Das fünffte Lied

[263] Salomon.


Ich bin schon in den Garten kommen,

Ich habe Myrrhen abgenommen

Und Würtze, Schwester, meine Ruh;

Ich esse Honig, o mein Leben,

Ich trincke Safft von trucknen Reben,

Und meine süsse Milch darzu.


Nun kompt, ihr Freunde, kompt zum Essen,

Deß Leydes sey jetzt gantz vergessen,

Thut weg die bleiche Traurigkeit:

Wir wollen nur auff Freude dencken,

Nicht unterlassen einzuschencken

Biß daß ihr truncken worden seyd.


[263] Die Sulamithinn.


Ich hatte mich zwar eingerieben,

Doch war mein Hertze wachend blieben,

Ob gleich der müde Cörper schlieff;

Das Hertze wachte mit Verlangen,

Da als mein Buhle kam gegangen

Und mir mit lauter Stimme rieff.


Salomon.


Mach' auff, mein Leben, meine Freude,

Mein Trost und meiner Augen Weide,

Mach' auff doch allerliebste Braut.

Mir sind bereiffet Haar und Wangen

Weil ich zu Nacht' hieher gegangen,

Das Haupt ist gantz und gar betaut.


Die Sulamithinn.


Ich liege nackend schon darnieder,

Soll ich mich anziehn? Soll ich wieder

Die Füß' hernach erst waschen mir?

Ich Arme! Weil ich ihn ließ stehen

Ließ er die Thür und wolte gehen;

Mein Hertz' entsatzte sich darfür.


Da stundt ich auff, ihn nicht zu irren;

Die Hände troffen mir mit Myrrhen

Als ich sie leget' an das Schloß.

Was hatt' ich mich doch unterfangen?

Er war mir schon hinweg gegangen,

Und ich war seines Beyseins loß.


Folg ich? Wo ist er hin, mein Leben?

Ruff' ich? Wird er auch Antwort geben?

Mir zittert meines Hertzens Grund.

Die auff der Mauren wachen stehen

Und in den Gassen hüten gehen,

Berauben mich, und ich ward wundt.


Woferrn euch Ehrbarkeit behaget,

Ihr Töchter Solyme, so saget,

Wann euch mein Trost für Augen kömpt,

Sagt, bitt' ich, ihm, daß ich auß Liebe

Mein waises Hertze kranck betrübe

So stets mit heissem Feuer glimmt.


Die Jungfrauen.


Wer ist er, den du denckst zu schauen,

Du Schönest' unter allen Frauen?

Wer ist dein Liebster, sag' es an,

Den so dein Hertze muß begehren,

Daß es dermassen uns beschweren

Und sich selbselbsten martern kan?


Die Sulamithinn.


Mein Trost, auff den ich alles richte,

Ist weiß und roth in dem Gesichte,

Viel tausendt weichen ihm an Zier:

Sein Haupt ist Gold, sein Haar erhaben

Und auffgekräust, das auch den Raben

An Schwärtze selber gehet für.


Wie Taubenaugen sind die seinen,

So gleich als zween Sternen scheinen,

Milchweiß gewaschen an der Bach.

Den Bethen, die in Gärten stehen,

Da Blumen und Gewürtz' auffgehen

Gieb seiner Wangen Glantz nicht nach.


Wie Rosen, so mit Myrrhen fliessen,

Sind seine Lippen, die nichts wissen

Zu reden, als von Huld und Gunst;

Die Hände sind so zart und reine

Als Ring', in welche theure Steine

Gesetzet stehn durch schöne Kunst.
[264]

Sein Leib (was kan man besser zieren?

Ist Helffenbein, das mit Saffiren

Wird eingeleget und erhöht;

Und die geraden weissen Beine

Sind eine Säul' auß Marmorsteine,

So auff gantz güldnen Füssen steht.


Der Libanon kan ihm nicht gleichen,

Die edlen Cedern müssen weichen,

So tragen kan sein reicher Wald.

Ihr Töchter, süß' ist seine Kehle;

Der ists, von dem ich euch erzehle,

Er ist, mein Hort und Auffenthalt.


Die Jungfrauen.


Wo ist er dann nun hingegangen,

Auff den du stellest dein Verlangen,

Du aller Weibesbilder Zier?

In welchen Ort ist er wol kommen?

Wohin hat er den Weg genommen,

Daß wir ihn suchen neben dir?

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 263-265.
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