Germanias Standbild auf dem Niederwald

[273] 1873


Drei Jahre sind's – da stand der Dom vollendet,

Der Dom zu Köln, nun herrlich ausgebaut;

Ein Siegesmal, dem deutschen Volk gespendet,

Das endlich einig seiner Kraft vertraut.

Und frohgemut begann vor vierzig Jahren

Der Väter Erbe heilger Kunst zu wahren.


Und wie ich einst in meiner Jugend Tagen

Schon sehnsuchtsvoll zum grünen Rheine zog

Und um mich Viele wollten schon verzagen,

Weil scheinbar die Prophetenstimme log

Und falsch gesprochen von des Doms Erneuen –

Nun gilt es der Erfüllung sich zu freuen!


Jetzt ward ein andres Standbild aufgerichtet:

»Germania« thront auf dem Niederwald.

All' was ich einst von ihr geträumt, gedichtet,

Ward Wirklichkeit in herrlicher Gestalt,

Wallfahrend wie zu einem Heiligtume

Naht alles Volk und weiht sich ihrem Ruhme.
[273]

Auch ich sah sie in goldnem Sonnenglanze

Und wieder dann in stiller Mondennacht,

Das edle Frauenhaupt im Eichenkranze,

Erhoben hoch zu ihres Volkes Wacht –

Germania – einst nur ein Traum der Thoren –

Jetzt zu der Schirmerin des Reichs erkoren.


Und wehn im Sonnenglanz die deutschen Fahnen

Zu ihrer Ehr und donnern Schuß um Schuß –

Im stillen Mondschein ließ ein selig Ahnen

Mich leis vernehmen einen andern Gruß:

Ward eine deutsche Frau so hoch erhoben,

So ziemt's uns Allen unsre Kraft erproben.


So ziemt's uns Allen nach dem Ziel zu ringen,

Das hier erscheint in herrlicher Gestalt.

Was deutsche Frauen streben, muß gelingen,

Germania wird selbst uns Hort und Halt.

Jetzt ist es leichter Sieg zu prophezeihen,

Wenn wir zu ihrer Ehr uns selbst befreien.


Strömt jetzt am Rheine alles Volk zusammen

Und feiert man bei ihr ein Siegesfest,

Und lodern hoch der Freudenfeuer Flammen

Im Glauben, daß sie nie ihr Volk verläßt,

So dürfen wir auch ihrer Huld vertrauen,

Die höchste Frau verläßt auch nicht die Frauen.
[274]

Sie fordern ihren Teil als Priesterinnen

Im Dienst des Reiches, das man ihr geweiht;

In ihrem Dienste wollen sie beginnen

Das neue Werk der freien bessern Zeit,

Vertrauend knieen sie zu ihren Füßen,

Als höchste Schützern sie zu begrüßen.

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 273-275.
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