XXXII. Brief.

Fräulein Juliane an Fräulein Amalien.

[213] Wilmershausen den 14 Septembr.


Haben Sie Mitleiden mit mir, liebste Amalia; ich stehe im Begriff, eine sehr unglückliche Person zu werden. Sie wissen es unfehlbar. Was soll ich daraus machen, daß Sie mir keinen Wink davon gegeben haben? Sie müssen es wissen, daß ihr Oncle für sich selbst, bei meinem Vater, um mich geworben hat. Sind Sie so grausam, daß Sie nebst Ihren Freunden in Schönthal sich wider mich verschworen haben? Ist es um deswillen geschehen, daß Sie mir nicht eine Silbe von dem Vorhaben ihres Vetters entdeckt haben, damit man mich desto geschwinder überraschen, und das, was man will, aus mir machen könnte?

Ich will Ihnen noch nichts Schuld geben; vielleicht hat Ihr Oncle Ihnen selbst noch[214] nichts von seinem Vorhaben entdecket; vielleicht haben Sie aus der ganzen Sache eine Kleinigkeit gemacht, die in der That keine ist.

Ihr Herz mag nun bei dieser Gelegenheit entweder für oder wider mich seyn, so kann ich doch Niemanden als Ihnen das meinige entdecken. Ich will einmal meinem Argwohn in meinem Gemüthe Platz geben; ich will mir einbilden, Sie wünschten, daß ich Ihre Tante werden möchte, wollten Sie wohl diesem Wunsche Ihre Freundin aufopfern? Könnten Sie, um Ihrem Oncle gefällig zu seyn, Ihre Freundin in so vielen Verdruß einwickeln? Ich habe viele Mühe, mir dieses zu bereden, und gleichwohl scheinet es, als wenn Sie nebst andern wider mich conspiriret hätten. Doch wie gesagt, ich will Ihnen noch nichts Schuld geben. Ich will lieber glauben, Sie wüßten noch nicht ein Wort von der ganzen Sache, ich will Sie für neugierig halten und Ihnen den Handel eröffnen. Vorgestern des Morgens bekam mein Vater einen Brief von dem Herr von N – – durch seinen Reitknecht. Mein Vater[215] und meine Stiefmutter schienen einige Tage vorher sehr aufgeräumet, und diese insbesondere war so freundlich gegen mich, daß ich die Stiefmutter beinahe darüber vergaß. Mein Vater zog seine Liebste an ein Fenster; ich saß an einen andern, und nähete etwas für mich in dem Rahmen. Sie lasen beide das Schreiben sachte, doch so, daß ich etwas davon verstehen konnte. Ich hörte daß der Innhalt mich angieng; ich merkte, daß es ein Anwerbungeschreiben seyn sollte; wiewohl ich von der Schreibart des Briefes eben nicht so gar vortheilhaft auf den Verfasser schließen konnte. Meine Glieder fiengen an zu zittern, ich erwartete mit Ungeduld das Ende – Da sehen Sie es nun, mein Schatz, sagte meine Mutter, daß es sein Ernst ist, der gute N. ist doch wirklich ein Mann von Parole – Haben Sie es gehört, Julgen, was Ihnen für ein Glücke bevorstehet? Schätzgen, lesen Sie doch den Brief noch einmal, daß ihn Julgen höret. (Sie streichelte meinem Vater die Backen, mich dünkt, ich hätte sie nie so freundlich gesehen.)[216]

Die ganze Stube gieng mit mir herum. Ich dachte, ich müßte vom Stuhle sinken. Schrecken und Verdruß über die alberne Frage meiner boßhaften Siefmutter setzten mich ganz außer mich. Die Furcht, den verhaßten Brief noch einmal zu hören, erhielt mir noch das Vermögen zu reden.

Haben Sie die Gewogenheit gnädiger Papa, sich die Mühe zu ersparen, den Brief mir vorzulesen, ich habe schon so viel daraus verstanden, als ich wissen soll. Ich bin versichert, Sie werden ihn, nebst der gnädigen Mama, als einen Scherz annehmen. Der Herr v. N – – hat seit einiger Zeit viele scherzhafte Ausschweifungen begangen; in diesem Schreiben scheint er sie am weitesten getrieben zu haben.

Nein, nein, meine Tochter, du irrest dich, es ist des Herrn von N. sein wahrer Ernst. Er hat schon neulich bei mir mündlich um dich angehalten; ich trauete ihm aber nicht, und dachte, der verliebte Anfall würde bald wieder überhin gehen. Ich rieth ihm, er sollte[217] bedenken, daß das Heirathen ein schwerer Punkt wäre; er sollte untersuchen, ob er einen rechten Trieb hätte, ehelich zu werden, da er es so lange versparet hätte. In 14 Tagen sollte er mir von seinem Entschlusse wieder Antwort geben. Nun hat er schriftlich um dich nach gesuchet. Er ist von Jugend auf mein guter Freund gewesen, und hat mir manchen Gefallen erwiesen. Es ist einmal Zeit, daß ich auf eine Vergeltung denke. Wenn du nichts erhebliches wider ihn einzuwenden hast, so mag er immer dein Gemahl werden. Behüte Gott! Gnädiger Papa, wenn Sie Ernst aus dem Antrage des Herrn von N. machen, so setzen Sie ihr Kind in die äußerste Betrübnis. Sie werden mich doch nicht an einen Mann verheirathen wollen, der über die Jünglingsjahre lange hinweg war, da ich gebohren wurde; an einen Mann, der seit einiger Zeit eine so wunderbare Aufführung angenommen hat, daß man ihn für einen Romanhelden ansehen sollte! – Ich habe noch keine Neigung zum Ehestande.[218]

Reden Sie nicht so unverständig, Julgen, Sie sind kein Kind mehr. Wenn alle Frauenzimmer so dächten wie Sie, so würde ihr Papa von mir auch einen Korb bekommen haben. Er war kein Jüngling mehr, da ich ihn heirathete; er war noch darzu ein Wittwer, mit einer kleinen Wehklage, und ich nahm ihn doch. Wissen Sie nicht die alte Hausregel: der Mann im Schwade und die Frau im Bade? das ist aber eine Bosheit von Ihnen, daß Sie den Herrn von N. einen Romanhelden nennen; dadurch versündigen Sie Sich an ihrem Papa. Die jenigen, die Romanhelden vorstellen, sind Narren, und wer mit Narren eine Gemeinschaft hat, ist selbst nicht klug. Ihr Papa liebt den Herrn von N., er ist unser guter Freund. Schätzgen, so gehet es, wenn man die Kinder verhätschelt, hernach spotten sie die Aeltern. Pfui, schämen Sie Sich, daß Sie so wenig Achtung gegen ihren Papa bezeigen!

Mädchen?

Gnädiger Papa, das ist nicht auszustehen, (ich wollte seine Hände küssen, ich weinte,[219] er stieß mich von sich. Das hat er noch niemals gethan.) Hören Sie auf mich zu verleumden. Was habe ich Ihnen gethan, daß Sie durch so niedrige Kunstgriffe mir die Gunst meines Vaters entziehen wollen – – Haben Sie Mitleiden mit mir, gnädiger Papa, ich bin ihre Tochter.


Höre, Juliane, mit dem albernen Geplaudere richtest du nichts bei mir aus. Wenn du willst, daß ich dich als meine Tochter ansehen soll; so erkläre dich den Augenblick, ob du den Herrn v.N. nehmen willst oder nicht? (Ich schwieg) Laß mich nicht böse werden – du weißt, wenn ich anfange – –.


Gnädiger Papa (ich konnte vor schluchzen nichts hervorbringe) – – schonen Sie doch – Sie machen es immer ärger. Sie müssen nicht so verstockt seyn, Julgen, seyn Sie gehorsam – Antworten Sie auf ihres Papas Frage.


Die Worte meiner Stiefmutter durchschnitten mir das Herz. Die boshafte Frau![220] Ich war nicht im Stande, ein Wort zu reden. Du – – – (Ich verschweige aus kindlicher Ehrerbietung die Worte, die der Zorn meinem Vater in diesem Augenblicke eingab, sie waren nicht väterlich.) Willst du nicht reden, was ist das für eine Aufführung? – Den Augenblick gehe mir aus dem Gesichte, und komm mir nie wieder unter die Augen – – Willst du mich mit deinen Starrkopfe unter die Erde bringen?


Die letzten Worte kränkten mich aufs äußerste. Ich fiel meinem Vater in die Arme.


Gnädiger Papa, ich will mich ihrem Gewissen überlassen. Ich verspreche ihnen meinen kindlichen Gehorsam, machen Sie aus mir was Ihnen gefällt.


Willst du es mir angeloben, daß du dich gegen mich in allen Dingen, als eine gehorsame Tochter hinführo aufzuführen gedenkest; so will ich deine jetzige Vergehung noch einmal übersehen. Ich gab ihm meine zitternde[221] Hand, und machte, daß ich aus den Zimmer kam. Ich ging in meine Stube, und warf mich auf das Canapèe. Ich will Ihnen nicht die Gemüthsbewegungen entdecken, die ich empfand, ich bekam ein entsetzliches Kopfwehe, und war nicht im Stande meine Gedanken zusammen zu fassen, um den ganzen Verlauf der Sache Ihnen zu berichten, ob ich es gleich versuchte. Gestern Morgen ging ich hinunter zu meinem Vater, in was für einer Gemüthsverfassung, können Sie Sich leicht vorstellen. Alle meine Glieder zitterten, da ich die Thür aufmachte. Er war ernsthaft; seine Gemahlin munter, keins aber dachte mit einem Worte an die verhaßte Sache. Ich schlich mich bald wieder fort. Was werde ich nun für ein Schicksal zu erwarten haben? verlassen Sie mich nicht, meine liebste Amalia, verlassen Sie mich nicht, meine beste Freundinn; ich weiß zu Niemand anders als zu Ihnen meine Zuflucht zu nehmen. Können Sie so viele Zeit abmüßigen, so beehren Sie mich mit ein paar Zeilen,[222] die mir Ihre Gesinnung gegen mich entdecken. Mein Mädchen soll darauf warten. Sind Sie noch auf meiner Seite, so stehen Sie mir mit Ihrem guten Rathe bei, wie ich mich in diesen verwirrten Umständen zu verhalten habe. Meinem Vater kann und darf ich nicht ungehorsam seyn, und bin ich gehorsam, was für ein Schicksal habe ich da zu erwarten! Ich sehe der Wiederkunft meines Mädchens, mit einem zweifelhaften Verlangen, entgegen, um zu erfahren, ob Sie noch unverändert das sind, was sich von Ihnen verspricht


Dero

aufrichtig und ergebenste Freundin

Wilhelmine v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 213-223.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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