An Ludwig Börne

[8] Es war oft Brauch in alten frommen Zeiten

Daß eine heilge Lampe ward entzündet

Auf ein geliebtes Grab ihr Licht zu breiten,

Ein Liebeslicht das nimmermehr entschwindet

Mit seiner Wehmut sanftem Silberscheine.

Fürwahr! ich möchte gern den Brauch erneuen

Und Liebesschimmer auf ein Grab verstreuen,

Die Lampe hing so gern ich auf das Deine! –


Als mir zuerst die Kunde war gekommen:

»Ach, unser Börne starb und Frankreichs Boden

Hat unsren treusten Kämpfer aufgenommen?« –

Da kannte ich noch nicht den großen Toten;

Sah nur der Lieder Leichenfackeln blinken,

Die hinter Deinem Sarge hergetragen,

Sah Deiner Jünger Thränen niedersinken –

Und ließ mir Deines Lebens Kämpfe sagen.


Nun lauscht ich selber der Prophetenstimme,

Die für die Freiheit alles Volk entflammte,

Die, bald vernichtend, Deines Hasses Grimme

Bald Deiner Liebe für das Volk entstammte.[8]

Da preßt die Seele Sehnsucht mir zusammen,

Ein lindernd Öl fühl da ich in mir fließen,

In eine goldne Lampe möcht ich's gießen

Von Deinem Grabe durch die Welt zu flammen.


Des Öles Balsam, den ich so empfangen,

Es ist das Lied mit seinem hellen Dochte,

Dem Freiheitsstreben und dem Kraftverlangen,

Das ich nur Dir, nur Dir verdanken mochte!

Ich bin ein Weib – doch wirst Du nicht verachten

Mein Streben, nicht mein Lieben und mein Singen!

Ich bin ein Kind – kann keine Schwerter schwingen,

Den Brand nicht werfen, wo die Völker nachten.


Doch ist's ein weiblich, kindliches Geschäfte

Der Treue Lampe sorgsam fortzupflegen.

Das heischt nur Wachsamkeit nicht Männerkräfte

Und giebt im Dunkeln doch des Lichtes Segen,

Und wär es nur ein bleicher Silberschimmer:

's ist besser doch als ganz im Finstern weilen.

Das Öl der Liebe brennt – doch kann's auch heilen:

Glut, Licht und Heilung braucht die Menschheit immer.

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 8-9.
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