4. Neujahrs-Getichte

[6] Fast auß dem Niederländischen.


Die Sonn' hat ihre Reis' auff dieses Jahr vollendet,

Mein Lieb, du endest noch die harten Sinnen nicht;

Sie hat den klaren Schein nun wider her gewendet,

Du wendest von mir ab der schönen Augen Liecht.

Was wüntsch' ich dir dann jetzt, mein bester Trost, vor Gaben

Auff dieses neue Jahr? Geld? Dieses hastu schon.

Viel Glück? Auch das ist hier. Wiltu dann Schönheit haben?

Du hast sie allbereit und weissest wol darvon.

Noch etwas ist in dir, wofern' ich es mag sagen,

Darvon kömpt alles Leid und Trauren bey mir her.

Ein grosses Bollwerck steht umb deinen Sinn geschlagen,

Diß möcht' ich gerne sehn, daß es gefället wer.

Hier diese Mauer macht, daß meine freye Sinnen,

Mein' unverfälschte Lieb' und treue Dienste nicht

Deß Hertzens hohes Schloß vermögen zu gewinnen;

Die Schantz' ist stärcker noch als daß sie ein Mensch bricht.

Ach, wann durch diesen Wall Cupido wolte schiessen!

Wo nicht, so geb' er mir den Bogen und Gewalt,[6]

Ich solt ein grosses Loch bald haben durchgerissen,

Da ich mein Läger hett' und steten Auffenthalt.

Sey nun mit meinem Schatz', o auch mein Schatz, verehret,

Dem Hertzen, das ich dir zu schencken außerkiest;

Verwahr' es ja mir wol, daß es nicht wird versehret,

Wie vor das alte Jahr, so jetzt vergangen ist.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 6-7.
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