfloß in Thränen.

– »Telimene, was würde die Welt von Einem sagen,

Der, jung und gesund, wie ich, sich jetzt, in solchen Tagen,

Auf's Land verkröche und – liebte! Da Alles zieht hinaus,

Burschen, ja Gatten, fort von Weib und Kind und Haus,

Dahin, wo man die Fahnen der Nation entrollt?

Und hängt es denn von mir ab, auch wenn ich bleiben wollt'?

Zum polnischen Heer befahl mich des Vaters letzter Willen,

Der Onkel trug mir nochmals auf, ihn zu erfüllen,

Ich bin entschlossen – morgen reis' ich ab: ich muß!

Und, Telimene, weiß Gott, ich bleibe beim Entschluß.«

»Ich«, versetzt sie, »will dir den Weg zu Ruhm und Ehren

Nicht hemmen, will dein Glück nicht hindern, noch verwehren;

Du bist ein Mann, du findest ein schön'res Weib auf Erden,[187]

Reicher, als ich, und würd'ger, von dir geliebt zu werden!

Nur laß, bevor wir scheiden, den Trost mir für mein Herz,

Daß du mich wahr geliebt, – daß es kein loser Scherz,

Kein Spiel der Begierde gewesen, die aufschäumt und zerstiebt,

Sondern Liebe – sag' mir: daß mich Thaddäus liebt!

Dies Wörtchen ›Liebe‹ – laß mich's noch hören aus deinem Mund,

Ich schreib' es ein, ich grab' es in meines Herzens Grund,

Leichter vergeb' ich, liebst du mich auch nicht fortan,

Wenn du mich nur geliebt!« – Sie fängt zu schluchzen an.


Wie sie so innig bittet und weint, und wie er hört,

Daß sie nur eine solche Kleinigkeit begehrt,

Wird er von Reu' und Mitleid wirklich tief gerührt, –

Und hätt' er jetzt im Grund der Seele nachgespürt,

Er wüßt' wohl selbst nicht, ob er sie liebte, oder nicht.

So wendet er sich denn wieder lebhaft zu ihr und spricht:

»Telimene, weiß Gott, der Donner soll mich erschlagen,

Wenn ich dich nicht sehr lieb gehabt – ich kann es sagen:

Geliebt. Wir haben nur wenige Stunden zusammen verlebt,

Doch die sind mir so süß, so traut vorübergeschwebt,

Sie haften in meinem Geiste lange noch, ja immer –

Und, weiß Gott, Telimene, ich vergess' dich nimmer!« –

Mit einem Sprunge fällt sie ihm um den Hals: »O Glück!

Das hab' ich gehofft, du liebst mich! mein Leben kehrt mir zurück!

Denn heute wollt' ich's enden mit meiner eignen Hand,

Liebst du mich, Trauter, – und wärst mich zu verlassen im Stand?

Ich gab dir mein Herz, ich geb' dir mein Hab und Gut, – ich werde

Überall hin dir folgen; jeder Winkel der Erde

Ist herrlich mit dir! Ach, keine Wildniß ist so wild,

Daß sie die Liebe nicht umschüfe zum Wonnegefild!«


Er reißt sich gewaltsam los: »Bist du bei klarem Sinn,«

Ruft er, »du willst mir folgen? ja wozu, wohin?

Schlepp' ich dich etwa mit mir als Marketenderin?

Ein einfacher Soldat?« – »Wir heirathen uns!« – »Nein, nein!

Nie! eine Ehe zu schließen fällt mir jetzt nicht ein,

Auch nicht zu liebeln; Possen! wir wollen das endlich lassen,[188]

Besinne dich doch, Theu're, wolle dich nur fassen,

Ich bin dir dankbar, aber: heirathen, du und ich!

Das geht nicht. Lieben wir uns, aber so – Jeder für sich.

Fort muß ich, bleibe nicht länger! – Das ist mein fester Entschluß.

Leb' wohl, meine Telimene, morgen reis' ich, – ich muß!«


Sprach's, drückt' den Hut auf und hat sich schon zum Geh'n gewandt;

Doch Telimene hält ihn mit Blick und Miene gebannt;

Wie der Medusa Haupt, fest hält's ihn mit Gewalt:

Er kann nicht fort, geängstigt blickt er auf ihre Gestalt.

Bleich stand sie, ohne Leben, athem- und regungslos;

Dann reckte sie die Hand aus, wie ein Schwert zum Stoß,

Und rief, den Finger g'radhin auf sein Aug' gestreckt:

»Das wollt' ich! ha, Drachenzunge! nun hab' ich dich entdeckt;

Schlangenherz! Das ist Nichts, daß ich, für dich entbrannt,

Dem Notar, dem Assessor, dem Grafen widerstand;

Daß du mich verlockt und nun in Gram und Leid,

Verläßest – du bist ein Mann, ich weiß ja, was ihr seid!

Ich weiß, du brächest die Treue, wie sie ein anderer bricht:

Doch, daß du so ehrlos zu lügen verstehst, das wußt' ich nicht!

Ich hab' an der Thür gehorcht, als du mit dem Ohm gesprochen:

Also dies Kind, die Soschja, hat dir in's Aug' gestochen?

Ihr stellst du nach? kaum, daß dir Eine zum Opfer fiel:

Suchst du, – vor ihren Augen! – ein neues Opfer zum Ziel?

Flieh! doch überallhin wird dich mein Fluch begleiten!

Oder bleib': ich enthülle all' deine Schändlichkeiten;

Nach mir verlockst du And're mit deinen Künsten nicht,

Fort! dich veracht' ich! du bist ein Lügner, ein niedriger Wicht!«


Auf diese Beleidigung, tödtlich für eines Schlachcic Ohr,

Und wie sie ein Soplica noch nie gehört zuvor,

Erbebt er, erbleicht, – ein Weilchen versagt ihm jedes Wort,

Dann stampft er und knirscht hervor: »Närrin!«, und eilet fort.


Doch dieses Wort, dies »niedrig« – wie hallt es wieder, wie wühlt's

In seinem Herzen, – er schaudert: es war gerecht, er fühlt's!

Er that ihr große Unbill, das muß er sich wohl sagen, –[189]

Sie hatte, ruft sein Gewissen, ein Recht ihn anzuklagen.

Doch fühlt er, wie jetzt noch mehr all' seine Neigung verblich.

An Soschja wagt er gar nicht zu denken: er schämte sich –

Ach, diese Soschja! so traut, so hold an Seel' und Leib!

Der Oheim warb sie für ihn, sie wär' vielleicht sein Weib:

Wär' nicht der Satan, der ihn von Sünd' in Sünden stieß,

Aus Lügen in Lügen verflocht, zuletzt ihn höhnend verließ!

Im Nu seine Zukunft verscherzt, von Allen verachtet, gescholten, –

Er fühlt' es, seine Unthat wird ihm gerecht vergolten.


In diesem Sturm der Gefühle ergreift er auf einmal schnell

Als Friedensanker den einen Gedanken: Das Duell, –

»Den Grafen ermorden!« ruft er voll Wuth, »den elenden Wicht!

Tod oder Rache!« – Aber wofür? er weiß es nicht;

Und wie ihm der Zorn entflammt ist, so ist er im Augenblick

Verflackert. Tiefster Jammer kehrt in sein Herz zurück,

Er denkt sich: »Was ich vermuthet, wär's etwa wirklich vorhanden,

Hätten der Graf und Soschja sich wirklich schon verstanden? –

Und wenn? er liebt sie vielleicht in wahrer Herzenswahl –

Vielleicht liebt sie auch ihn und nimmt ihn zum Gemahl;

Mit welchem Rechte wollt' ich diesem Bunde wehren,

Und, selber unglückselig, And'rer Glück zerstören?«


Verzweiflung faßt ihn, er sieht kein anderes Mittel ab,

Als schnelle Flucht, – wohin? er weiß nur Eins: das Grab.


Die Faust auf die gesenkte Stirn gepreßt, so eilt er

Fort in die Au, zu jenen Teichen; – hier verweilt er:

Am schlammigen blieb er steh'n; in seinen grünlichen Grund

Versenkt er gierig die Blicke, weit öffnet er den Mund,

Athmet die moorigen Düfte ein mit voller Brust;

Denn der Selbstmord ist, wie jede wilde Lust,

Erfinderisch; er fühlt, von blindem Taumel erfaßt,

Unsägliche Gier, sich zu ertränken im Morast –


Doch Telimene, die aus seiner Haltung erkannt,

Was in ihm tobt, und sah, wie er an's Wasser gerannt,[190]

Wird doch, trotz ihrer großen und gerechten Wuth,

Von Angst erfaßt, – ihr Herz war ja im Grunde gut.

Es schmerzt sie, daß er gewagt ein anderes Weib zu lieben:

Sie hätt' ihn gerne bestraft, doch nicht in den Tod getrieben. –

So lief sie ihm denn nach, erhob die Hände und schrie:

»Halt! Dummkopf! lieb' oder nicht, heirathe oder flieh' –

Nur halt!« Er aber war schon weit vorausgerannt;

Eh' sie ihm nachkam, stand er an des Teiches Rand.


Ein seltsames Schicksal fügt's, daß, von den Jockey's begleitet,

Der Graf zur selben Stunde am selben Ufer reitet.

Der Zauber der hellen Mondnacht fesselt seinen Blick,

Sein Ohr ist berauscht von jener wundersamen Musik

Unter dem Wasser, – von jenen Äolsharfenchören;

(Nirgends kann man die Frösche so schön, wie in Polen, hören).

So hält er denn still, vergißt an seinen Kriegszug gleich:

Aufmerksam lauscht sein Ohr den Tönen aus dem Teich,

Sein Aug' schweift über die Fluren, über des Himmels Gefild:

Gewiß entwirft er im Geist ein nächtliches Landschaftsbild. –

Und in der That, die Gegend war malerisch, wunderbar:

Die beiden Teiche neigten, wie ein Liebespaar,

Ihr Antlitz gegeneinander; – der zur Rechten hat

Wellen, wie Mädchenwangen, klar und rein und glatt.

Der Linke, ein wenig dunkler, gleich wie Jünglingswangen,

Gebräunt und schon ringsum von männlichem Flaum umfangen.

Der Teich zur Rechten von gold'nem Sande rund umglänzt.

Als wie von lichtem Haar; – des Linken Stirn umkränzt

Stachliges Röhricht und hängende Weiden bis zum Rand;

Beide überhüllt weithin ein grün Gewand.


Sie reichen einander zwei Bäche, wie zwei Hände zum Bund:

Die schließen sich, drücken sich innig: der Bach fällt ab in den Grund –

Fällt ab, doch schwindet er nicht; denn in des Grabens Dunkel

Trägt er auf seinen Wellen des Mondes goldig Gefunkel.

Das Wasser fällt in Stufen; auf jeder Stufe zittert

Das Licht in glitzernden Garben; – in kleine Streifen zersplittert.

Wird's von der Flut erfaßt, wird niedergezogen gleich:[191]

Und wieder fällt von oben der Mondglanz, hell und reich.

Du meintest, eine Wassernixe sitzt am Teich, –

Ergießt mit der Rechten aus bodenlosem Krug die Quelle,

Und mit der Linken nimmt sie das Zaubergold, das helle,

Aus der Schürze, und streut es spielend in die Welle.


Dem Graben entronnen, schlängelt sich des Stromes Flut

Weit durch's Gefild, – wird stiller: doch sieht man, daß er nicht ruht.

Denn auf der sanftbewegten, zitternden Wellenhülle

Blinkt stets in länglichen Streifen des Mondes Strahlenfülle.

Wie jener Giwojtos, die schöne samogitische Schlange,

Im Gras zu schlummern scheint, indeß sie in sachtem Gange

Fortkriecht, – denn bald goldig, bald silbern schimmert die Haut,

Bis sie plötzlich verschwindet in Moos und Farrenkraut:

So schlängelt sich der Strom, im Erlenwald versteckt,

Der sich am Horizont, ein dunkler Saum, erstreckt, –

In leichten, unbestimmt verfließenden Formen erhoben,

Geistern gleich, halb sichtbar, halb von Gewölk umwoben.


Zwischen den Teichen versteckt, sitzt eine Mühle: – so kauert

Ein alter Vormund, wenn er ein Liebespaar belauert,

Er hört sie plaudern, wüthet, fährt aus mit Kopf und Händen,

Brummt Drohungen hervor und poltert nach allen Enden:

So hat nun die Mühle plötzlich ihr moosiges Haupt bewegt,

Und schwingt die fingerreiche Faust umher, und schlägt

Mit ihren zahnigen Kiefern; – Ein Klappern: und sogleich

Erstickt's die Liebeszwiesprach zwischen Teich und Teich,

Und weckt den Grafen auf.


Wie er so nahe hier

Den jungen Thaddäus sieht bei seinem Hauptquartier, –

Ruft er: »Zum Säbel! packt ihn!« Die Jockey's springen heran,

Und hurtig, eh' der Jüngling sich's versehen kann,

Ergreifen sie ihn. Sie rennen in's Haus, zum Vorhof hinein,

Alles erwacht, die Hunde bellen, die Wächter schrei'n –

Hereilt halb angekleidet der Richter, sieht die Schaar,

Bewaffnet! – meint, es sind Räuber: da wird er den Grafen gewahr.
[192]

»Was soll das?« fragt er. Der Graf zückt über ihn den Degen,

Doch wie er ihn wehrlos sieht, beginnt sich sein Eifer zu legen:

»Soplica,« ruft er, »Erbfeind meines Geschlechts! zu rächen

Gedenk' ich nun deine alten, wie deine neuen Verbrechen!

Rechenschaft giebst du mir heut' von meinem geraubten Gut,

Bevor ich meine Ehre reinwasche in deinem Blut!«


Der Richter bekreuzt sich: »Im Namen des Vaters, des Sohnes: sprecht!

Was soll das? – seid Ihr ein Mörder? Pfui! ist das Fug und Recht?

Herr Graf, verträgt sich das mit Eurem hohen Stand,

Mit Euerer Erziehung, mit Eu'rer Stellung im Land?

Ich werde kein Unrecht dulden!« Jetzt kam die Dienerschaft

Mit Stöcken und Flinten, die sie rasch zusammengerafft;

Fern steht der Wojski, forschend blickt er die ganze Zeit

Dem Grafen in's Aug' – und hält das Messer im Ärmel bereit.


Zum Kampf denn! Aber der Richter verhindert die Gegenwehr,

Sie wär' vergeblich – neue Feinde kommen daher:

Zwischen den Erlen blinkt es, es knallt ein Büchsenschuß!

Von Pferdehufen erdröhnt die Brücke über dem Fluß!

»Auf, wider die Soplica's!« scholl tausendstimmiges Brausen, –

Das ist Gervasius' Schlachtruf! den Richter faßt ein Grausen.

»Dies,« rief der Graf, »ist Nichts! bald kommen unser mehr!

Meine Verbündeten sind's! Ergebt Euch ohne Wehr!«


Da läuft der Assessor herbei und ruft mit aller Kraft:

»Im Namen des Kaisers, Graf, ich nehm' Euch jetzt in Haft!

Gebt Euren Degen ab! Sonst hol' ich bewaffnete Macht:

Wißt Ihr, daß wer bewaffnet eindringt in der Nacht,

Daß der nach Ukas Tausendzweihundert, wie ein Dieb –«

Noch war's nicht heraus, als ihn der Graf mit flachem Hieb

In's Antlitz trifft, so daß er betäubt in die Nesseln fällt,

Und Alles ihn für todt oder verwundet hält.


»Also Gewaltthat!« ruft der Richter, – Alles stöhnt,

Doch Alles wird von Soschja's Schreien übertönt,

Die wie ein Kind, das Juden mit Nadeln stechen, jammert

Und sich mit beiden Armen um den Richter klammert.
[193]

Frau Telimene stürzt sich indessen zwischen die Pferde,

Ringt vor dem Grafen die Hände, kreischend, mit wilder Gebärde,

Mit aufgelöstem Haar, zurückgebeugtem Haupt:

»Bei deiner Ehre! bei Allem, woran du je geglaubt:

Wir bitten dich auf den Knieen! die Damen fleh'n dich an:

Wagst du es abzuschlagen? Wütherich, grausamer Mann!

Uns mußt du zuerst ermorden!« – Und mit einem Schrei

Fällt sie in Ohnmacht. Der Graf eilt ihr zu Hilf' herbei,

Verwundert und auch ein wenig verwirrt durch diese Scene:

»Fräulein Soschja!« ruft er, »Madame Telimene!

Mein Degen wird nie durch's Blut wehrloser Menschen entehrt!

Ihr Soplica's, ihr seid nun zu meinen Gefang'nen erklärt:

So macht' ich's in Italien, an jener Felsenwand,

Von den Sicilianern Birbante-Rocca genannt,

Als ich das Räuberlager erstürmt: was Waffen getragen,

Ließ ich tödten, die Andern wurden in Ketten geschlagen,

Sie mußten hinter den Rossen in meinem Triumphzug prangen,

Dann wurden sie am Fuß des Ätna aufgehangen.«


Die Schlachta – für die Soplica's war's ein besondres Glück –

War hinter dem Grafen wenigstens eine Meile zurück;

Er wollte zuerst in den Kampf, hatt' auch viel flink're Rosse

Und jagte denn Allen voran mit seinem Jokey-Trosse.

Der bildete, disciplinirt und folgsam, wie er war,

Gewissermaßen eine reguläre Schaar;

Die Schlachta jedoch war eben ein Insurgentenheer:

Tumultuos – und liebte das Hängen gar zu sehr.


Der Graf hat sich nun abgekühlt und nachgedacht; –

Er hätte gern den Kampf unblutig zu End' gebracht:

Läßt drum die Soplica's, als Kriegsgefang'ne, im Haus

Einsperren, – an den Thüren stellt er Wachen aus.


Da: »Auf, wider die Soplica's!« – Die Schaaren der Schlachta kommen,

Stürzen auf's Haus, umringen's und haben's im Sturm genommen:

Freilich war's ohne Commando und die Besatzung zerstoben.

Nun suchen die Sieger nach Feinden, um sich auszutoben.
[194]

Das Haus ist zu; so rennt man in's Vorwerk, in die Küche:

Und hier – der glimmende Heerd! die Töpfe! die Wohlgerüche

Der frischen Speisen, die Allen in die Nase dringen!

Das Knuspern der Hunde, die den Rest des Mahls verschlingen!

Aller Herzen ergreift es: nun ist Alles vergessen,

Der Grimm verraucht: Ein Wunsch nur erwacht, der Wunsch, zu essen!

Müd' sind sie von der Besprechung und vom Marsch: dreimal

Ertönt's denn »Essen, essen!« in einträchtigster Wahl.

»Trinken, trinken!« ertönt ein zweiter Ruf indessen:

Zwei Chöre schallen – die Einen: »Trinken!«, die Andern: »Essen!«

Fortbraust der Ruf; wohin das Echo ihn getragen,

Macht's alle Gaumen wässern, weckt Hunger in allen Magen:

Die Losung der Küche beginnt den Feldzug zu regieren,

Und die Armee zerstreut sich, um zu fouragiren.


Gervasius kann aus Rücksicht auf die Wache des Grafen,

Die ihn vom Zimmer wegdrängt, den Richter nicht bestrafen.

Da man nun so den Feind vor seiner Rache bewahrt:

Gedenkt er des andern Zieles dieser Heeresfahrt:

Er möchte den Grafen, als kluger, gesetzeskundiger Mann,

Legal und formal in's neue Besitzthum, das er gewann,

Einsetzen; müht sich lange, Protasius aufzujagen:

Jetzt packt er ihn hinter dem Ofen, – nimmt ihn also beim Kragen,

Schleppt ihn gleich mit sich in den Hofraum, setzt ihm dort

Das Federmesser auf's Herz und nimmt also das Wort:

»Herr Gerichtsfrohn, der Graf wagt es von Euch zu begehren

Ihr mögt vor der Schlachta seine Besitzergreifung er klären

Vom Schlosse der Soplica, ferner von Hof und Feld,

Vom Gut und allen Äckern, bestellt und unbestellt,

Mit einem Wort, cum Hainis, Forstis, Feldgraenzebus,

Baueribus, Gehoeftis, et omnibus rebus,

Et quibusdam aliis. Wie du's weißt, so bell'!

Laß mir nichts aus!« – »Herr Schließer,« versetzt Protasius schnell

Und steckt die Hand in den Gurt, »laßt nur, ich bin, wenn nöthig,

Aufträge aller Parteien zu erfüllen erbötig:

Doch sag' ich Euch, der Akt hat keinen gesetzlichen Werth,

Ist er gewaltsam erzwungen und in der Nacht erklärt.«[195]

»Gewaltsam!« sagt der Schließer, »Gewalt giebt es da nicht,

Ich bitt' Euch ja ganz artig, – und fehlt's Euch etwa an Licht:

Schlägt Euch mein Federmesser Feuer im Moment,

Daß es im Aug' Euch, wie in sieben Kirchen, brennt.«

»Gerväschen,« sagt Protasius, »warum sich so erhitzen?

Ich bin ein Frohn, ich habe nicht zu Gericht zu sitzen.

Der Frohn wird von der Partei bekanntlich aufgefordert,

Diese dictirt, er redet, wie sie ihn beordert.

Er ist Gesetzes-Bote, und Boten straft man nicht.

Laßt mich denn frei, ich schreib' den Akt; ich brauch' nur Licht,

Bring' Einer eine Laterne, dann schreib' ich immer zu –

Und indessen ruf' ich: Brüder, haltet Ruh'!«


Um mächt'ger zu sprechen, war er auf einen Stoß gestiegen

Von Balken, die am Gartenzaun zum Trocknen liegen;

Er kroch hinauf, und flugs, als hätt' ihn der Wind verweht,

Versinkt er; – man hört im Kohl ihn niederplatzen auf's Beet,

Über die dunklen Stauden des Hanfes gleitet schnell

Die weiße Conföderatka, wie ein Täubchen hell;

Gießkännchen gab auf die Mütze einen vergeblichen Schuß –

Da knacken die Stangen, im Hopfen ist schon Protasius:

»Ich protestire!« rief er, jetzt war er ohne Sorgen,

Denn hinter Moor und Röhricht war seine Flucht geborgen.


Nach diesem Protest, der laut ertönt war, wie der Schall

Des letzten Kanonenschußes auf erobertem Wall,

Giebt's Niemand mehr im Hause, der noch widersteht;

Die hungrige Schlachta packt und plündert, was nur geht:

Der Täufer hat im Viehstall Position genommen,

Ein Ochs, zwei Kälber haben's mit dem Wedel bekommen,

Indeß Scheermesser ihnen die Kehlen zerschnitten hat;

Auch Ählchen gebraucht die Klinge, sticht unter's Schulterblatt

Der Ferkel und Hämmel. Schon ist das Federvieh bedroht:

Die wachsamen Gänse, die Rom gerettet in der Noth,

Schnattern vergebens um Hilfe, kein Manlius will erscheinen:

Gießkännchen rast im Kotter, er packt und würgt die einen,

Die andern bindet er an seinen Gürtel lebendig;[196]

Sie drehen vergebens die Hälse, schreien und gröhlen unbändig,

Vergebens zwicken und pfeifen die Gänseriche, – er läuft

Dahin, vom sprühenden Flaume ringsum überhäuft,

Von Flügeln, wie von Rädern, getragen und umkreist,

Gleich dem geflügelten Chochlik, dem bösen Höllengeist.


Aber das grausigste Blutbad, wenn auch das wenigste Toben

Herrschte unter den Hennen. Dort hat sich Sack erhoben:

Er fängt sie mit Strickchen ein und zieht aus den Steigen von oben

Schopfhennen und Strupphennen und kleine Hähne herauf,

Würgt Eines nach dem Andern und legt sie dann zu Hauf; –

Das schöne mit Perlengraupen gefütterte Federvieh!

Sack! welche Thiere würgst du? Soschja fütterte sie!

Verblendeter! nun versöhnst du die zürnende Soschja nie!


Gervasius erinnert sich an vergang'nes Leben:

Er läßt sich von der Schlachta drei Kontusz-Gürtel geben,

Und aus Soplica's Keller schleppt er an ihnen herein

Fäßer mit altem Schnaps, mit Bier und Sauerwein.

Die einen entpfropft man gleich, die andern packt der Troß

Die Schlachta, dicht wie Ameisen, und wälzt sie flink in's Schloß,

Wohin sich nun zur Nachtruh' der ganze Haufe bewegt, –

Denn dorthin ward des Grafen Hauptquartier verlegt.


Man zündet hundert Feuer an, kocht und brät und bäckt,

Es strömen die Getränke; die Tische, von Fleisch bedeckt,

Biegen sich, – denn die Schlachta will mit Klingen und Singen,

Mit Essen und mit Trinken diese Nacht verbringen.

Doch langsam nickt man ein, gähnt immer mehr und mehr,

Ein Aug' um's and're erlischt, man wackelt hin und her,

Alle Köpfe wackeln, Alles fällt vom Sessel,

Jeder liegt, wo er saß: mit der Schüssel, am Kessel,

Bei einem Ochsenziemer, wie sich's eben traf, –

Also besiegte die Sieger der Bruder des Tods, der Schlaf.

1

Das bei den Astronomen unter dem Namen »Großer Bär« bekannte Sternbild.

2

Aufgefundene Reste fossiler Skelette (die das Volk für die Gebeine von Riesen hält), pflegt man in den Kirchen aufzuhängen.

3

Der denkwürdige Komet vom J. 1811.

4

Der Ex-Jesuit, Pater Poczobut, ein berühmter Astronom, gab ein Werk »Über den Zodiacus in Dendera« heraus und war dem Lalande bei dessen Berechnungen des Mondlaufs mit seinen astronomischen Beobachtungen behilflich. Vgl. seine Biographie vom Astronomen Johann Sniadecki.

5

Eigentlich: von Nassau-Siegen, ein seinerzeit berühmter und Haudegen und Abenteurer. Er war russischer Admiral und besiegte die Türken auf dem Dniepr-Liman bei Oczakow; später wurde er selbst von den Schweden auf's Haupt geschlagen. Er lebte eine Zeit lang in Polen, wo er das Indigenat erhielt. Von seinem Kampf mit dem Tiger las man damals in allen Zeitungen Europas.

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 173-197.
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