Sechster Gesang.
Der Edelweiler.1

[137] Die ersten kriegerischen Anzeichen des Einritts. – Protasius' Expedition. – Robak beräth mit dem Herrn Richter über die öffentlichen Angelegenheiten. – Fortsetzung der, erfolglosen, Expedition des Protasius. – Abschnitt über den Hanf. – Der Edelweiler von Dobrzyn. – Beschreibung der Häuslichkeit und der Person des Matschek Dobrzynski.


Lichtlosen Tag im Auge, schleicht aus dem Nebelflor

Ein Morgen ohne Röthe trägen Schritts hervor.

Längst war der Tag entstanden, und ist doch sichtbar kaum;

Gleich wie das Strohdach über'm dürftigen Hüttenraum

Des Lithauers, hängt der Nebel über dem Erdenland;

Die Sonne stand schon auf; das zeigt der hellere Rand

Im Ost: man muß sie von dort herniedersteigen seh'n, –

Doch unfroh geht sie einher und schlummert ein im Geh'n.


Und wie am Himmel, verspätet sich Alles auf der Erde;

Später, als sonst, bricht heut' zur Weide auf die Heerde,

Und trifft im Feld die Hafen beim späten Frühstücksmahl.

Die schlüpfen sonst in die Haine beim ersten Morgenstrahl;

Heut' knappern unterm Schutze des Schleiers, der sie umfängt,

Die Einen am Vogelkraut, – paarweis zusammengedrängt,

Scharren die Andern Grübchen und meinen in ruhigem Glück

Im Freien zu bleiben – doch treibt sie das Vieh in den Wald zurück.
[138]

Der Wald auch schweigt. – Der Vogel erwacht, doch singt er nicht,

Er schüttelt den Thau vom Fittig, schmiegt an den Baum sich dicht,

Drückt den Kopf in die Schultern, schließt in halbem Wachen

Das Aug' und harrt der Sonne. Dort klappert, an fernen Lachen,

Der Storch. Da haben sich Krähen ganz naß auf's Heu gesetzt,

Aufsperrt der ganze Haufe das Maul und schwätzt und schwätzt,

Sie bringen schlechtes Wetter, sind drum dem Landwirth ein Graus –

Der Landwirth zog schon längst in's Feld zur Arbeit hinaus.


Schon singen die Schnitterinnen ihren gewohnten Gesang,

Gleich einem Regentag, einförmig, düster, bang:

Ohn' Echo versickert's im Nebel – das trübt noch mehr den Klang.

Die Sicheln rauschen im Korn, die Au stimmt ein, es summet

Der Schnitterchor fortwährend sein Lied im üppigen Grummet,

Am Ende jeder Strophe halten sie inne – schwingen

Die Hämmer und schmieden im Takt und schärfen die Sensenklingen.

Die Leute sieht man nicht, der Nebel entzieht sie dem Blick, –

Nur Sicheln hört man und Lieder, wie unsichtbare Musik.


Der Ökonom, auf eine der Garben niedergelassen,

Langweilt sich, dreht sich herum, ohne recht aufzupassen,

Blickt auf den Fahrweg hin, hin nach dem Scheidewege, –

Was geht nur vor? heut' ist's dort ganz besonders rege.


Welch Leben auf Weg' und Straßen schon seit Tagesbeginn!

Dort knarrt ein Bauernfuhrwerk rasch, wie die Post, dahin;

Da eine Schlachcickalesche, dort im Galopp eine zweite,

Noch eine rasselt von drüben – und von der linken Seite

Sieht man einen Boten im Courierschritt laufen;

Rechts galoppirt im Wettlauf ein ganzer Reiterhaufen:

Fort eilen sie alle, sind bald nach allen Enden zerstoben;

Was soll's? – Der Ökonom hat sich vom Sitz erhoben,

Will schauen, fragen, – doch es bleibt ihm Keiner stehen,

Wie lang' er harrt und ruft; – kein Antlitz klar zu sehen

Im Nebelflor; wie Schatten flieh'n vorbei die Reiter,

Nur dumpfen Hufschlag hört man, bald näher und bald weiter –

Und wundersamer noch: es klirren Säbel und Degen:[139]

Wie muß das dem Ökonomen Lust und Schrecken erregen!

Denn herrscht' auch damals in Lithauen Ruh': – im Land ringsum

Liefen doch schon seit Langem dumpfe Gerüchte um:

Von Krieg, – von den Franzosen, – Dombrowski – Napoleon:

So künden sie Krieg, die Reiter, und dieser Waffen Ton?

Der Ökonom läuft hin, um Alles dem Richter zu sagen

Und, wie er hofft, auch selber etwas zu erfragen.


In Soplicowo waren nach der stürmischen Nacht

Hausbewohner und Gäste mißmuthig und trüb' erwacht.

Ob auch des Wojski Tochter zum Kartenlegen die Damen

Einlädt, ob auch die Herrn ein Spiel Mariage bekamen:

Niemand will sich zerstreuen – man sitzt in die Ecke gedrückt,

Die Männer rauchen Pfeifen, der Kreis der Damen strickt,

Die Fliegen selbst schlafen.


Den Wojski langweilt die dumpfe Ruh',

Hinwirft er die Klappe, gesellt sich dem Gesinde zu,

Hört lieber die Wirthschafterin, die durch die Küche wettert,

Die johlenden Jungen, den Koch, wie er da prügelt und zetert,

Bis ihn der Bratenspieße einförmig Drehen zuletzt

Langsam in angenehme Träumerei versetzt.


Von Früh an sitzt der Richter eingeschlossen und schreibt,

Während der Frohn im Vorraum unter dem Fenster bleibt.

Der Richter ruft ihn: beendet ist die Citation;

Die Klage wider den Grafen liest er mit mächtigem Ton:

Ihn klagt er auf Ehrenkränkung, Schmähreden – Gervasius

Auf offene Thätlichkeiten, – Beide lädt er, zum Schluß,

Von wegen der Drohungen und der Kosten, in Person

Vor's Burggericht in Strafsachen. Diese Citation

Muß mündlich und augenscheinlich noch heut' vor Tageswende

Zugemittelt werden. Ausreckt Ohren und Hände

Ganz feierlich der Frohn, wie er die Klage erblickt –

Wär' gern in die Höh' gesprungen, so war sein Herz entzückt –

Doch stand er würdig da. Beim bloßen Gedanken schon

An einen neuen Proceß fühlt sich der alte Frohn[140]

Wie neugeboren – er denkt, wie er in frühern Tagen

Vorladungen und Klagen zu den Parteien getragen,

Wobei es für ihn viel Schläge, doch auch viel Gold gegeben; –

Wie der Soldat, der ein im Krieg durchtobtes Leben

Im Krüppelspital beschließt, – wenn eine Trompete einmal,

Wenn eine Trommel von ferne herklingt in's Hospital,

Hurtig vom Bette auffährt und ruft im Traum: »Hau' ein!

Hau' den Russen!« – und springt hinaus auf dem hölzernen Bein,

So schnell, daß ihn ein Jüngling kaum erreichen kann.


Rasch legt Protasius die Frohngewänder an;

Zupan und Kontusz aber läßt er heut' zu Haus, –

So rückt er bloß bei großer Gerichtsparade aus; –

Jetzt nimmt er den Reiseanzug: Reithosen, lang und weit,

Die Kurtka, – bald ein kurzes, bald ein langes Kleid,

So wie man die Schöße hinaufknöpft oder niederläßt,

Die Klappenmütze, – ein Schnürchen hält oben die Klappen fest,

Man zieht sie bei Regen hinunter, bei schönem Wetter hinauf; –

Dann nimmt er den Knotenstock und bricht zu Fuße auf.

Ein Frohn muß vor dem Proceß sich in Gestalt und Tracht

Vielfach vermummen, wie Spione vor der Schlacht.


So eilt er fort, – und wahrlich, nöthig war die Eile,

Sonst währte seine Freude nur gar kurze Weile:

Zu Haus trat eine Wandlung im Feldzugsplane ein;

Robak stürzt zum Richter ganz erregt herein:

»Hört, Richter! daß der Kuckuck diese Tante hätte,

Diese Frau Telimene, die flatterhafte Kokette!

Wie Soschja zurückgeblieben, ein Kind in dürftigem Stand,

Gab Jacek ihre Erziehung in Telimene's Hand,

Sie galt als ein gütiges Wesen, mit Welt und Leben vertraut:

Nun seh' ich, daß sie da etwas Ungehöriges braut,

Intriguen um Thaddäus spinnt – ich geb' wohl Acht; –

Kann sein auch, daß sie sich an unsern Grafen macht,

Oder an Beide zugleich, – da gilt's, sich umzusehen,

Wie man sie los wird; sonst kann draus ein Klatsch entstehen

Bös Beispiel, und zwischen den jungen Leuten Zwistigkeiten,[141]

Die Eurem Rechtsvergleich leicht Hindernisse bereiten.«

»Vergleich?« rief hitzig der Richter, »davon wird nicht mehr gesprochen,

Jetzt ist Alles aus – Alles ist abgebrochen.«

»Was?« fällt Robak ein, »seid Ihr bei klarem Verstand?

Was schwätzt Ihr mir da wieder? Welch neuer Krawall entstand?«

»Ich bin nicht schuld,« sagt Jener, »das geht bald klar hervor,

Der Graf hat den Streit veranlaßt, der aufgeblasene Thor, –

Der Schuft von Schließer! – Doch das ist Sache des Tribunals,

Schad', daß Ihr nicht im Schloß wart, während des gestrigen Mahls,

Ihr wärt mein Zeuge, wie grausam mich der Graf verletzt!«

»Wer hat Euch auch,« schrie Robak, »in jenes Nest gehetzt?

Ihr wißt, ich kann's nicht leiden; nun soll's mein Leben lang

Mein Fuß nicht mehr betreten! Gott's Zorn! Ein neuer Zank!

Was gab es denn? Erzählt; man muß die Sache schlichten.

Mich widern sie schon an, all' diese dummen Geschichten;

Immer nur Zänker vergleichen! hab' Wichtigeres zu thun!

Doch will ich's nochmals.« – »Vergleichen! laßt mich, zum Kuckuck, ruh'n!«

Fährt Jener stampfend auf, »das hab' ich nun satt bekommen!

Seht nur den Mönch! weil ich ihn artig aufgenommen,

Führt' er mich gern bei der Nase – nun bleib' ich aber verschont!

Wißt, die Soplica's sind Vergleiche nicht gewohnt; –

Klagen sie: müssen sie siegen! – oft haben sie's fortgesponnen

Bis in's sechste Geschlecht, und haben dann doch gewonnen.

Ich hab', auf Euren Rath, schon dumm genug gethan,

Und rief zum dritten Mal die Grenzgerichte an;

Von heut' an kein Vergleich! Nein, nimmer, nimmer, nimmer!« –

Mit beiden Füßen stampfend, schritt er durch das Zimmer, –

»Zudem die gestrige Grobheit! Dafür muß der Gesell

Entweder Abbitte leisten, oder – ein Duell!«

»Doch wenn es Jacek erfährt, Richter, was kommt da heraus?

Er stirbt ja vor Verzweiflung! Hat der Soplica Haus

Noch nicht genug des Unheils in diesem Schloß gestiftet?

Bruder, des schrecklichen Falls, der Jacek's Leben vergiftet,

Gedenk' ich nicht – doch wißt ihr, dann nahm Targowica2

Dem Erben ein Theil der Güter und gab es den Soplica;

Der reuige Jacek mußt' es in der Beichte schwören,

Zu schaffen, daß diese Güter dem Erben wieder gehören;[142]

Drum nahm er Soschja, Horeszko's arme Erbin, in Pflege,

Zahlt' viel für ihre Erziehung, brächt' es auch gern zuwege,

Daß sie seinen Thaddäus sich zum Gatten wählt:

Die feindlichen Häuser wären dann brüderlich vermählt,

Und, ohne Schande für ihn, der Raub zurückgegeben.«

»Was,« rief der Richter, »scheert das mich? Hab' nie im Leben

Jacek gekannt – bin nie mit ihm zusammengekommen;

Von seinem Kosakenleben hab' ich kaum vernommen:

War damals in der Rhetorik als Jesuitenscholar,

Und diente dem Wojewoden später mehrere Jahr!

Man gab mir Güter, ich nahm sie; er sprach: nimm Soschja in Pflege,

Ich that's, – erzog sie, denke an ihre weitern Wege –

Mich langweilt sie genug, die ganze Ammenmähr'!

Und dann – was Teufel kam mir dieser Graf daher?

Mit welchem Recht in's Schloß? Ihr wißt doch, diese Puppe

Ist, als Horeszko betrachtet, zehnmal verdünnte Suppe!3

Und er mich schmähen? Und ich ihn bitten zum Friedensbund?«

»Bruder,« versetzt der Mönch, »das hat doch wichtigen Grund!

Du weißt, erst hätte Jacek gerne seinen Sohn

Zum Heer geschickt, dann ließ er ihn hier; – der Grund davon?

Er wird dem Vaterland zu Hause nöthiger sein;

Du hast gewiß gehört, wovon man schon allgemein

Jetzt spricht, wovon ich oft dir Kunde zugetragen:

Nun ist's schon Zeit, ja Zeit ist's, Alles nun zu sagen!

Gewichtige Dinge, Bruder! Krieg! Krieg bricht bald herein!

Der Krieg um Polen! Bruder! Wir werden Polen sein!

Krieg zweifellos! Als in geheimer Mission

Ich herkam, stand die Vorhut des Heers am Niemen schon!

Napoleon sammelt eine gewaltige Armee,

Nie hörte man dergleichen, noch ersah man's je –

Er wird das polnische Heer, wird unsren Joseph bringen,4

Unsren Dombrowski, unsrer weißen Adler Schwingen!

Schon brach es auf; – sobald Napoleons Ruf ergeht,

Zieht's über den Niemen – und, Bruder! das Vaterland ersteht!«


Langsam legt der Richter die Brille ab, wie er so spricht –

Sagt nicht ein Wort, sieht fest dem Priester in's Gesicht,[143]

Die Thränen treten ihm in's Aug' – aufseufzt er tief,

Endlich umschlang er den Mönch mit aller Kraft und rief:

»Mein lieber guter Robak, ist denn das nur wahr?

Mein Robak,« wiederholt er, »ist das auch wirklich wahr?

Man hat uns so oft getäuscht! – Weißt noch, Napoleon

Kommt schon heran, so hieß es, – und wir warteten schon: –

Im Kronland ist er! die Preußen über den Haufen schoß er!

Marschirt zu uns! – Und er? den Frieden von Tilsit5 schloß er!

Ist das nur wahr? und trügst du dich nicht selber gar?«

»So wahr ein Gott im Himmel!« rief Robak »es ist wahr!«

»Heil!« rief, die Hände erhebend, der Richter – »Heil dem Munde,

Der da Solches verkündet! – Robak, diese Kunde

Soll nicht dein Schade, nicht des Klosters Schade sein!

Zweihundert erlesene Schafe will ich dem Kloster weih'n.

Hör', Priester, meinen Braunen lobtest du vor Allen,

Mein Fuchs erregte dir gestern besondres Wohlgefallen:

Heut', jetzt gleich spann' ich Beide vor deinen Almosenwagen,

Heut' bitte, was du nur willst, ich werde dir nichts versagen,

Nichts! – Aber mit diesem Grafen laß mich ungeplagt!

Er hat mich tief beleidigt, ich hab' ihn schon geklagt;

Schickt sich's denn?«


Robak erstaunt – dasteht er, händeringend, –

Dann zuckt er die Achseln und ruft, ihn mit dem Blick durchdringend:

»Also Napoleon kommt, Lithauen die Freiheit zu schenken, –

Es zittert die Welt – und du kannst an Prozesse denken?

Nach Allem, was ich gesagt, kannst du hier sitzen und ruh'n,

Hier sitzen, die Hände im Schooß – jetzt, da es gilt, zu thun

»Thun? Was denn?« fragt der Richter. »Wie?« rief Robak aus,

»Lasest du's noch nicht aus meinen Augen heraus?

Sagt dir das Herz noch nichts? Ach, hast du ein Tröpfchen nur

Soplicablut in den Adern, nur die kleinste Spur –

Bedenk' doch: vorne greifen die Franzosen an –

Und wenn man im Rücken das Volk zum Aufstand bringen kann?

Was? Laß nur das Streitroß wiehern,6 laß Samogitiens Bären

Aufbrüllen! Ach, wenn hier nur tausend Männer wären,

Ach, stürzten nur fünfhundert im Rücken auf Moskau los,[144]

Wie griffe der Aufstand um sich – ein Feuer, riesengroß!

Wenn wir so kämen, siegreich, – mit russischen Fahnen, Kanonen –

Und die Befreier begrüßten, die polnischen Legionen!«

Wir kommen: unsre Lanzen erblickt Napoleon,

Fragt: »Welch ein Heer?« – Wir rufen: Die Insurrection!

Freiwillige von Lithauen! – »Wer führt sie?« – Richter Soplica!

Ach, wer muckste dann noch je von Targowica? –

So lange der Niemen strömt und die Ponaren steh'n,

Würde der Name Soplica in Lithauen nicht vergeh'n!

Auf Kinder und Kindeskinder würde mit Fingern weisen

Die Stadt Jagiello's: »Seht! ein Soplica!« würd' es heißen,

»Von jenen Soplica's, den Ersten, die den Aufstand entfacht!«


»Ich hab' mir niemals viel aus Menschenlob gemacht,«

Versetzt der Richter, »was scheert's mich, wie man von mir spricht; –

Was mein Bruder verschuldet, weiß Gott, es trifft mich nicht;

Die Politik war niemals eigentlich mein Feld:

Ich hab' mein Amt verwaltet und meinen Acker bestellt.

Doch bin ich ein Schlachcic, tilgte gern des Hauses Schande, –

Ich bin ein Pole, diente gerne meinem Lande,

Und gält's mein Blut. Ich bin kein sonderlicher Degen,

Und doch traktirt' auch ich so Manchen schon mit Schlägen,

Man weiß, wie ich in den letzten Kreisversammlungstagen

Zwei Brüder Buzwik gefordert und Beiden Wunden geschlagen,

Die – – doch, was liegt daran! Also, wie dünkt es Euch?

Meint Ihr, daß es Noth thut, wir zögen in's Feld sogleich?

Die Schützen sammeln wir leicht – wir haben genug Patronen,

Beim Pfarrer im Hause finden sich einige kleine Kanonen,

Jankiel sagte, er habe Lanzeneisen liegen,

Im Nothfall, meint' er, könnt' ich über sie verfügen, –

Er hat sie heimlich in Kisten aus Königsberg gebracht,

Wir nehmen sie, die Schäfte sind sogleich gemacht;

Säbel sind da: die Schlachta setzt sich zu Roß, – voran

Ich mit meinem Neffen, und – so weit wär's gethan!«


»O Polenblut!« rief Robak voll Rührung aus und schloß

Ihn stürmisch in die Arme – »ächter Soplicasproß!

Ja, dir wies der Himmel die Bestimmung zu,[145]

Des Bruders Sünden zu tilgen, des Flüchtlings ohne Ruh'!

Ich kannte deinen Werth – ich mußte dich immer ehren,

Nun aber lieb' ich dich, als wenn wir Brüder wären!

Noch ist's nicht Zeit, zu marschiren – wir machen nur Alles bereit,

Ich selbst bestimme den Ort, verkünd' euch auch die Zeit.

Der Czar hat an Napoleon Boten geschickt, – begehrt,

Den Frieden zu erhalten, der Krieg ist nicht erkärt.

Dem Prinzen Joseph aber sagte Herr Bignon,

Einer von den Räthen des Kaisers Napoleon,

Daß die ganze Verhandlung resultatlos endet, –

Es kommt zum Krieg! Der Prinz hat mich auf Kundschaft gesendet,

Erklärte, er wolle die Lithauer in Bereitschaft finden,

Um, wenn Napoleon kommt, sogleich ihm zu verkünden,

Daß sie zum Schwesterland, zur Krone wollen gehören

Und die Erneuerung des polnischen Reichs begehren.

Käm's doch nur mit dem Grafen inzwischen zur Einigung!

Er ist ein Phantast, ein Kauz, doch ist er redlich, jung, –

Ein guter Pole – so Einer thut Noth in solchen Dingen:

In Revolutionen wirkt man gar viel mit Sonderlingen!

Ich weiß es aus Erfahrung: selbst Narren sind von Bedeutung,

Wenn sie nur ehrlich sind und unter weiser Leitung.

Er ist Magnat – hat mit der Schlachta viel Verkehr,

Schlägt er nur los, so greift der ganze Bezirk zur Wehr;

Man kennt ihn als reich – so wird sich jeder Schlachcic sagen:

Die Sache ist sicher, wenn solche Herrn sich zu ihr schlagen.

Ich eile gleich zu ihm.« – »Er mache den Anfang«, gab

Der Richter zurück, »er komme hierher und bitte mir ab;

Ich führ' ein Amt, ich bin der Ält're von uns Beiden!

Und den Proceß – den mag ein Schiedsgericht entscheiden.«

Der Bernhardiner hat schon die Thüre zugeschlagen.

»Nun, Glück auf den Weg!« ruft Jener.


Robak stürzt in den Wagen,

Peitscht sein Gespann und schlägt ihm die Riemen um die Seiten;

Fortsaust das Wäglein, schwindet in den neblichten Weiten,

Nur hie und da, wie über den Wolken schwebt der Geier,

Erhebt sich die Kapuze über die Nebelschleier.[146]

Protasius hat schon früher das Haus des Grafen erreicht; –

Wie ein durchtriebener Fuchs zum lockenden Schinken schleicht,

Kennt aber die listigen Schlingen der Schützen: mitten im Lauf

Hält er – setzt sich öfters, hebt den Schwanz hinauf,

Weht, wie mit einem Fächer, den Wind zu den Nüstern heran,

Und fragt ihn, ob nicht die Schützen Gift in den Speck gethan:

So schleicht der Frohn vom Weg ab, längs der Wiese geht er,

Rings um das Haus herum, den Stock in den Händen dreht er,

Als hätt' er irgendwo ein Vieh im Schaden erblickt;

Behend lavirt er sich so zum Garten, – läuft gebückt,

Als lauert' er auf ein Grashuhn: bis er mit Einem Schlag

Hurtig über den Zaun sprang und – im Hanfe lag.


Der Hanf um's Haus, ein grüner, duftiger, dichter Strauch,

Ist sichres Asyl für's Wild und für die Menschen auch.

Oft springt der Hase, den man im Weißkohl aufgeschreckt,

Zum Hanf und liegt dort sichrer als im Gebüsch versteckt:

Das Kraut ist da so dicht, kein Windspiel jagt ihn heraus,

Auch ist der Duft zu stark, kein Spürhund schnüffelt ihn aus.

Der Diener, der dem Kantschu oder der Faust entlaufen,

Hockt still im Hanf und läßt den Herrn indeß verschnaufen.

Und während der Assentirung sucht man die flüchtigen Bauern

Nicht selten in allen Wäldern, wenn sie im Hanfe kauern.

Drum mühen sich auch gewaltig, bei allen Schlägereien,

Einritten, Gutsübergaben, von jeher beide Parteien,

Die starke Position des Hanfes zu bezieh'n, –

Die dehnt sich vorn gewöhnlich bis an's Wohnhaus hin,

Während sie sich nach hinten bis zum Hopfen erstreckt,

Wo sie, mit ihm vereinigt, Angriff und Rückzug deckt.


Der Frohn, ein muthiger Mann, fühlt dennoch einigen Schrecken;

Denn schon der Duft des Hanfs mußt' ihm Erinnerung wecken

An Frohnbotabenteuer, die er früher erlebt,

Für die sich, Fall für Fall, der Hanf als Zeuge erhebt:

So lud er einst den Schlachcic Dzindolet vor Gericht,

Der aber hielt ihm die Pistole vor's Gesicht

Und hieß ihn unter den Tisch hinkriechen, und zur Stund'[147]

Die ganze Citation abbellen, wie ein Hund:

Dem so bedrohten Frohn blieb keine andere Wahl,

Als rasch in den Hanf zu flüchten. So hat ihm später einmal,

Der kecke Wolodkowicz,7 der die Gerichte bedrängte,

Landschaftsversammlungen oft mit Gewalt zersprengte,

Die Citation genommen, in kleine Stücke zerfetzt,

Haiducken, mit Stöcken bewaffnet, an die Thür gesetzt –

Hielt dann über Protasius' Kopf sein bloßes Rappier

Und schrie: Ist dir dein Kopf lieb, so friß nun dein Papier!

Er, als ein kluger Mann, fing scheinbar zu essen an,

Bis er zum Fenster hinschlich und in den Hanf entrann.


Nun war's in Lithauen nicht mehr Sitte in jenen Tagen,

Vorladungen mit Peitsche und Säbel abzujagen;

Der Frohn hat damals kaum ein Scheltwort hören müssen;

Doch konnte von der Wandlung Protasius nicht wissen;

Denn lang schon trug er nicht mehr Vorladungen in's Haus;

Er thät' es gern, er bat sich's oft vom Richter aus –

Doch dieser schlug, aus Rücksicht auf den alten Mann,

Immer die Bitten ab; heut' nahm er das Opfer an,

Weil's drängt.

Protasius späht und spürt nach allen Enden –

Still üb'rall; langsam wagt er sich vor mit seinen Händen,

Theilt das Dickicht der Stauden, taucht unter und schwimmt im Kraut,

Wie ein Fischer im Wasser, erhebt den Kopf und schaut:

Still ringsum; er schleicht zum Fenster – still ringsum;

Er späht durch's Fenster in's Inn're: Alles öd' und stumm;

Nun betritt er den Gang, nicht ohne leises Schauern,

Öffnet die Thür: rings Öde, wie in verwünschten Mauern;

Er zieht die Citation heraus, – mit mächt'gem Ton

Liest er sie ab – da rauscht es: er bebt und will davon.

Da tritt ihm Jemand entgegen, – ein Bekannter, zum Glück!

Robak! – Beide betrachten sich mit erstauntem Blick.

Der Graf war offenbar mit seinem ganzen Troß,

Hinausgezogen, – und eiligst: da er die Thür nicht schloß –

In Waffen: denn auf dem Boden lag mancherlei Gewehr,

Zweiläufer, Stutzen, – auch Hähne, Ladstöcke liegen umher,[148]

Und Schlossergeräth, womit man die Rüstung in Stand gebracht,

Pulver, Papier – so hatte man Munition gemacht.

Brach der Graf mit den Seinen etwa zum Jagen auf?

Mit Handwaffen? Hier liegt ein Säbel ohne Knauf,

Verrostet, – dort ein Degen, an dem der Riemen fehlt;

Aus dem Gerümpel wurden wohl Waffen ausgewählt,

Selbst alte Waffenkammern ließ man nicht abseits steh'n.

Robak hat alle Büchsen und Degen genau beseh'n

Und macht sich nun auf, in's Vorwerk, auf Kundschaft auszugeh'n.

Vergeblich sucht er Gesinde, um nach dem Grafen zu fragen,

Macht kaum zwei alte Weiber ausfindig, die ihm sagen,

Der Herr und die Mannen seien zahlreich ausmarschirt,

In Waffen, und zwar auf die Straße, die nach Dobrzyn führt.


Den Edelweiler von Dobrzyn preisen Lithauens Gauen,

Ob seiner tapferen Männer, ob seiner schönen Frauen;

Einst war er mächtig und volkreich: als Johann der Dritte einmal

Ein allgemeines Heeresaufgebot befahl,8

Bracht' ihm der Wojewodschaftsfähnrich aus Dobrzyn allein

Sechshundert bewaffnete Edle. Heut' ist der Stamm nur klein,

Verarmt; die Herrn von Dobrzyn, früher gewohnt von je,

Bei Kreisversammlungen, Einritten, in der Armee,

An Herrenhöfen, sorglos zu leben, – zwingt nun die Noth,

Sich, wie die frohnenden Bauern, zu plagen um's eig'ne Brod;

Nur daß sie keine Kittel, sondern Kapoten tragen,

Weiße schwarzgestreifte, aber an Feiertagen

Den Kontusz; die Frauen Drillich oder Perkal, – und nie,

Auch nicht die Ärmsten, bäurische Röcke! Sie weiden das Vieh

In Lederschuhen, nicht im Bast der Bäuerinnen,

Und tragen beim Mähen Handschuh', ja sogar beim Spinnen.


Die Schlachcicen von Dobrzyn sind von den andern Brüdern

Durch ihre Sprache verschieden – verschieden an Wuchs und Gliedern:

Reinlachisch Blut – aus der Dobrzyner Landschaft9 stammt

Ihr alt Geschlecht: schwarzäugig sind sie insgesammt,

Mit hoher Stirne, Adlernasen, schwarzen Haaren; –[149]

Und wohnen sie auch in Lithauen seit vierhundert Jahren,

Vermochten sie doch, der Masuren Sprache und Art zu wahren.

Wenn da ein Kind getauft wird, so bekommt der Sohn

Stets einen Heiligen aus der Krone10 zum Patron,

Den heiligen Bartholomäus oder auch Matthäus –

So heißt der Sohn des Matthäus immer Bartholomäus,

Und der des Bartholomäus heißt wiederum Matthäus;

Die Frauen werden nur Kachna oder Maryna benannt.

Nun hätte sich in dem Wirrwarr Niemand ausgekannt,

Daher denn Männer, wie Frauen, allerlei Übernamen,

Von irgend einem Vorzug oder Fehler bekamen, –

Man pflegte auch wohl Manchem mehrere zu ertheilen,

Zur Ehre oder zum Spott. Und so geschah's zuweilen,

Daß ein Schlachcic in Dobrzyn mit einem Namen benannt war,

Und unter andrem in der Nachbarschaft bekannt war.

Beim Nachbaradel suchte man Dobrzyn nachzuahmen,

Dort kamen die »Sobriquets« auf, ebenfalls Übernamen.

Jetzt hat sie schon fast jede Familie angenommen,

Und Wenige wissen, daß sie in Dobrzyn aufgekommen.

Dort waren sie auch nöthig, wogegen sonst im Land

Die Mode nur aus dummer Nachäfferei entstand.


So führte Matschek Dobrzynski, den man obenan

Als Haupt des Stammes stellte, den Namen »Kirchenhahn«;

Vom Jahre Siebzehnhundertvierundneunzig ab

Hieß man ihn »Seitenschlag«; Dobrzyn selber gab

Ihm die Benennung »Küniglein«; im Lithauerland

War er unter dem Namen »Matschek der Matscheks« bekannt.


Wie er über die Dobrzyner, so ragte auch sein Haus,

Hoch zwischen Kirche und Schenke, über das Dorf hinaus.

Es ist wohl selten besucht, recht ärmlich anzuschau'n,

Das Thor ist ohne Flügel, die Gärten ohne Zaun,

Unbesät, es wachsen schon Birkchen auf den Beeten,

Doch glaubt man in des Dorfes Residenz zu treten:

Die Hütte ragt vor andern hervor an Form, an Weite –

Auch ist sie aus Ziegeln gebaut, rechts, an der Stubenseite.
[150]

Dran stoßen Lehmhaus, Speicher, Tenne, Hürden und Stall,

Alles beisammen, wie's immer bei der Schlachta der Fall;

Alles ungemein alt, verfault. Die Dächer ragen

Hellblinkend drüber, wie mit grünem Blech beschlagen,

Denn üppig wuchert da Moos und Unkraut aller Arten.

Das Strohdach über den Scheunen, wie ein hängender Garten,

Von allerlei Pflanzen: Nesseln und rothem Safran, bedeckt,

Wollkraut und Bingelkraut mit Büscheln buntgescheckt;

Da nistet so manches Gevögel, – unter dem Dachgestelle

Die Tauben, am Fenster die Schwalben; da springen an der Schwelle

Kaninchen umher und reißen die frischen Gräser aus –

Kurz, ein Gebäu wie ein Vogel- oder Kaninchenhaus.


Und einst war's fest und wehrhaft! Überall Spuren genug

Von großen und häufigen Stürmen, die der Bau ertrug!

Am Thor liegt noch eine Kugel, wie ein Kindskopf groß,

Noch aus den Schwedenzeiten, ein ehern Kanonengeschoß;

Einst lehnten wohl die Flügel, weithin aufgethan,

Gleich wie an einen Felsen, an diese Kugel an.

Im Hof, inmitten des Wermuths und wilden Unkrauts, ragen

Kreuze in großer Menge, alt und in Trümmer zerschlagen,

Auf ungeweihtem Boden; hier wurden zu ewiger Rast

Die Krieger bestattet, die jäh der blutige Tod erfaßt.

Wer Lehmhaus, Speicher und Hütte näher besähe, der fände

Zahlreiche Flecken längs des ganzen Raums der Wände,

Wie Haufen schwarzer Insekten – und fänd' in jedem Flecken,

Wie eine Hummel im Erdloch, eine Kugel stecken.


Sämmtliche Klinken, Haken und Nägel der Thüren tragen

Entweder Säbelspuren oder sind abgeschlagen.

Hier prüfte man gewiß die Härte der Sigmundsklingen,

Von deren Hieb die Köpfe von den Nägeln springen,

Und Haken zerkrachen, ohne daß Scharten im Schwert entsteh'n.

Die Wappen der Dobrzynski's sind über der Thür zu seh'n;

Die Armatur jedoch verdecken die Käsereih'n,

Und Schwalben wölben sie dicht mit ihren Nestern ein.
[151]

Im Innern des Hauses liegen Wagenschuppen und Stall, –

Wie alte Waffenkammern: Rüstungen überall!

Vier Helme, Kriegerstirnen bestimmt als Zier zu dienen,

Hängen unter dem Dach; jetzt aber girren in ihnen

Die Vögel der Venus, die Tauben, und füttern ihre Sippe.

Im Stall liegt ein gewaltiger Panzer über der Krippe:

Der und ein Ringelhemd, sie dienen als Raufen heut',

In die der Pferdeknecht den Fohlen Futter streut.

Die Köchin hat, gottlos genug, ein paar Rappiere gehärtet,

Indem sie sie im Ofen als Bratenspieße verwerthet.

Ein Roßschweif putzt die Stampfen – ein Beutestück aus Wien!

Kurz, Mars, der Starke, mußte vor Wirthin Ceres fliehn, –

Nun herrscht sie mit Vertumnus, Pomona und Flora im Bund

Über Dobrzynski's Scheuer, Schuppen, Hof und Grund. –

Heut' aber müssen sie weichen. Der Kriegsgott kehrt zurück.


Ein reisiger Bote erschien beim ersten Tagesblick

In Dobrzyn. Von Hütte zu Hütte geht er in eiligem Lauf,

Weckt, wie zur Frohne. Die Brüder Schlachcicen stehen auf,

Die Gassen des Weilers füllen sich dicht und immer dichter,

Geschrei tönt aus der Schenke, im Pfarrhof brennen Lichter –

Man läuft umher; man frägt einander, was da werde,

Die Alten halten Rath, die Jüngern zäumen die Pferde,

Die Frauen halten sie auf, die Burschen stoßen herum,

Fort wollen sie – raufen, – und wissen doch nicht, mit wem? warum?

Sie müssen wohl oder übel dableiben. Im Pfarrerhaus

Beräth man lang, in großem Wirrwarr und Gebraus, –

Man wird nicht einig und bringt nur den Beschluß zuwegen,

Die ganze Sache dem Vater Mathias vorzulegen.


Mathias, – ein rüstiger Greis, im dreiundsiebzigsten Jahr,

Von kleinem Wuchs, – war einst ein Conföderirter von Bar.11

Wohl ist bei Freund und Feind noch in Erinn'rung geblieben

Sein krummer Damascener, der mit gewaltigen Hieben

Wie Hecksel in Stücke geschnitten so manchen Lanzenspieß,

Und den er, scherzhafter Weise, bescheiden sein »Gertchen« hieß.[152]

Er wechselte später, trat den Königlichen bei

Und hielt zu Tiesenhaus', des Schatzmeisters, Partei;

Als aber der König theilnahm am Targowicer Bunde

Verließ er dessen Lager; und aus diesem Grunde,

Weil er bei so vielen Parteien mitgethan,

Bekam er in früherer Zeit den Namen »Kirchenhahn«,

Denn wie der Hahn, so schien er sich nach dem Wind zu dreh'n.

Warum er so oft gewechselt, kaum ist es zu versteh'n:

Liebt' er vielleicht den Kampf zu sehr – und wenn der Sieg

Ihm hier entgangen, sucht' er drüben neuen Krieg?

Verfolgt' er die Zeit mit scharfem politischem Verstand

Und kämpfte, wo er eben das Wohl des Landes fand?

Wer weiß? so viel ist sicher, daß er für seine Person

Nie weder Ruhm gesucht hat noch auch schnöden Lohn,

Und nie zur Russenpartei hielt. Er zuckt schon und schäumt empört,

Wenn ihm ein Russe begegnet. Und seit das Reich zerstört,

Sitzt er zu Haus, damit er nur keinen Russen erschaue:

Wie ein Bär im Wald hockt und saugt an seiner Klaue. –

Zum letzten Male kämpft' er, als er mit Oginski

Nach Wilno gezogen war; dort dienten sie unter Jasinski,

Und dort war's, wo das Gertchen sich höchsten Ruhm errungen.

Man weiß, wie er zu Praga allein von den Wällen gesprungen,

Pociej zu Hilfe,12 der, im Felde abgeschnitten,

Dreiundzwanzig Wunden an jenem Tag erlitten.

Man glaubte lang', daß Einer wie der Andre blieb; –

Sie kamen wieder, Jeder zerstochen wie ein Sieb.

Gleich nach dem Kriege bot nun Pociej, ein Ehrenmann,

Seinem Beschützer Dobrzynski reiche Belohnung an:

Ein Vorwerk mit fünf Schloten als Leibgeding – daneben

Jährlich tausend Gulden, in Gold, für's ganze Leben.

Dobrzynski aber hat mit folgenden Worten verzichtet:

»Lieber sei Pociej dem Matschek, als Matschek dem Pociej verpflichtet« –

So schlug er Geld und Vorwerk aus; er selber kehrte

Nach Hause, wo er sich von seiner Arbeit nährte,

Arznei für's Vieh bereitete, Bienenkörbe machte,

Rebhühner in Schlingen fing, die er zu Markte brachte,

Und Waidwerk trieb.
[153]

Betagte, kluge Männer fanden

Sich wohl genug in Dobrzyn, die auch Latein verstanden,

Von Jugend auf in Kanzleien geübt und wohlgelehrt, –

Auch Reichere gab's genug: aber am meisten geehrt

War Matschek, der Arme, der Schlichte – nicht nur des Gertchens wegen,

Er war ja weitgepriesen als vortrefflicher Degen, –

Nein, als Mann von Urtheil und von sichrem Blick,

Vertraut mit der Landesgeschichte und der Geschlechtschronik.

Bewandert in der Wirthschaft, wie in Recht und Brauch,

In den Mysterien des Waidwerks und der Heilkunst auch, –

Ja, übermenschliche höhere Dinge, wie man meint,

Sind seinem Blick erschlossen – was freilich der Pfarrer verneint.

Gewiß ist, daß er auf's Wetter sich ganz genau versteht,

Und öfter als der Kalender den Witterungswechsel erräth.

Kein Wunder also, daß, galt es nun auszusäen,

Flußschiffe zu expediren oder das Feld zu mähen,

Desgleichen bei allen Prozessen, Verträgen aller Art,

Nichts ohne Mathias Rath je unternommen ward.

An ihm war's nicht gelegen, wenn er den Einfluß gewann:

Es war ihm sogar recht lästig – er fuhr die Klienten an,

Gewöhnlich wirft er sie schweigend hinaus – ertheilt den Rath

Nur selten, und nicht dem Ersten Besten, der ihm naht:

Kaum daß er, in ganz besonders wichtigen Fällen befragt,

Kurz und in dürren Worten seine Meinung sagt.

Heut' aber, glaubt man, wird er sich mitzuthun bequemen,

Ja, wird wohl in Person die Führung übernehmen,

Einst brannte ja die Kampflust in ihm mit voller Glut,

Und die Sippe von Moskau haßt er ja auf's Blut.


Durch seinen einsamen Hof wandelt der Alte dahin,

Summt still sein Morgenliedchen – und sieht mit frohem Sinn

Schön Wetter kommen, da die Nebel nicht aufwärts wallen,

Wie's zu geschehen pflegt, wenn sich die Wolken ballen,

Sondern langsam sinken. Ausbreitet der Wind die Hände

Und streichelt den Nebel, glättet ihn, bettet ihn über's Gelände,

Und niedersendet die Sonne hellblinkende Strahlengarben,[154]

Durchwirkt den Grund mit Silber- und Gold- und Rosenfarben.

Wie zwei Meister in Sluck an einem Gürtel weben,

Das Mädchen hat den Webstuhl mit Seidengespinnst umgeben,

Glättet den Grund mit der Hand – und droben, vom Weber, rollt

Ihr Fädchen auf Fädchen herab aus Purpur, Silber und Gold,

Zu Farben und Blumen: so umwebt das Erdenrund

Der Wind mit Nebeln, und die Sonne durchwirkt den Grund.

Der Alte erwärmt sich im Licht – er hat sein Gebet beendet

Und gleich darauf sich rüstig zu seiner Wirthschaft gewendet.

Jetzt bringt er Gras und Blätter, setzt sich dann vor's Haus

Und pfeift: Ein Haufen Kaninchen springt, wie aus dem Boden, heraus.

Als wären plötzlich Narcissen erblüht aus dunklem Grün,

So blinken die weißen Ohren; hell darunter sprüh'n

Die Augen, wie rothe Rubinen, dicht in den grünen Sammt

Des Rasens eingenäht. – Schon steh'n sie allesammt

Auf ihren Pfötchen; jedes lauscht und guckt umher,

Endlich läuft das ganze weißflaumige kleine Heer,

Vom Kohl gelockt, zum Alten, – zu seinen Füßen hin,

Hüpft ihm auf die Schultern, sitzt ihm auf den Knie'n.

Er, selber weiß, wie die Kleinen, liebt sie um sich zu schaaren

Und über den warmen Flaum mit streichelnder Hand zu fahren.

Mit der andern streut er Steinsamen aus der Mütze

Den Spatzen: ein lärmender Haufe stürzt von des Daches Spitze. –

Noch blickt der Greis vergnüglich auf die Mahlzeit hin,

Als plötzlich die Kaninchen verschwinden, – die Spatzen flieh'n

Aufs Dach, – sie haben die neuen Gäste wahrgenommen,

Die nun mit raschen Schritten heran zum Vorwerk kommen.

Eine Gesandtschaft der Schlachta ist es, die da naht,

Von der Versammlung im Pfarrhaus zu Matschek gesandt um Rath.

Von ferne grüßen sie ihn und neigen sich ihm tief:

»Gelobt sei Jesus Christus!« Und erwiedernd rief

Der Greis: »Von Ewigkeit in Ewigkeiten, Amen!«

Da er vernahm, daß sie mit wichtiger Botschaft kamen,

Bittet er sie hinein. Sie treten in die Hütte,

Setzen sich auf die Bank; der Führer steht in der Mitte,

Beginnt den Bericht. Indessen sammelt sich mehr und mehr[155]

Die Schlachta: fast alle Dobrzyner, dazu ein großes Heer

Aus allen Nachbarweilern, bewehrt und unbewehrt,

Sie kommen in Fuhren, Kaleschen, zu Fuß und auch zu Pferd.

Man bindet die Klepper an Birken, stellt die Wagen auf, –

Kreist schaarenweis um's Haus, begierig auf den Verlauf;

Die Stube ist voll, ein Theil hat sich in's Vorhaus gedrängt,

Andere haben lauschend den Kopf durch's Fenster gezwängt.

1

»Edelweiler« (poln. Okolica oder Zascianek) nennt man in Lithauen eine Adelscolonie, zum Unterschiede von den eigentlichen Dörfern oder Weilern: den bäuerlichen Niederlassungen.

2

Vgl. – Eben die Gunst der Targowicaner haftete, wie ein Makel, am Hause Soplica. Es konnte ja erscheinen, als ob es an jenem Landesverrath theilgenonmen hätte. Erst der 10. Gesang klärt diesen Punkt auf. (d.Ü.)

3

(Im Poln. wörtlich: »Der zehnte Wasserausguß zum Kisiel«.) »Kisiel« ist ein Lithauer Gericht, eine Art Gallerte, die aus Hafergermteig bereitet und so lange mit Wasser abgespült wird, bis alle Mehltheile ausgeschieden sind: daher das Sprichwort. (An unserer Stelle bedeutet es: dieser Graf ist ja mit den Horeszko's nur sehr weitläufig verwandt, hat gar wenig Horeszkoblut in sich. (d.Ü.)

4

Prinz Joseph Poniatowski. Vgl. (d.Ü.)

5

Vgl. (d.Ü.)

6

Ein Reiter, mit geschwungenem Schwert, auf feurigem Roß dahinjagend, ist das Wappen des G.-F. Lithauen; der Bär das Wappen Samogitiens, des nordwestl. Theils des ehemaligen Polen. (d.Ü.)

7

Er wurde, nach zahlreichen tollen Händeln, in Minsk ergriffen und über Tribunalsbeschluß erschossen.

8

(Im Poln.: »Ein Aufgebot vermittelst Ruthenbündel«.) Wenn der König ein allgemeines Heeresaufgebot berufen sollte, ließ er in jeder Parochie eine hohe Stange aufstellen, an deren Spitze ein Besen oder Ruthenbündel befestigt war: das hieß man: »die Bündel vertheilen«. Alle erwachsenen Männer aus dem Ritterstande waren dann, bei Verlust des Adels, verpflichtet, sich sofort unter die Fahne des Wojewoden zu stellen.

9

Die Landschaft von Dobrzyn, ein Gebiet in Masovien, dem kernpolnischen Lande mit dem Mittelpunkt Warschau. Die Einwohner werden »Masuren« genannt; daher auch den von Masovien nach Lithauen eingewanderten Dobrzynern dieser Name beigelegt wird. Der ganze Edelweiler heißt eben nach jener Landschaft. (d.Ü.)

10

»Krone« nannte man das eigentliche Königreich Polen, im Gegensatze zum Großfürstenthum Lithauen. (d.Ü.)

11

Als Katharina von Rußland unter dem Vorwande, die Nichtkatholiken in Polen (die sog. »Dissidenten«) schützen zu müssen, sich die empörendsten Übergriffe im Lande erlaubte und mit Zustimmung des schwachen Königs die thatsächliche Herrschaft in Polen an sich riß, bildete sich (1768) eine Liga oder »Conföderation« in der podolischen Stadt Bar, um dem russischen Feind, dessen Absichten nur allzuoffen am Tage lagen, energisch entgegenzutreten. An der Spitze derselben stand der Bischof Krasinski und das Heldengeschlecht der Pulawski's. Männer von wahrhaft antikem Heroismus, wie namentlich Kasimir Pulawski (der später, im amerikanischen Freiheitskriege, bei Savannah fiel), ferner Sawa, Dzierzanowski u.A. boten Jahre lang der russischen Übermacht Trotz. Die großartige Bewegung kehrte sich natürlich auch gegen den König, der sich Rußland in die Arme geworfen hatte. – Als sich der König später für die Patriotenpartei erklärte (vgl.), war eben Polen wieder im königlichen Lager – und so ist es kein Wunder, wenn unser Matschek die Partei der Krone ergriff, deren Macht es ja gerade damals zu stärken galt. Zu Tiesenhaus hielt er, weil dieser Staatsmann in der That eine segensreiche Thätigkeit, und zwar auf einem der allerwichtigsten Gebiete, dem der Volkswirthschaft, entfaltete. (Vgl.) Nach dem schnöden Übertritte des Königs in das Lager der verrätherischen Conföderation von Targowica (vgl. ) mußte natürlich Alles, was ehrlich und patriotisch in Polen war, gegen den König stehen. Dieser also, und nicht Matschek, war der »Kirchenhahn«; und unser Dobrzyner war wirklich immer nur auf Seiten derer, die für »das Wohl des Landes« kämpften. (d.Ü.)

12

Alexander Graf Pociej unterstützte, als er nach dem Kriege wieder nach Lithauen zurückgekehrt war, diejenigen seiner Landsleute, die sich in's Ausland begaben, und widmete der Legionenkasse bedeutende Summen. (Zum Kampf um Praga vgl. )

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 137-156.
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