Bücherschau

Paris und Berlin. Roman aus der neuesten Zeit von M. Norden. Zwei Teile.


Leipzig. Adolph Wienbrack, 1849.

Es freut mich, die Reihe der Bücher, die ich nach und nach in diesen Blättern zu besprechen gedenke, mit einem Werke beginnen zu können, das ich allen Leserinnen aufs beste empfehlen darf.

Ohne zu weitläufige und ermüdende Kritiken geben zu wollen, scheint es mir doch nötig, die neu erscheinende Literatur im Auge zu behalten und die Resultate dieser Überblicke in dieser Zeitschrift niederzulegen. Daß dabei auf die Werke der Schriftstellerinnen besonders Rücksicht genommen werden wird, versteht sich, aber der Einseitigkeit, nur diese etwa zu besprechen, weil diese Zeitung für Frauen bestimmt ist, soll niemals gehuldigt werden. Am meisten Berücksichtigung werden diejenigen Werke finden, die sich mit der[47] sozialen Reform beschäftigen, welcher wir dienen, und insofern auch die Frage der weiblichen Emanzipation behandeln.

Nach dieser notwendigen Vorbemerkung wenden wir uns zu dem vorliegenden Buche!

M. Norden gehört zu den wenigen Schriftstellerinnen, die sich vorzugsweise der sozialen Frage zugewendet haben. Sie hat dies schon in ihren »Feldblumen« getan, die 1847 erschienen, und hier erblicken wir sie wieder auf demselben Gebiet. Das Geld, dieses unheimliche Gespenst, das besonders in den Zuständen der Gegenwart auf eine so fürchterliche Weise spuken geht, es spielt auch in ihren Romanen eine Hauptrolle, welche ein getreuer Spiegel der Gegenwart sind. Es würde zu weit führen, hier auf den sehr verwickelten Inhalt, der immer spannend und interessant ist, näher einzugehen; um aber zu zeigen, wie wahr und tief die Verfasserin die soziale Frage erfaßt, sei hier einiges aus den Geständnissen einer Verbrecherin mitgeteilt, das sie ihrer von ihr betrogenen Freundin macht:

»Ich kämpfte den Kampf des Armen gegen den Reichen mit aller List und aller Hartnäckigkeit, welche mir die raffinierte Schlauheit meiner Geisteskräfte eingab. Die Verderbnis meines Gemütes gab mir noch schrecklichere Waffen als diese. Ich sah dich reich und glücklich; ich war arm, und ich haßte Dich, weil Du besaßest, was mir fehlte, und ich scheute keine Mittel, um Dir, der Gehaßten, Bevorzugten, das zu entreißen, was Dir dies unendliche Übergewicht über mich gab. Mit kaltem Blute würde ich Dich ins Verderben gestürzt und einen höllischen, innerlichen Triumph gefühlt haben, so ich dich dann so elend gewußt hätte, wie mich selbst! – Dies brennende Verlangen, reich und durch den Reichtum angesehen und geehrt zu werden, stachelte mich von meiner Kindheit an zum ruchlosen Handeln auf. Ich wurde schon in meinem Dorfe das Opfer eines Wüstlings, dessen Außenseite schön war und den ich reich glaubte, weil seine Gewohnheiten mich dies vermuten ließen. – Ich kam wieder in das Haus einer Frau, die die Wohltäterin meiner Kindheit gewesen war; auch sie war reich, darum war sie meine Feindin, so gut, wie jede andere, gleich ihr Begünstigte. Ich entwendete ihr von ihrem Reichtum, was ich ihr überflüssig hielt – und wurde nach der Entdeckung mit Schimpf und Schande auf die Straße gewiesen, mein Brot zu suchen, wo ich es finden könnte. – Ich fand Dich wieder reicher, glücklicher noch, als ich es gedacht hätte. Der Mann, der meine erste Jugend betrog, weil ich arm und deshalb für ihn unbedeutend war, erkor Dich am ersten Tage seiner Bekanntschaft mit Dir zu seiner Gattin, weil Du reich warst! – Du nahmst den Platz seiner rechtmäßigen Frau ein, der mir geweigert worden war, weil ich arm war.« –

So sei dies Buch bestens empfohlen. Auch die Ausstattung, welche ihm die Buchhandlung hat angedeihen lassen, verdient anerkannt zu werden.

L.O.[48]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 42-43,47-49.
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