Der bewaffnete Friede

Der Ruf: »Zu den Waffen!« hat unser Vaterland – wir meinen Deutschland – erschüttert. Wir hörten verwundert diesen Ruf, der so plötzlich ertönte, denn, in Wahrheit, diese sogenannten Welthändel unserer Herbstzeit haben uns sehr wenig interessiert. Wir haben keine Lust gehabt, alle diese Noten hin- und herüber zu lesen, wir haben kein Gewicht gelegt auf die leitenden Artikel jener langweiligen Journale, die man als »gut unterrichtete«, wo nicht gar als Regierungsorgane anzusehen gewohnt ist. Wir Frauen in der Mehrheit, wir müssen es eingestehen, haben dies mit dem gewöhnlichen Bürger und Bauer gemein, daß wir ungern Zeitungen lesen, die uns keine Tatsachen berichten, sondern nur diplomatische Verhandlungen, Noten, Landtagsreden usw., lauter Dinge, von denen es mehr als zweifelhaft ist, ob sie überhaupt einen Erfolg haben, daß man nicht einmal erst noch klügelnd fragt: [313] welchen? – So hörten wir verwundert das erste Kriegssignal, auf das wir gar nicht vorbereitet waren – griffen hastig nach den Zeitungen, um uns darin nach dem Feind umzusehen – der noch nicht vor den Toren stand. Die Union rüstet wider den Bundestag, Preußen wider Österreich, Bayern, Sachsen und umgekehrt – so erklärten uns die Zeitungen; in unsere Sprache aber übersetzt, heißt es: Deutschland rüstet wider Deutschland – und wir wendeten uns erschüttert ab.

Doch nur einen Augenblick! Wir hatten den Mut, den Dingen näher ins Gesicht zu sehen, und wie immer erholten wir uns auch diesmal von dem leeren Schrecken. Wir haben nie daran geglaubt, daß es Preußens Regierung Ernst sei, die Sympathien ihres Volkes, oder wenigstens der konstitutionellen Partei desselben, sich erwerben zu wollen – wir konnten also auch jetzt nicht die Hoffnungen der Gothaner und Genossen teilen, daß Preußen sich rüste, zugunsten des Konstitutionalismus das Schwert zu ziehen, wir trauten ihr zwar keine persönlichen Sympathien zu für jenen »Fälscher von Greifswalde«, aber noch weniger für die verfassungstreuen Hessen – wir wußten, daß Preußen nicht rüsten werde für irgendein Recht des deutschen Volkes – denn es hat sie hundertfach mit Füßen getreten, sondern nur für die Rechte seiner Krone – für seine Oberhoheitsrechte über deutsche Fürsten und Stämme; die es sich durch die »Union« unter einer gefälligen Form bereits glaubte erworben zu haben. Wir teilten und teilen also die Sympathien der Konstitutionellen par excellence für Preußen nicht – daß wir aber keine Sympathien für Österreich haben, brauchen wir wohl nicht erst auseinanderzusetzen. Wir haben nur auch keine Furcht vor Österreich. Wollte Österreich es wagen, seine Regimenter aus Ungarn und Italien zu ziehen – es würde sie dort nur zu bald wieder hinsenden müssen und vielleicht kämen sie »zu spät«. Sollte in Deutschland auf fürstliches Geheiß ein Bruderkampf entbrennen – so möchte schwerlich dabei für die Fürsten etwas zu gewinnen – sondern eher zu verlieren sein. – In der badnischen Kammer sprach man mit Ängstlichkeit von dem Abzug der Preußen »aus dem lauen, etwas beruhigten Lande« und nannte das »zu früh«. Das ist ein Beispiel. –

Und so sind denn auch, wie wir es vorausgesagt, die Aussichten für Deutschland wieder sehr friedlich geworden, Preußen wird nachgeben und die Fürsten werden samt Österreich im deutschen Bundestag sich vereinigen. Daß dem deutschen Volk diese Vereinigung auch den letzten Schimmer von Freiheit, dem letzten Rest seiner Rechte noch rauben wird – wer zweifelt daran? – Aber hat denn die Demokratie jetzt noch irgendwo gehofft, daß sie, ein leuchtender Phönix, ihre Schwingen eher wieder erheben können, bis sie vollends in ihr Grab gesunken und nichts mehr von ihr zu sehen war als rauchende Asche?

Wir sind also beruhigt. Es wird kein Krieg werden – es wird kein deutsches Blut fließen auf deutschen Fluren von deutschen Händen vergossen – aber man wird die Waffen auch nicht aus der Hand legen, bis man »Garantien« hat befriedigender Einigung. So trauert denn nicht, deutsche Mütter, Gattinnen, Schwestern – man wird eure Lieben nicht morden, wenn sie auch noch ein wenig »marschieren« müssen in der rauhen Jahreszeit, wenn sie auch noch vom häuslichen Herd und den gewohnten Beschäftigungen entfernt bleiben und ihr dafür die fremde Einquartierung pflegen und bezahlen müßt. –

Wir kommen einmal aus den halben Zuständen nicht heraus – »der bewaffnete Friede« ist eben auch nichts als ein halber Krieg und ein halber Friede.

L.O.[314]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 306-307,313-315.
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