Krieg

[49] »Wie? Die Sittlichkeit will Duell-Mandate nur Einzelwesen, nicht Völkern geben? Eher müßte sie die Zweikämpfe als die Millionen-Kämpfe sekundieren; denn jene zeugen mehr Ehre, diese mehr Unglück. – Das Unglück der Erde war bisher, daß zwei den Krieg beschlossen und Millionen ihn ausführten und ausstanden, indes es besser, wenn auch nicht gut gewesen wäre, daß Millionen beschlossen hätten und zwei gestritten. Denn da das Volk fast ganz allein die ganze Kriegsfracht auf Quetschwunden zu tragen bekommt und nur wenig von dem schönen Fruchtkorben des Friedens, und oft die Lorbeerkränze mit Pechkränzen erkauft; – da es in die Mord-Lotterie Leiber und Güter einsetzt und bei der letzten Ziehung (der des Friedens) oft selber gezogen oder als Niete herauskommt: so wird seine verlierende Mehrheit viel seltener als die erbeutende Minderzahl ausgedehntes Opfern und Bluten beschließen. Wenn jetzt der Krieg nur wider, nicht für die Menge, und fast nur von ihr geführt und erduldet wird –: so willigte gewiß ein jetziges Land in einen mehr opfernden als reichenden Krieg viel langsamer als sonst die barbarischen, hungernden Völker, welche nicht anders sich satt essen konnten als mit dem Schwerte in der Hand als Gabel.«

Wenn ein Weib seinen sittlichen Abscheu gegen den Krieg aussprechen will, so muß es wohl auf seiner Hut sein, daß die Leser nicht wegwerfend die Achseln zucken und meinen: so kann mir ein Weib sprechen! Ich habe deshalb mit den Worten eines edlen deutschen Mannes begonnen – mit denen unsres Jean Paul. Sie stehen in seiner »Kriegserklärung gegen den Krieg« in seinen »Dämmerungen für Deutschland«, einem Buche, das gerade vor vierzig Jahren erschien. Und immer noch leben wir in diesen Dämmerungen! Jean Paul ist ihnen schon lange entrückt und sieht vielleicht, wie er so oft geschildert, aus seinen Sonnen-Höhen herab auf seine liebe Erde und lächelt wehmütig, daß wir's in Deutschland immer noch nicht weiter als bis zur Dämmerung gebracht haben, wenn auch der Gedanke, den vor vierzig Jahren vielleicht er allein von Tausenden unbeachtet oder belächelt aussprach, jetzt von ebenso vielen ihm nachgesprochen wird, der Gedanke: »Auf der kleinen Erde sollte nur ein Staat liegen – um den häßlichen Widerstreit zwischen Moral und Politik, zwischen Menschenliebe und Landesliebe auszutilgen –; nicht aber eben eine Universal-Monarchie sollte sein, weil diese wenigstens[49] die Bürgerkriege zuließe, sondern eine Universal-Republik von vereinigten Provinzen.« –

Da liegen sie vor mir, die Zeitungsberichte vom Kriegsschauplatze aus Schleswig-Holstein. – Ich brauche es nicht erst in den Zeitungen zu lesen, ich les' es auf hundert Gesichtern um mich her, welch ein Ungeheuer der Krieg ist! Da ängstigen sich alte Eltern um den einzigen Sohn, der ihnen noch keine Kunde gesendet, ob er noch lebend und unverletzt ist – da betrauert die Mutter ihren einzigen, der die Stütze ihres einsamen Alters war und von dessen Tod ihr bereits die schreckliche Gewißheit geworden – da irren Witwen und Waisen einher, die noch gestern glückliche Gattinnen und glückliche Kinder waren – da jammern Hunderte über ihre Lieblinge, die sie beim Abschied in der Blüte der Kraft und Gesundheit verließen und die sie nun entweder gar nicht oder mit verstümmelten Gliedern wiedersehen. – –

Aber ihr sagt, das sind nur Weiber-Schmerzen, die wiegen nichts, wo es sich um Völker-Schicksale handelt! Wohl, ich sage mit euch so – aber ich bitt' euch: seht euch nur diese Völker-Schicksale ein wenig näher an und fragt, wer diese Kämpfe über uns verhängt und wer sie entscheidet?

Antwort: die Regierungen, die Fürsten.

Deutschland und Dänemark – warum würden sie Krieg zusammen führen, wenn es nicht im Interesse ihrer Fürsten geschähe? Freie Völker bekämpfen einander niemals. Wäre Dänemark ein freier Staat – was kümmerte es dies Land, ob Schleswig-Holstein eine dänisch redende Regierung hätte, wenn es nur im friedlichen Vertrag mit Dänemark lebte? Und wieder! wäre Deutschland ein mächtiger Freistaat, wie könnt' es einem so viel kleineren Staat wie Dänemark nur einfallen, ein Glied von diesem großen Ganzen reißen zu wollen? Der Krieg um Schleswig-Holstein ist nichts als ein dynastischer Erbfolgekrieg – solche Kriege werden unmöglich sein, wenn es seine Erbfolge und keine Dynastien mehr geben wird.

Vor'm Jahre begann dieser Krieg damit, daß eine Freischar begeisterter deutscher Jünglinge vorangestellt und hingemordet ward – nach dem Sieg der Deutschen, als diese den Krieg bald siegreich beenden konnten, ward ein schmachvoller Waffenstillstand geschlossen, weil es den Diplomaten so gefiel – dies Jahr stehen, fallen und siegen unsere braven sächsischen Truppen in den ersten Treffen, diese Soldaten, die freilich von dem Fürsten darum am besten gegen den »äußern« Feind zu führen sind, weil sie verlernt haben, an einen »innern« Feind zu glauben, – und was weiter wird, noch harren wir! – Der König von Preußen wünscht den Krieg mit Mäßigung geführt, und es ist bereits wieder von russischen Noten und Waffenstillstand die Rede. – Wird diesmal dieser Krieg nicht mit Energie und siegreich beendet, da es denn einmal Krieg sein mußte: dann ist das Blut unserer deutschen Brüder nicht, wie wir uns jetzt noch trösten wollen, auf dem Felde der Ehre und zum Ruhme des Vaterlandes geflossen, dann ist es das Blut unglücklicher Schlachtopfer auf dem Richtplatze oder zum Spaß vergossen, wie Nero römisches Blut fließen und Römer verbrennen ließ, nur um sich und dem Volke ein Schauspiel zu geben – dann bleibt uns Frauen nichts anderes, als endlos zu jammern und zu trauern über jeden in diesem Kriege Erschlagenen und Verstümmelten, nichts als der Ruf: »Weh allen, denen schuldlos Blut klebt an den Henkershänden!«.

Uns Frauen! aber was bleibt den Männern? – o, ein echter Mann wird schon Antwort haben!

L.O.[50]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 49-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aufsätze aus der »Frauen-Zeitung«
Aufsätze aus der »Frauen-Zeitung«