Pfingstgruß

[247] Da ist das heil'ge Pfingsten wieder!

Des Lenzes und des Geistes Gruß

Senkt sich mit ihm zur Erde nieder

Im Sonnenglanz und Blütenkuß.


Halb wie der Maien leises Zittern

Im hellen Morgensonnenstrahl,

Halb wie ein dröhnendes Gewittern

Erklingt der Andacht Pfingstchoral.


»O heil'ger Geist, dereinst gesendet

Zum Kampf der Jünger Schar zu weihn,

Daß sie vom Niedern abgewendet

Dem Höchsten diene nur allein. –


O heil'ger Geist, komm zu uns allen,

Die wir auch heute kampfbereit

Zum Ziele der Erlösung wallen,

Von dem die Menschheit noch so weit.«


Sich Deinem Dienste recht ergeben

Heißt: nur für Freiheit, Lieb' und Licht

Das Schwert des Geistes aufzuheben,

Das blutlos selbst den Sieg erficht.
[248]

Doch thut es not dies Schwert zu schwingen

Gen Sclaventum und Haß und Nacht.

Bis Volk um Volk aus ihren Schlingen

Zum selgen Freiheitstag erwacht.


Heil ist nur auf des Lichtes Bahnen,

Nur sie zu wandeln Ehr und Kuhm,

Drum wählt gehorsam seinem Mahnen

Des heil'gen Geistes Kittertum!


Laßt hoch und stolz sein Banner wehen

Mit frischem Maienlaub umkränzt,

Bis wir es siegreich flattern sehen

Von Geistesflammen überglänzt.


Bis alles Volk, selbst geistdurchdrungen,

Vereint, erleuchtet, und befreit

Ein ew'ges Pfingsten sich errungen,

Voll Lieb' und Licht und Herrlichkeit.

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 247-249.
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