9. Auff einen Kuß

[27] Auch zum Theil auß dem Holländischen.


Auff alle meine Noth, auff so viel Angst und Klagen,

Auff Seufftzen, Ach und Weh, auff höchste Traurigkeit,

Auff das, wodurch mein Hertz' empfandt sein tieffes Leid,

Wird doch mein Lieb bewegt mir eins nicht abzuschlagen.


Ich mag gewißlich wol von gutem Glücke sagen,

Sie kam ja endlich noch, die sehr gewüntschte Zeit,

Und hat mir Hertz und Sinn durch einen Kuß erfreut;

Ich habe diese Gunst doch endlich weg getragen.


Der Thau, der süsse Thau, der auff den Lippen schwebt,

Der Marck und Bein erquickt, dadurch mein Geist noch lebt,

Kan alle meine Furcht' und Trauren von mir scheiden.
[27]

Ihr Götter, die ihr schaut hier zu uns Menschen her,

Kehrt ja mir diese Freud' und Trost in kein Beschwer,

Der Kuß ist wol verkaufft umb solche Noth und Leyden.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 27-28.
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