Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob

[218] Vergeblich Mühen, in der Chronik blättern

Drin Deutschlands beste Namen sind gebucht –

Wohl steht da »Frauenlob« mit großen Lettern,

Doch weiter find' ich nicht, was ich gesucht:

Wie er gelebt, der also schön gesungen

Den Meistersang, das deutsche Minnelied?

Sein Leben in Vergessenheit geriet,

Indes sein Lied doch bis zu uns gedrungen,

Ein Klang der die Jahrhunderte durchzieht.


Von seinem Tod allein wird uns berichtet:

Er starb zu Mainz – und der der Frauen Lob

In holden Versen also schön gedichtet,

Der Frauen Dank auf zarte Schultern hob:

Es ward sein Sarg von Frauen nur getragen

Geschmückt mit Blumen und mit Eichenlaub,

Kein Aug' blieb trocken und kein Ohr blieb taub,

Bei ihren Trauersängen, ihren Klagen;

Im hohen Dom ruht noch des Sängers Staub.


Wohl mag ich solchen edlen Landsmann preisen,

Der einst die deutschen Schwestern so geehrt,

Und dessen Namen: »Heinerich von Meißen«[219]

Zu »Heinrich Frauenlob« die Zeit verklärt.

Nach seinem Schicksal gilt es nicht zu fragen,

Es ist erzählt von seinem Leichenzug:

Ein Dichter war er, dem im Busen schlug

Ein flammend Herz, das ein Eliaswagen,

Die Erde feiernd, doch zum Himmel trug.


Wer so der Frauen Huldigung empfangen,

Hat auch verstanden edler Frauen Herz,

Verstanden einer Frauenseele Bangen

Und tief gefühlt der Liebe Lust und Schmerz

Der wandelte in Frömmigkeit und Sitte,

Der war ein freier Mann, ein starker Held,

Bereit zum Kampfe wider eine Welt,

Sang gerne auch in zarter Frauen Mitte,

Sein Lied am Herde wie im Kriegerzelt.


Der schlang um zarte Stirnen Rosenkronen,

Erwarb sich selbst den Lorber in der Schlacht,

Von holden Frauen ließ er gern sich lohnen,

Ob er gekämpfet, ob im Lied gedacht.

So zog durch's Leben er im Dienst der Minne,

Und seine Herrin hat ihn hoch beglückt,

Ja ihn zu aller Frauen Preis entzückt,

Sie, die so treu und von so hohem Sinne,

Sein Lied mit holder Anmut ausgeschmückt.
[220]

Maguntia! ich knie in deinem Dome,

An Deinem Grabe, Heinrich Frauenlob,

Ich grüße Dich am edlen Rheinesstrome,

Der mich mit seinen Zaubern ganz umwob –

Gleich dir vom Meißner Land mich hergetragen,

Gelockt zu seinem Nibelungenhort.

Dein Grab ist mir auch ein geweihter Ort,

Drum rausch auch einer Jungfrau Leierschlagen

Zu seinem Preis durch alle Lande fort.

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 218-221.
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