Dem Vater Jahn

[51] 1844


Mein Deutschland war zertreten und verachtet,

Zerrissen und ein Spielball fremder Mächte,

Das deutsche Volk von Sklaverei umnachtet

Und selber seine Fürsten waren Knechte,

Da that es not aus seinem Schlaf es wecken,

Da that ein Wort voll deutschen Sinnes not,

Da war es Zeit ihm seine Schmach entdecken

Und jede künft'ge die ihm droht.


Da riß Verzweiflung stürmisch in die Saiten

Der Harfen, die an deutschen Eichen hangen.

Da galt's mit Worten, wie mit Thaten streiten

Und auch die Dichter kämpften wie sie sangen.

Und deutsche Kraft galt's in der Jugend nähren:

Das Volk stand auf – »der Sturm bricht los –« brach los!

Das war das Werk den deutschen Sinn zu nähren

Und deutsche Kraft wuchs riesengroß!
[52]

Der Tapfren viele sind im Kampf geblieben

Der deutschen Jugend Führer fehlen viele,

Doch fehlt darum nicht unser brünstig Lieben

Für sie, die uns gezeigt den Weg zum Ziele;

Für sie, die aus der Hand die Fahne geben,

Damit die Jugend unsrer neuen Zeit

Sie selber lerne triumphierend heben

Zu neuer Siege Herrlichkeit.


So rauschte jetzt, gleich wie durch mächt'ge Eichen

Ein Abendwind erinnrungsflüsternd geht,

Dein Name aus den Blättern, aus den Zweigen

Darin der Geist der neuen Zeiten weht

Und an dem stillen Abend Deines Lebens

Bezeugt es Dir die deutsche Nation:

Du lebtest nicht, für sie auch nicht vergebens,

Der Deutsche ist auch jetzt dein Sohn.


Drum fühlt ich stolzer jetzt das Herz mir schlagen

Als ich Dein väterliches Wort empfangen;

Du wolltest mir den Segen nicht versagen

Zu meines Strebens brünstigem Verlangen;

Gleich wie dem Epheu an der Säule Fuße,

Die eines Tempels Hallen trägt und schmückt,

Vor seinem Eingang mit lebendgem Gruße

Die hohe Eiche flüsternd nickt.
[53]

Der deuschen Einheit und dem deutschen Sinne

Ist solch ein heilger Tempel aufgerichtet.

Du grüßt als mark'ge Eiche seine Zinne,

Ich hab als Epheu mich an ihn gedichtet.

Und lustig will ich um die Säulen steigen

Und fröhlich spielen mit dem grünen Kranz:

Den deutschen Schwestern will ich Deutschland zeigen,

Des deutschen Vaterlandes Glanz.


Du wollst dein Volk als deutsche Männer sehen

Und deutsche Männer sind dem Volk erstanden –

Doch ich will meines Deutschlands Töchter flehen,

Die ab den Blick vom Vaterlande wandten,

Ich will sie flehn, dies Vaterland zu ehren

Mit aller Kraft der Herzen stark und rein

Bis sie mit Stolz es ihrem Volke schwören:

Wir wollen deutsche Mädchen sein!

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 51-54.
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