Ein und zwanzigster Brief.

[279] London, den 16. December 1827.


Liebe Julie!


Nachdem ich ein Gedicht in das W ...sche Hausstammbuch geschrieben, in welchen es von arabischen Rossen und Timurs Herrlichkeit, Cecil, Elisabeth, und Teherans weißen Schönen etc. wimmelte, verließ ich gestern meine freundlichen Wirthe, um nach London zurückzukehren. Noch an demselben Abend meiner Ankunft führte mich L. zu einem sonderbaren Schauspiel.

In einer, eine gute deutsche Meile entlegnen Vorstadt, nahm uns eine Art Scheuer auf, schmutzig, ohne andere Decke als das rohe Dach, durch welches hie und da der Mondschein blickte. In der Mitte befand sich ein, ohngefähr 12 Fuß im Quadrat haltender, mit dichten Holzbrüstungen eingefaßter und gedielter Platz, umgeben von einer Gallerie voll gemeinen[280] Volks und gefährlich aussehender Gesichter beiderlei Geschlechts. Eine Hühnersteige führte höher hinauf zu einer zweiten Gallerie, für Honoratioren bestimmt, welche pro Sitz mit drei Schillingen bezahlt wurde. Seltsam contrastirte mit diesem Aeußern ein an den Balken des Dachstuhls hängender Crystall-Lustre mit 30 dicken Wachskerzen besteckt, und einige Fashionables über dem höchst gemeinen Volk, welches letztere übrigens fortwährend Wetten von 20–50 L. St. ausbot, und annahm. Der Gegenstand derselben war ein schöner Ferrier, der hochberühmte Billy, welcher hundert lebendige Ratzen in 10 Minuten todt zu beißen sich anheischig machte. Noch war die Arena leer – und es harrte mit bangem, mit schrecklichem Weilen – während auf der untern Gallerie große Bierkrüge als Erfrischung von Mund zu Mund gingen, und dichter Cygarrenrauch emporwirbelte. Jetzt endlich! erschien ein starker Mann, einen Sack tragend, der einem Kartoffelsacke gleich, in der That aber die hundert lebendigen Ratzen enthielt, denen er, durch Lösung des Knotens, auf einmal die Freiheit gab, sie über den ganzen Platz hinsäete, und während ihres Herumtummelns schleunigst seinen Rückzug in eine Ecke nahm. Auf ein gegebenes Zeichen stürzte nun Billy herein, und begann mit unglaublicher Wuth sein mörderisches Geschäft. Sobald eine Ratze leblos dalag, nahm sie der ihm folgende Knecht Ruprecht wieder auf und steckte sie in den Sack, wobei wohl manche blos ohnmächtige mit unterlaufen mochte, ja vielleicht gab es alte[281] Praktiker darunter, die sich von Hause aus todt stellten. Kurz Billy gewann in 91/4 Minute, nach Ausweis aller gezogenen Uhren, in welcher Zeit sämmtliche 100 Leichname und Scheintodte sich schon wieder im Sacke befanden.

Dies war der erste Akt. Im zweiten kämpfte Billy von neuem, stets unter großem Beifallsgeschrei des Publikums, mit einem Dachs. Jeder der Kämpfer hatte einen Sekundanten, der ihn beim Schwanze hielt. Es wurde nur ein Biß oder Packen erlaubt, dann beide auseinander gerissen, und gleich wieder zugelassen, wobei Billy indeß immer den Vortheil hatte, und des armen Dachses Ohren von Blute trieften. Auch hier mußte Billy in einer gewissen Anzahl Minuten, ich weiß nicht mehr wie vielmal, den Dachs festgepackt haben, was er ebenfalls glänzend durchführte, zuletzt aber doch sehr erschöpft abzog.

Das Schauspiel endigte mit Bearbiting, worin der Bär einige Hunde übel zurichtete, und selbst wenig zu leiden schien. Man sah im Ganzen, daß den Entrepreneurs ihre Thiere zu kostbar waren, um sie ganz ernstlich zu erponiren, daher ich auch schon im Anfang, selbst die Ratzen, als einiges verborgenen Künstlertalents verdächtig, angegeben habe.

In demselben Lokal werden einige Monate später auch die Hahnenkämpfe gehalten, wovon ich später eine Beschreibung liefern werde.


[282] Den 21ten.


Es gibt ohne Zweifel drei Naturen im Menschen; eine Pflanzennatur, die sich begnügt zu vegetiren, eine thierische, die zerstört, und eine geistige, die schafft. Viele begnügen sich mit der ersten, die meisten nehmen noch die zweite in Anspruch, und nicht allzuviele die dritte. Ich muß leider gestehen, daß meine hiesige Lebensart mich nur in der erstgenannten Classe verweilen läßt, was mich oft sehr unbefriedigt stimmt, but I can't help it.

Du hast wohl ehemals von dem englischen Roscius gehört? ein neues Wundermännchen dieser Art ist aufgetreten, und die Reife seines frühzeitigen Talents ist in der That höchst auffallend. Master Burke, so wird der zehnjährige Knabe genannt, spielte im Surrey-Theater bei vollem Hause 5–6 sehr verschiedene Rollen mit einer Laune, scheinbaren Bühnenerfahrung, Aplomb, Volubilität der Sprache, treuem Gedächtniß, und gelenkiger Gewandtheit seiner kleinen Person, die in Erstaunen setzen. Was mich aber am meisten frappirte, war, daß er in einem Vorspiel seine natürliche Rolle, nämlich die eines Jungens von 10 Jahren, ebenfalls mit so ungemeiner Wahrheit gab, daß diese ächte Naivität dargestellter Kindlichkeit, nur Inspiration des Genies, ohnmöglich Resultat der Reflection bei einem solchen Knaben seyn konnte. Er begann die nachfolgenden Charaktere mit der Rolle eines italienischen Musikmeisters,[283] in der er sich zugleich als wahrer Virtuose auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa bloß in einigen eingelernten Fertigkeiten, sondern in dem guten Geschmack seines Spiels und einer selten erreichten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte es seinem ganzen Spiele an, daß er zum Musiker geboren sey. Hierauf folgte die Darstellung eines pedantischen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapitains u.s.w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt, und besonders ganz vortrefflich und unbefangen im stummen Spiel, woran so viele scheitern. Napoleon war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich möchte sagen, daß grade dies Mißlingen meinem Beifall die Krone aufsetzte. Es ist ein Kennzeichen des wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpassenden, Albernen selbst mit albern erscheint, und die Rolle war die Quintessenz des Abgeschmackten. Im Leben ist es nicht anders. Macht z.B. einen Lessing zur Hofschranze, oder Napoleon zum r ..... Lieutenant, und Ihr werdet sehen, wie schlecht beide ihre Rollen ausfüllen.

Ueberhaupt kömmt es nur darauf an, daß Jeder an seinem Platze stehe, so wird auch Jeder etwas Vorzügliches entwickeln. So besteht mein Genie z.B. in einer so zu sagen praktisch angewandten Phantasie, die ich stellen kann wie eine Uhr, mit der ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage sogleich zurechtfinden, sondern mit der ich mich auch, sie als Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, sie[284] zugleich wie der als Heilmittel, durch ein erfundenes Glück benutzen kann.

Ist das nun die Folge einer zufälligen physischen Organisation, oder ein Gewinn aus eigner Kraft durch vielleicht hundert vorhergegangene Generationen? Lebte dieses mein geistiges Individuum schon vorher in mit einander zusammenhängenden Formen und dauert es selbstständig fort, oder verliert es sich nach jeder Blase, die die ewige Gährung des Weltalls aufwirft, wieder im Allgemeinen? Ist, wie viele wollen, die Weltgeschichte, oder das, was in der Zeit sich begibt, eben so wie die Natur, oder das, was im Raume existirt, nach festen Gesetzen und Regeln einer leitenden Hand schon in seinem ganzen Verlauf im Voraus bestimmt, und endigt wie ein Drama im sogenannten Sieg des Guten über das Böse, oder bildet die freie geistige Kraft ihre Zukunft sich, in Allem unvorherbewußt, nur unter der nothwendigen Bedingung ihrer eignen Existenzmöglichkeit selbst aus? that is the question! Soviel indessen scheint mir klar, daß wir bei Annahme der ersten Hypothese, man drehe es wie man wolle, doch nur mehr oder weniger alle mit einander künstliche Puppen sind – nur bei der zweiten Voraussetzung wahrhaft freie Geister bleiben. Ich will es nicht leugnen, es ist etwas in mir, ein unbezwingliches Urgefühl, gleich dem innersten Bewußtseyn meiner selbst, das mich zu dem letztern Glauben hinzieht. Es ist dies vielleicht der Teufel! Doch verführt er mich nicht so weit, daß ich nicht mit innigster höchster Liebe einem[285] uns umfaßbaren Gotte unsern geheimnißvollen Ursprung in Demuth verdanken will, aber eben weil eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müssen wir von nun an auch selbstständig in Gott fortleben. Höre, was Angelus Silescus, der fromme Catholik, darüber sagt:


Soll ich mein letztes End, und ersten Anfang finden,

So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen,

Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein,

Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte seyn.


Eben deshalb ist mir auch jener Lehrsatz unerträglich: daß früher der Mensch höher gestanden und besser gewesen, sich aber nach und nach verschlechtert habe, und nun wieder eben so nach und nach, durch Sünde und Noth sich zur ersten Vollkommenheit wieder durcharbeiten müsse. Wie viel mehr allen Gesetzen der Natur und des Seyns angemessen, wie viel mehr einer ewigen, höchsten, über Alles waltenden Liebe und Gerechtigkeit entsprechend, ist es anzunehmen, daß die Menschheit (die ich überhaupt als ein wahres Individuum, einen Körper, ansehe), aus dem nothwendig unvollkommenern Anfang fort und fort einer stets weiter schreitenden Vervollkommnung, einer höhern geistigen Ausbildung aus eigner Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch die Liebe des Höchsten erschaffend hineingelegt wurde. Das goldne Zeitalter der Menschen, sagt der Graf St. Simon sehr richtig, ist nicht hinter uns, sondern vor uns. Das Unsrige könnte man (mehr des Wollens als des Vermögens wegen) das mystische nennen.[286] Aechte Mystik ist nun freilich selten, aber man muß es doch auch eine sehr vortheilhafte Erfindung der Weltklugen nennen, daß diese der Absurdität selbst ebenfalls einen Mantel von Titularmystik umzuhängen verstanden haben. Hinter diesen Vorhang gehört leider das Meiste, z.B. eben auch diese Erbsünde, wie sie unsre modernen Mystiker zu nennen belieben.

Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in einer geistreichen Gesellschaft, die jedoch an Zahl gering, nur aus einer Dame und zwei Herren bestand. Man stritt auch über die Erbsünde. Die Dame und ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür, wiewohl mehr vielleicht um eines geistigen Feuerwerks ihrer Gedanken willen, als aus Ueberzeugung. »Ja,« sagten die Gegner endlich, »die Erbsünde ist gewiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charte der Franzosen, es war der Drang des Wissens, der sich Bahn machte. Mit seiner Befriedigung kam das Unheil in die Welt, das aber freilich auch nöthig war zu unserer Läuterung, zum eignen Verdienste, dem einzig verdienstlichen.« – Auf diese Weise, erwiederte ich, mich zu meiner Mitstreiterin wendend, können wir es uns gefallen lassen, denn es ist mit andern Worten unsre Meinung, ein Lernen, der nöthige Uebergang aus Schlimmem zu Besserem durch eigne Erfahrung und Erkenntniß. – Allerdings, fiel die Dame ein, nur sollen Sie es dann nicht Erbsünde nennen. – »Gnädige Frau«, erwiederte einer der Antagonisten, »über den Namen wollen[287] wir nicht streiten, wenn es Ihnen recht ist, nennen wir es fortan Erbadel.«

Nach allen diesen Grübeleien habe ich heute erfahren, daß die frivolsten Weltleute auch über sich selbst nachdenken. Ein Oesterreicher von Stande, der sich seit einiger Zeit hier aufhält, ertheilte mir folgenden Rath praktischer Philosophie, den ich seiner Originalität wegen wörtlich hersetzen muß.

»Nix is halt dümmer«, sagte er, »als sich um de Zukunft gräme! Schaun's, als i hierher kam, war's grade Sommer, und die Season schon vorbei. Nu hätt' en Andrer sich gegrämt, grad in so schlechter Zeit herkommen zu seyn! aber i dacht, 's wird sich schon hinziehen, und richtig, 's hat sich bis zum November hingezogen! Unterdessen hat mich der Esterhazy ufs Land genemmen, wo i mich gar herrlich amüsirt hab, und nu is noch a Monat schlecht, dann wird's wieder full, die Bälle und die Routs gehn an, und i kann's nie mehr besser wünschen! Wär' i nu nich a rechter Narr gewesen, mi zu gräme ohne Noth? hab i ni recht? Man muß in der Welt grad wie ne H .... leben und nimmer zuviel an die Zukunft denken.«

Ich kann annehmen, daß dieser praktische Mann und ich sehr verschiedene Naturen sind, so wie mancher Philosoph vom Fache meine Grübeleien ohngefähr eben so mitleidig betrachten wird, als ich die des Oesterreichers; und doch kömmt das Resultat am Ende, wie es scheint, leider bei Allen auf eins[288] heraus! ungewiß bleibt bloß, welcher der größte Theil unter ihnen ist? Wahrscheinlich der, welcher sich für den Gescheidesten hält!


Den 28sten.


Ich habe die unangenehme Nachricht erhalten, daß nahe bei Helgoland das Schiff, mit dem ich Dir die gekauften Sämereien und Blumen schickte, untergegangen ist, und nur wenige der Equipage gerettet wurden. Freund L. verliert auch einen großen Theil seiner Effecten dabei. Es ist das einzige Schiff, was dieses Jahr in jenen Gewässern verloren ging, und hat ohnbezweifelt sein Mißgeschick dem Frevel zu verdanken, an einem Freitag abgefahren zu seyn. Du lachst, aber mit diesem Tage hat es eine besondere Bewandtniß, und ich scheue ihn auch, da er in dem unerklärlichen verkörperten Bilde, das sich meine Phantasie von den Wochentagen unwillkührlich geschaffen hat, der einzige von rabenschwarzer Farbe ist. Vielleicht interessirt es Dich, bei dieser Gelegenheit die Farbe der andern, als ein mystisches Räthsel zu erfahren. Der Sonntag ist gelb, Montag blau, Dienstag braun, Mittwoch und Sonnabend ziegelroth, Donnerstag aschgrau. Dabei haben alle diese Tagindividuen einen seltsamen und gewissermassen geistigen Körper, d.h. durchsichtig ohne bestimmte Form und Gränzen.[289]

Doch um auf den Freitag zurückzukommen, so erzählte mir der hiesige amerikanische Legations-Secretair, neulich Folgendes davon.

»Der Aberglaube, daß Freitag ein übler Tag sey«, sagte er, »bleibt bis zu dieser Stunde bei allen unsern Seeleuten mehr oder weniger eingewurzelt. Ein aufgeklärter Handelsmann in Connecticut hatte vor einigen Jahren den Wunsch, das Seinige beizutragen, um einen Eindruck zu schwächen, der oft sehr unbequem wirkt. Er veranlaßte daher, daß ein neues Schiff für ihn an einem Freitag zu bauen angefangen wurde. An einem Freitag ließ er es vom Stapel laufen, gab ihm den Namen Freitag, und auf seinen Befehl begann die erste Reise gleichfalls an einem Freitag. Unglücklicherweise für den Erfolg dieses so wohlgemeinten Experiments, hat man von Schiff und Mannschaft nie wieder das Mindeste gehört. –

Gestern erhielt ich Deinen Brief.

Daß Dein Edelstein, wie Du ihn liebreich nennst, von Vielen in der Welt nicht nur übersehen, sondern oft sogar gern in die Erde getreten werden möchte, kömmt sehr natürlich daher, weil er im Grunde nur an wenig Stellen geschliffen wurde, und strahlt nicht durch Zufall grade eine solche dem Vorübergehenden entgegen, so wird er comme de raison den gemeinen Kieseln gleich geachtet, und wo eine hervorragende Spitze verwundet, wo möglich eingetreten. Nur hie und da schätzt ihn jedoch ein Kenner, und der Besitzer – der überschätzt ihn.[290]

Die Schilderung der englischen Familie M. in B. hat mich lachen gemacht, und die Originale zu diesen Portraits sind in der großen Welt hier sehr häufig, ja die Tournüre der Damen im Allgemeinen, und mit seltnen Ausnahmen, ist eben so schlecht als die, welche Du in B. gesehen – aber lang beseßner und ungemeßner Reichthum, alte historische Namen und strenge Zurückhaltung geben doch dieser aristokratischen Gesellschaft etwas Imposantes, namentlich für einen norddeutschen Edelmann, der so wenig ist!

Die kleinen Unglücksfälle, welche Du mir meldest, nimm nicht zu Herzen. Was sind sie anders als unbedeutende Wölkchen, so lange die Sonne des Geistes klar in unserm innern Himmel scheint! Uebrigens solltest Du mehr Zerstreuung aufsuchen. Geh auch zu W., zu H., zu L. Man muß die Leute nicht bloß sehen, wenn man ihrer bedarf, sie glauben sonst nicht, daß man sie liebt und schätzt, sondern nur, daß man sie braucht; und doch wäre es gut, wenn eben diese drei uns ins Herz sehen könnten. Sie würden uns mehr lieben lernen als durch Worte und Visiten. Den Park betreffend hast Du, fürchte ich, wie ein grausamer Tyrann, erhabne Greise mit kaltem Blute gemordet. Dreihundertjährige Linden fielen also, wie unwillkührliche Märtyrer, einer hellern Aussicht zum Opfer? Das ist allerdings zeitgemäß – von nun an gebe ich Dir jedoch die Instruction, nur zu pflanzen, und zwar so viel Du willst, aber nichts, was da ist,[291] wegzunehmen. Später werde ich ja selbst kommen, und die Spreu vom Weitzen sondern.«


Den 31sten.


Don Miguel von Portugal ist hier angekommen, und ich ward ihm heute früh vorgestellt. Nur das Corps diplomatique und einige wenige Fremde waren zugegen. Der junge Prinz ist nicht übel, sieht sogar Napoleon ähnlich, war aber etwas embarrassirter in seinem Benehmen. Er trug sieben Sterne und gleichfalls sieben große Ordensbänder über den Rock. Seine Gesichtsfarbe glich der Olive seines Vaterlandes, und der Ausdruck seiner Physiognomie war mehr melancholisch als heiter.


Den 1sten Jänner 1828.


Meinen besten Wunsch zum heutigen Tage, und den herzlichsten Kuß zum Anfang desselben. Vielleicht ist dies das gute Jahr, welches wir, wie die Juden den rechten Messias, schon so lange vergebens erwarten. Die Eröffnung desselben ward wenigstens von mir sehr heiter verlebt. Wir hatten den gestrigen Tag bei Sir L.M., der fünf bis sechs sehr hübsche Weiber und Mädchen eingeladen hatte, zugebracht, und gegen Mitternacht dem neuen Jahr[292] einen Toast zugetrunken. L. und ich führten dabei die deutsche Mode ein, die Damen zu küssen, was sie sich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht gern gefallen ließen.

Heute speiste ich dagegen ein hanövrisches Reh (hier gibt es keine) beim Grafen Münster auf dem Lande, dem man zum Weihnachtsgeschenk ein Blunderbuß (Cacafoco im Italienischen) in das große Fenster der Wohnstube abgeschossen hat, grade während die Gräfin ihren Kindern den heiligen Christ bescheerte. Das Schrot war durch die Spiegelscheiben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zerschmettern. Glücklicherweise war die Christbescheerung so entfernt vom Fenster, daß die Schrote nicht so weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber einer solchen Infamie seyn kann!

Die Anwesenheit Don Miguels macht London lebhaft. Eine Soirée beim Herzog von Clarence fand diesen Abend statt, und morgen wird ein großer Ball bei Lady K. seyn. Der Prinz scheint allgemein zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu Hause ist, etwas recht Gemessenes und Vornehmes in seiner Tournüre, wiewohl es so aussieht, als ruhe im Hintergrunde seiner großen Affabilität doch mehr als eine arrière-pensée. Die Etikette ist übrigens für die Portugiesen so streng, daß unser guter Marquis P .... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerst ansichtig wird, auf seine Kniee niederfallen muß.


[293] Den 3ten.


Das gestrige Fest bei'm Fürsten E. übergehe ich, um Dir von der heutigen Pantomime zu erzählen, die Don Miguel ebenfalls mit seiner Gegenwart beehrte. Es ging ihm dabei noch schlimmer, wie dem seligen Churfürsten von Hessen in Berlin, der bei dem Eröffnungs-Chor der Oper, welches die Amazonen-Königin leben ließ, aufstand, um sich zu bedanken.

Das hiesige Volk nämlich, dem Don Miguel als ein tyrannischer Ultra geschildert worden war, und das nun in dem gefürchteten Ungeheuer einen ganz artigen und hübschen jungen Mann sieht, ist vom Abscheu zur Liebe übergegangen, und empfängt überall den Prinzen mit Enthusiasmus. So auch heute im Theater. Don Miguel stand sogleich mit seiner portugiesischen und englischen Suite auf, und dankte verbindlichst. Kurz darauf rollte der Vorhang empor, und ein neues unbändiges Klatschen zollte der schönen Dekoration Beifall. Abermals erhob sich Don Miguel, und dankte verbindlichst. Verwundert und überrascht rief dennoch gutmüthig das Publikum, den Irrthum übersehend, von neuem Vivat. Nun aber erschien der Lieblingspossenreißer auf dem Theater, und zwar als großer Orang-Outang mit Mazuriers Gelenkigkeit. Stärker als je ertönte der Enthusiasmus des Beifalls, und abermals erhob sich Don Miguel, und dankte verbindlichst. Diesmal aber wurde[294] das Compliment nur durch lautes Lachen erwiedert, und einer seiner englischen Begleiter, Lord M.C., ergriff ohne Umstände den Infanten bei'm Arme, um ihn wieder auf seinen Sitz zurück zu ziehen. Gewiß aber blieben Don Miguel und der Lieblingsakteur lange im Geiste des Publikums wider Willen identificirt.


Den 6ten.


Wir schweben in fortwährenden Festen. Gestern gab die schöne Marquise das ihrige, heute die gefeierte Fürstin L., welches bis nach 6 Uhr früh dauerte. Von Morgen bis Abend bemüht man sich unablässig, den Prinzen zu amüsiren, und es ist wohl angenehm, eine so bevorrechtete Person zu seyn, die zu unterhalten und ihr zu gefallen die Höchsten wie die Niedrigsten, die Klügsten wie die Dümmsten, ihr Möglichstes thun.

Mitten unter diesem trouble erhielt ich wieder einen Brief von Dir durch L ..., und freute mich, die darin enthaltene hunderttausendste Versicherung Deiner Liebe, eine Versicherung, die ich vor der ersten Million gewiß nicht zu hören müde werde, und nach dieser Million sogar noch ausrufen werde: L'apetit vient en mangeant! So geht es auch mit den hiesigen Festen, d.h. die Welt wird ihrer nicht müde. Während sie immer mehr ihren Horizont sich mit Gewittern überziehen sieht, tanzen und diniren unsre[295] Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes mischt sich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem, wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.

Meine Stimmung ist durch alles das günstig gereizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele (denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört, auch noch eine eigne weibliche) ist jetzt du jour, und dann fühle ich mich immer selbstständiger, freier und weniger empfänglich für Aeußeres. Dies ist sehr passend für den hiesigen Aufenthalt, denn die Engländer sind wie ihre Flintkiesel, kalt, eckig, und mit schneidenden Kanten versehen, aber dem Stahl gelingt es deshalb am leichtesten, belebende Funken aus ihnen zu schlagen, die Helle geben, durch wohlthätigen Antagonismus.

In der Regel bin ich indessen zu träge, oder besser gesagt, zu wenig durch sie erregt, um als Stahl auf die mich umgebenden Individuen agieren zu mögen und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenigstens immer noch größeren entgegengesetzt, und Manche dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und das Andere war mir recht, denn der Cranolog sagt ganz wahr über mich, daß mir ein wesentlich schaffenwollender Geist zugeteilt sey, und solche lieben allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket, oder was unter ihnen stehend, ein brauchbares Instrument für sie wird, um ihre eignen Melodien darauf zu spielen. Den Uebrigen stehen sie entgegen oder fern.


[296] Den 11ten.


Die letzte Soiré für Don Miguel fand heute endlich beim holländischen Ambassadeur statt, an welchen Umstand man allerhand interessante historische Reminiscenzen knüpfen könnte, denn Portugal wie Holland, beides kleine Länder nur, waren doch einst Weltmächte. Eins ging den Weg der Freiheit, das andere den der Sclaverei, und beide wurden dennoch gleich unbedeutend, und ihr inneres Glück scheint auch nicht sehr verschieden zu sein. Doch ich will diese Betrachthung verlassen, und dafür lieber mit ein Paar Worten die Liebenswürdigkeit der Ambassadrice rühmen, deren französischer leichter Sinn noch nichts von den schwermüthigen Narrheiten der englischen Fashion angenommen hat. Ihr Haus ist zugleich eins von den wenigen, das man uneingeladen Abends der Continentalsitte gemäß besuchen, und eine Conversation daselbst finden kann. Als Madame de F ... noch unverheiratet in Tournay lebte, wohnte im Befreiungskriege mein theurer Chef, der alte Großherzog von W ... in ihrer Eltern Hause und pflegte die reizende Tochter scherzend den liebsten seiner Adjutanten zu nennen. Ich habe also, da ich denselben Posten bekleidete, eine Art Kameradschaft geltend zu machen, eine Ehre, die ich mir um so weniger nehmen lassen mag, da auch ihr Gemahl ein sehr angenehmer Mann ist, der sich durch Geist und Güte gleich sehr auszeichnet.[297]

Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deutsches Diné eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit wilde Hannovraner auftischt. Heute war es ein herrlicher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Erfindung Georg IV., von der im Almanach des gourmands steht: qu'avec une telle Sauce on mangerait son père. Außer dieser Delikatesse wurde eine gute Anekdote von W. Scott zum Besten gegeben. Dieser begegnete auf der Straße einem irländischen Bettler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat. Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm endlich einen ganzen Schilling, indem er scherzend sagte: aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence schuldig seid. »O gewiß!« rief der Bettler, »und möge Gott Euch so lange leben lassen, bis ich ihn wieder bezahle.«

Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachlese Deiner letzten Briefe. Meine Ansicht der Rolle des Macbeth hast Du sehr wohl verstanden, und sprichst Dich in wenig Worten meisterhaft darüber aus, so wie über die Leistung der dortigen Schauspieler. Es ist wohl sonderbar, aber wahr, daß beinahe überall die Bühne gegen sonst degeneriert. Gewiß liegt es auch in der überegoistischen, mehr mechanischen als poetischen Zeit.

Eben so wahr ist Deine Bemerkung über die B ... höhere Gesellschaft, und daß der Witz, ja selbst das Wissen, welches dort sich brüstet, nichts von dem gutmüthig Anschmiegenden habe, das beiden eigentlich den wahren gesellschaftlichen Reiz allein verleihen kann.[298] Der warme Pulsschlag des Herzens fehlt jenem vertrockneten Boden, die Leute können nicht davor, und wenn sie Phantasie heimsucht, erscheint sie ihnen wie dem seligen Hofmann, auch immer nur als schauerlicher Gliedermann und als Gespenst. Dein Freund, dem es oft nicht besser geht, wurde leider auch im Sande geboren, aber der Duft des Erzes, glaub' ich, aus den Schachten, der flammende Hauch der Gnomen von da unten her, die dunkle Waldeseinsamkeit der Tannen oben, und das Geflüster der Dryaden aus ihren in dichten Festons herabhängenden Zweigen, haben seine Wiege umgeben, und dem armen Kleinen einige fremdartige wohlthätige Elemente verliehen.

Die Parforce-Teilnehmer der neuen Parforce-Jagd haben mich herzlich lachen gemacht. Sie sind das beste Gegenstück zu den freiwilligen Landwehrmännern. Da ich indeß selbst ein aufrichtig Freiwilliger der Letzteren bin, weil ich unsern König von Herzen liebe, und ihm dienen zu können nicht bloß Pflicht, sondern ein Genuß für mich ist, so werde ich mir, wieder zu Haus angekommen, auch sehr gern une douce violence zur Parforcejagd anthun lassen, da ich den elegantesten und liebenswürdigsten Prinzen, welcher der Hauptunternehmer derselben ist, eben so innig verehre und ihm zugethan bin. Die bei uns fast vergessene Feldreiterei wird dadurch gewiß wieder aufblühen, und England lehrt mich täglich, daß die Wirkung solcher mit Gefahren und Strapazen verbundenen Sitten, auf[299] die Jugend, und man kann wirklich sagen, Nationalbildung sehr vortheilhaft einwirkt.


Den 14ten.


Mit dem Grafen B. und einem Sohne der berühmten Madame Tallien, fuhr ich diesen Morgen in die City, um das Indiahouse zu besehen, wo viele merkwürdige Gegenstände aufbewahrt werden. Tippo Saybs Traumbuch unter anderen, in dem er jeden Tag selbst seine Träume und ihre Auslegung aufschrieb, und dem er auch seinen Untergang, gleich Wallenstein, hauptsächlich dankte. Seine Rüstung, ein Theil seines goldnen Thrones und eine seltsame Drehorgel werden gleichfalls hier aufbewahrt. Die letzte befindet sich in dem Bauche eines sehr gut dargestellten, metallenen Tigers, in natürlichen Farben und Lebensgröße. Unter dem Tiger liegt ein Engländer in rother Uniform, den er zerfleischt, und während man dreht, wird täuschend das Geschrei und Gewimmer eines mit der Todes-Agonie kämpfenden Menschen, schauerlich abwechselnd mit dem Brüllen und Grunzen des Tigers, nachgeahmt. Es ist dieß Instrument recht charakteristisch zur Würdigung jenes furchtbaren Feindes der Engländer, der selbst die Tigerstreifen zu seinem Wappen machte, und von sich zu sagen pflegte: daß er lieber einen Tag lang ein auf Raub ausgehender Tiger, als ein Jahrhundert lang ein ruhig weidendes Schaaf seyn möge.[300]

Das Prachtwerk über die berühmten, im harten Felsen ausgehauenen Tempel von Ellora, von Daniels, interessierte mich ungemein. Das Alter dieser herrlichen Denkmäler ist im Grunde gänzlich unbekannt. Höchst seltsam, und mit Merkels Hypothese, daß die älteste Kulturperiode der Erde von Negern ausgegangen sey, völlig übereinstimmend ist es, daß die Statue des Gottes im Allerheiligsten des ältesten Budda-Tempels ganz offenbar die sehr markierten Züge und das wollige Haar eines Negers darbietet.

Ein großer Stein von den Ruinen aus Persepolis, ganz bedeckt mit der immer noch unentzifferten Pfeilschrift, große chinesische Gemälde, haushohe chinesische Laternen, ein riesengroßer Plan der Stadt Calcutta, schöne persische Miniaturen etc., sind die vorzüglichsten Merkwürdigkeiten dieser Sammlung.

Wir besahen hierauf auch die Waarenlager, wo man alle indischen Produkte, wenn man sie sogleich nach dem Continent verschickt, äußerst wohlfeil kaufen kann, da sie in diesem Fall keine Abgabe an das Gouvernement zahlen. Shawls, die bei uns hundert Louisd'or wenigstens kosten würden, sind in größeren Quantitäten hier wohl für vierzig zu haben. Die schönsten, die ich je gesehen, und deren Feinheit und Pracht bei unsern Damen gewiß das größte Aufsehen machen würden, standen nur im Preis von 150 Guineen – in England sind indessen Shawls überhaupt wenig Mode, und werden nicht geachtet, so daß man auch fast alle nur in's Ausland verkauft.[301]

Den 16ten.


Der neue Dampfpostwagen ist so eben fertig geworden, und legt probeweise im Regentspark fünf Meilen in einer halben Stunde zurück. Doch ist immer noch jeden Augenblick etwas daran zu reparieren. Ich war einer der ersten Neugierigen, die ihn versuchten, fand aber den fettigen Eisengeruch, der auch die Dampfschiffe so unangenehm macht, hier doppelt unerträglich.

Seltsamer ist noch ein anderes Fuhrwerk, dem ich mich ebenfalls anvertraute. Es besteht in nichts Geringerem als einem Wagen, der von einem Drachen gezogen wird, und zwar einem Papierdrachen, der nicht viel anders construirt ist, als diejenigen, welche die Kinder aufsteigen lassen. Es ist daher auch ein Schulmeister, der die Sache erfunden hat, und selbst so geschickt sein Vehikel zu führen weiß, daß er, auch mit halbem Wind, gut fortkömmt, mit ganz günstigem aber auf gutem Terrain die englische Meile in 3/4 Minuten zurücklegt. Die Empfindung ist sehr angenehm, da man über die kleinen Unebenheiten des Bodens, wie darüber gehoben, hinweggleitet. Der Erfinder schlägt vor, die afrikanischen Wüsten damit zu bereisen, und hat zu diesem Behuf einen Raum am Hintergestell angebracht, wo ein Pony, gleich einem Bedienten, hintenauf steht, und im Fall einer Windstille vorgespannt wird. Was freilich hinsichtlich der Fourrage anzufangen sein möchte, ist nicht[302] wohl abzusehen, der Schulmeister rechnet aber auf die in jenen Gegenden regelmäßig wehenden Passatwinde. Als Amüsement auf dem Lande ist die Sache jedenfalls sehr zu empfehlen, und ich sende Dir daher beiliegend eine ausführliche Broschüre mit erläuternden Kupfern, wonach Du etwaigen Liebhabern unter Deinen eignen Schulmeistern auftragen kannst, ähnliche Versuche zu machen.

Den Abend widmete ich einer Pantomime, deren originelle Tollheit von so vortrefflichen Dekorationen und Maschinerien unterstützt ward, daß man sich ohne viele Schwierigkeit in die Zeit der Feenmährchen versetzen konnte. Solcher lieblicher Unsinn ist herrlich. Z.B. im Reich der Frösche ein unabsehbarer Schilfsumpf, dessen Bewohner geschickte Schauspieler auf's Täuschendste agiren müssen, und zuletzt ein Tempel der Johanniswürmchen, den an ausgelassener Phantasie und wunderbarem Glanz kein chinesisches Feuerwerk erreicht.


Brighton, den 23sten.


Die Mode ist eine große Tyrannin, und so sehr ich das einsehe, lasse ich mich doch auch, wie jeder andere, von ihr regieren. Seit einigen Tagen hat sie mich wieder hierher geführt zu der liebenswürdigen Misses J ...., der klugen Lady L ...., der reizenden F .... etc. etc.[303]

Schon bin ich wieder von Bällen und Dinérs ermüdet, und coqettiere wieder mit dem Meer, dem einzigen poetischen Gegenstand in der hiesigen prosaischen Welt. Eben ging ich, bei'm Scheiden der Nacht, von einem Rout am äußersten Ende der Stadt kommend, wohl eine halbe Stunde zu Fuß an seinen Ufern hin, unter dem Schäumen und Donnern der ankommenden Fluth. Die Sterne blinkten noch klar funkelnd herab, ewige Ruhe thronte oben, und wildes Brausen und Wallen tobte hier unten – Himmel und Erde in ihrem wahrsten Bilde! Wie herrlich, wie wohlthuend, wie furchtbar, wie angsterregend ist doch diese Welt! die Welt – die nie anfing, die nie endet – deren Raum nirgends begrenzt ist – in deren nach allen Seiten endloser Verfolgung die Phantasie selbst, schaudernd sich verhüllend, zu Boden sinkt. Ach, meine theure Julie, Liebe nur findet den Ausweg aus diesem Labyrinth! Sagt nicht auch Göthe: Glücklich allein ist die Seele die liebt!


Den 24sten.


Wir haben heute eine vortreffliche Jagd gemacht. Das Wetter war selten klar und sonnig, dabei wohl an hundert Rothröcke versammelt. Ein solches Schauspiel ist gewiß voller Interesse, die vielen schönen Pferde, die elegant gekleideten Jäger, fünfzig bis sechzig Hunde, die über Stock und Stein Reineke verfolgen, und das wilde Reiterheer hintendrein, die[304] schnelle Abwechselung von Wald und Berg und Thal, das Geschrei und Gejauchze. Es ist beinahe wie ein kleiner Krieg.

Die hiesige Gegend ist sehr hüglig, und einmal ging die Jagd einen so langen und steilen Berg hinan, daß die meisten Pferde nicht mehr fortkonnten, und auch die besten wie Blasebälge in der Schmiede stöhnten. Aber oben einmal angekommen, war der Coup d'oeil auch wahrhaft prachtvoll. Man übersah das Ganze, vom Fuchs bis zum letzten Traineur in voller Bewegung, mit einem Blick, und außerdem links ein reiches Thal, sich bis gegen London ausdehnend, rechts das Meer im schönsten Sonnenglanz.

Den ersten Fuchs bekamen wir, der zweite aber erreichte Malepartus vor uns, und entging auf diese Art seinen Verfolgern. Fast alle diese Jagden werden auf Subscription gehalten. Die hiesige Meute z.B., aus achtzig Hunden und drei Piqueurs, mit neun Pferden bestehend, kostet jährlich 1050 L. St., wozu fünf und zwanzig Theilnehmer sind, die bezahlen. Jeder der Lust hat, kann aber auch unentgeldlich mitreiten. Es kömmt also für die Entrepreneurs auf den Mann nicht mehr als 42 L. St. jährlich. Diese sind jedoch nichts weniger als gleich vertheilt. Die Reichen geben viel, die Armen wenig. Mancher zweihundert jährlich, ein anderer nur zehn, und ich glaube, dieses Arrangement wäre auch recht gut bei uns nachzuahmen, besonders von Seiten der Armen. Am auffallendsten sind bei diesen Jagden für unsre verwöhnten Augen die in schwarzen Röcken[305] über Zaun und Gräben fliegenden Pastoren, welche oft, schon gestiefelt und gespornt, mit der Jagdpeitsche in der Hand, schnell vorher noch copulieren, taufen oder begraben, um sich von der Ceremonie weg sogleich auf's Roß zu schwingen. Man erzählt von einem der berühmtesten geistlichen Fuchsjäger dieser Art, daß er immer einen zahmen Fuchs in der Tasche mit sich führte, und fand man keinen andern, diesen zum Besten gab. Das Thier war so gut abgerichtet, daß es eine Weile die Hunde amüsirte, und dann, wenn es der Jagd müde war, sich schnell in seinen unantastbaren Schlupfwinkel rettete, denn dieser war kein anderer – als der Altar der Dorfkirche, zu dem ein Loch in der Mauer führte, und unter dessen Stufen ihm ein bequemes Lager bereitet war. Dies ist recht englisch religiös.


Den 6ten Februar.


Ich habe mir durch Verkältung ein heftiges nervöses Fieber geholt, das mich schon vierzehn Tage an mein Bett fesselt, und außerordentlich abgemattet hat. Es ist sogar nicht ganz ohne Gefahr gewesen, die jetzt jedoch, wie der Arzt versichert, vorüber ist – also besorge nichts. Sonderbar, daß man bei einer abmattenden Krankheit gegen den Gedanken des Todes so gleichgültig wird. Er kommt uns nur wie Ruhe und Einschlafen vor, und ich wünsche mir sehr zum dringendsten Ende ein solches langsames Herannahen[306] meiner körperlichen Auflösung. Als einer, der gern beobachtet, möchte ich auch mich selbst, so zu sagen, sterben fühlen und sehen, so weit dies möglich ist, d.h. bis zum letzten Augenblick mit voller Besinnung meine Emotionen und Gedanken betrachten, die Existenz auskosten bis zum letzten Augenblick. Ein plötzlicher Tod kömmt mir wie etwas Gemeines, Thierisches vor; nur ein langsamer, mit vollem Bewußtseyn wie ein veredelter, menschlicher. Ich hoffe übrigens sehr ruhig zu sterben, denn obgleich ich eben nicht ganz zum heiligen des Lebens gekommen bin, so habe ich mich doch an Liebe und Güte gehalten und immer die Menschheit, wenn auch nicht zuviel einzelne Menschen, geliebt. Also noch nicht reif für den Himmel, wünsche ich recht sehr, nach meiner Theorie der Metempsychose, noch öfters auf dieser lieben Erde einheimisch zu werden. Der Planet ist schön und interessant genug, um sich einige tausend Jahre in immer erneuter Menschengestalt darauf umherzutummeln. Ist es aber anders, so ist mir's auch recht. Aus Gott und aus der Welt fällt man einmal gewiß nicht, und dümmer und schlechter wird man wahrscheinlich auch nicht, sondern eher gescheiter und besser.

Das schlimmste beim Tode für mich wäre der Gedanke an Deinen Schmerz, und doch – würde ich vielleicht ohne das Bewußtseyn Deiner Liebe nicht ganz so wohlthätig und resigniert sterben können. Es ist ein süßes Gefühl beim Tode, zu wissen, daß man auch jetzt noch Jemand zurückläßt, der unser[307] Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf diese Art, so lange Jenes Augen sich dem Lichte öffnen, noch gleichsam fortzuleben in und mit ihm. Ist das nun auch Egoismus?

Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir noch etwas erzählen. Erinnerst Du Dich, von meinem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines schottischen Chieftains, eines etwas phantastischen, aber kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in der Blüthe dieser männlichen Kraft zu leben aufgehört. Mit seinen beiden Töchtern auf einem Dampfboot eingeschifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren von einer Segelstange einen so heftigen Schlag an den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen Anfall von Raserei versetzt wurde, in Folge dessen ins Meer sprang und ans Land schwamm, wo er nach wenigen Stunden verschied. Dies Ende hat einige tragische Verwandtschaft mit der Geschichte seines Vorfahren, die er mir mit so viel Stolz mittheilte, dessen nämlich, welcher, seine Hand abhauend, sie ans Ufer warf und ihr nachschwamm.


Den 8ten.


Der Doctor findet mich sehr geduldig – du lieber Gott, ich habe wohl Geduld gelernt – und um gerecht zu seyn, Widerwärtigkeit ist für den Geist eine kostbare Schule. Widerwärtigkeit entsteht aber im tiefsten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die[308] sich dadurch wieder selbst bessern, und man kann unbedingt annehmen, daß die Menschen, wenn sie von Hause aus stets vernünftig und gut handelten, kaum ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden müßten auch so subtil werden, daß man auf alles Irdische nur wenig Werth mehr setzen könnte. Keine Dinés mehr, bei denen man so gerne eine Indigestion riskirt. Kein Ruhm mehr, dem man mit so viel befriedigter Eitelkeit nachjagt, kein süßes und verbotnes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvorthut! – es wäre am Ende, Gott verzeih mir die Sünde, doch nur ein wahres Philisterleben, ein Stillstand, wenn gleich in scheinbarer Vollkommenheit. Wahres Leben aber ist Bewegung und Contrast. Es wäre also am Ende das größte Ungemach, wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden. Ich glaube indeß, die Gefahr ist noch nicht so nahe. Du siehst, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht geändert, ich würde Dir aber den noch gar nichts davon geschrieben haben, wenn dieser Brief eher abginge, als bis ich ganz hergestellt bin. So kannst Du ihn aber mit völliger Seelenruhe lesen, und überzeugt seyn, daß ich bis zum letzten Hauch Alles genießen will, was uns der freundliche Gott bescheert hat, Heller oder Goldstücke, Kartenhäuser oder Palläste, Seifenblasen oder Rang und Würden, wie es die Zeiten und Umstände mit sich bringen, und zuletzt auch noch den Tod, und was dann Neues darauf hier oder dort folgen wird. Schön sind die ernsten Tugenden aber dazwischen, als Würze! So z.B. genieße[309] ich schon wahrhaft meine jetzige Mäßigkeit, ich fühle mich dabei ganz ätherisch leicht, über das Animalische erhabner als gewöhnlich. – Von andern Verirrungen ist gar nicht mehr die Rede, und dies Alles gibt mir wirklich einen Vorgeschmack der einstigen reineren Freuden – des Alters. Denn für gewisse Dinge – gestehen wir es nur frank und frei, – hat der böse Franzose wenigstens halb recht, welcher sagt: que c'est le vice qui nous quitte, et bien rarement nous, qui quittons le vice. Selbst die ehrlichsten der Schwärmer fanden die sicherste Tugend nur im Messer, wie der große Origines.


Den 9ten.


Nie habe ich einen Doctor gehabt, der es so gut mit dem – Apotheker meint. Jeden Tag zwei Medicinen; ich ernähre mich mit nichts anderm, da ich aber leider ernstlich krank bin, nehme ich gelassen, was verlangt wird. Eine Krankenwärterin, wie Du es bist, vermisse ich aber sehr, und meine dürre und trockne Wirthin, welche sich doch öfters sehr gutwillig dazu anbietet, wäre ein schlechter Ersatz. Indessen lese ich viel, und bin ganz heiter. Wollte ich mich melancholischen Selbstquälereien überlassen, so könnte ich mich, ausser den positiven Ursachen dazu, noch negativ darüber ärgern, daß jetzt, wo ich zu Haus bleiben muß, fortwährend das schönste Wetter[310] ist. Da ich aber die Weiser meiner Geistesuhr auf eine ganz andere Direktion gestellt habe, so bin ich im Gegentheil sehr dankbar, die freundliche Sonne täglich zu sehen, und daß sie, ohngeachtet ihrer Größe und Herrlichkeit, nicht verschmäht, meine Stube von Morgens an emsig zu wärmen, den Tag über freundliche Lichtstrahlen hineinzusenden, die alles wie mit Gold überziehen, und Abends sogar sich die Mühe nicht verdrießen läßt, mir armen Kranken, der wohl eingehüllt an seinem großen Fenster sitzt, am Meeressaum seltsame Wolkenbilder vorzumalen, die sie bald mit tiefem Blau, gelbem Feuer oder Purpur färbt, und endlich, Abschied nehmend, sich jeden Abend in solcher Herrlichkeit zeigt, daß die Erinnerung noch lange nachher den düstern Schatten der sinkenden Nacht ihren trüben und unheimlichen Eindruck benimmt, den sie sonst wohl der Seele des Einsamen und des Leidenden zu bereiten pflegen. Und so hat denn Alles zwei Seiten. Der Thörichte kann über alles in Verzweiflung gerathen, der Weise aus Allem Befriedigung und Genuß ziehen. –


Den 10ten.


Ein Brief von Dir erregt mir immer große Freude, wie Du weißt, aber wie viel mehr noch in meiner jetzigen Lage. Beurtheile daher, mit welchem Jubel der heutige empfangen wurde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .[311]

F. hat sehr Unrecht, das auszuschlagen, was ihm geboten wird. Es wäre Wahnsinn, als Schiffbrüchiger im Meere schwimmend, und schon bedeutend erschöpft, ein Fischerboot zu verschmähen, das sich zur Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu warten. Möglich allerdings, daß ein solcher bereits hinter dem Felsen nahet, und in dem Augenblick, wo das Boot den Hülflosen für eine geringere Bestimmung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt – aber allwissend sind wir nicht, wir müssen die Chancen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Möglichkeit, behandeln.

Meine Geschenke haben Dir also gefallen? Nun so segne sie Gott! die kleinen Freuden sind so gut als die großen, und man sollte die Kunst ordentlich studieren, sich dergleichen noch weit öfter zu machen. Es giebt viel sehr wohlfeile Materialien dazu. Kein Aberglaube muß sich aber darein mischen, wie Du bei der übersandten Schere äusserst. Gute Julie, die Schere soll noch erfunden werden, die unsre Freundschaft entzweischneiden kann, das könnte nur eine Krebsschere seyn, die rückwärts agierend die Vergangenheit wegschnitte. Aber über etwas anderes muß ich schmälen. Wofür habe ich Dir so viel schönfarbiges blotting paper geschickt, wenn Du wieder in die abscheuliche Mode des Sandstreuens verfällst, welche die Engländer schon längst nicht mehr kennen, eben so wenig wie mit Sand bestreute Fußböden. Mehrere Loth dieses Ingredienz flogen mir ins Gesicht,[312] als ich Deinen Brief öffnete. Willst Du mir denn auch Sand in die Augen streuen, liebe Julie, und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streubüchse aus B ... dazu mitgebracht?

Ich bin sehr fleißig, und benutze meine Muße, mehrere Bände meines Lebensatlasses in Ordnung zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein, beschneide, schreibe (denn Du weißt unter jedes Bild kommt ein Commentar) was nur ein armer Kranker thun kann, um sich die Zeit zu vertreiben, und sehe jetzt schon im Geiste 20 Folio-Bände des classischen Werks in unserer Bibliothek stehen, und uns selbst, alt und gebückt geworden, davor sitzen, ein wenig radottiren, aber doch triumphierend uns der alten Zeiten freuen. Junges, neuaufgeschossens Volk lacht uns hinter unserm Rücken verstohlen aus, fliegt aus und ein, und wenn einer draußen fragt: »Was machen denn die Alten?« so lautet die Antwort: »Ach, die sitzen und studieren über ihrer Bilderbibel, und hören und sehen nicht mehr.« Das möchte ich nun gar zu gern erleben, und es ist mir immer, als wenn es auch so noch kommen müßte! – Was aber Alles noch dazwischen liegen wird – das freilich weiß Gott allein!

In den Zeitungen spielen jetzt die Blasebälge eine große Rolle. Einem mit Upasgift als Experiment getödteten Esel hat man nach einer Stunde seines Todes durch fortwährendes Einblasen in die Lunge wieder neues Leben gegeben, das Parlament soll ebenfalls[313] durch einen großen Blasebalg künftig fortwährend mit reiner Luft während der Sitzungen versehen werden, und als probates Mittel wider den plötzlichen Stickfluß wird angegeben, daß man nichts zu thun habe, als dem Patienten die Nase zuzuhalten und mit dem am Kamine hängenden Blasebalge atmosphärische Luft in den Mund zu blasen. Es wird also jetzt bald eine noch größere Menge aufgeblasener Leute in England geben als bisher1.


Den 12ten.


Meine Krankheit hat mich gehindert, nach Schottland zu gehen, wozu ich Alles bereitet, und viele Einladungen erhalten hatte; jetzt wird mich die erwartete Ankunft W ...s und der Beginn der Season wohl in London zurückhalten. Zum erstenmal[314] ließ mich endlich der Doctor heute wieder ausfahren, und ich richtete meinen Weg nach dem nicht sehr entfernten Park von Stranmore, um die frische Luft und das Vergnügen eines romantischen Spaziergangs recht mit vollen Zügen zu genießen. In die Gärten wurde mir jedoch der Eintritt nicht verstattet, obgleich ich meine Karte der Gebieterin zuschickte. Wir sind freilich liberaler, aber dieses vornehme Rarmachen hat auch sein Gutes. Es giebt den Dingen selbst, und der Vergünstigung ebenfalls, wenn sie eintritt, mehr Werth.

Apropos, dabei fällt mir Dein neuer Direktor ein. Es ist ein Gewinn für uns, ihn zu erhalten, demohngeachtet bitte ich Dich, es ein wenig mit ihm, wie die Besitzerin von Stranmore zu machen. Sey nicht von Anfang an zu sehr zuvorkommend, damit Dir, wenn sie verdient wird, Steigerung übrig bleibt. Sey freundlich, aber mit Würde, immer die obere Stellung nüancierend, die Du gegen ihn nothwendig zu behaupten hast. Suche ihn nicht durch Schmeicheleyen und überartiges Behandeln zu gewinnen, sondern lieber durch ehrendes Vertrauen, und auch durch solide Vortheile, die am Ende auf alle Leute, sie mögen reden und selbst denken wie sie wollen, ihren Eindruck doch nicht verfehlen können. Dennoch mußt Du deßhalb seine Ambition nicht geringer in Anschlag bringen, sie im Gegentheil stets wach erhalten, durch vorsichtiges Hingeben und Dankbarkeit für gezeigten Eifer, aber auch durch sanften Verweis, wo Du ihn für nöthig hältst, damit er sieht, Du habest ein Urtheil.[315] Als ein ehrenwerther Mann wird er dann gewiß bald unsre Sachen mit demselben Interesse wie die seinigen führen. Zuletzt endlich ermüde ihn bei seiner obern Direktion nicht zu sehr mit Details, wolle nicht zu viel Controlle in jeder Kleinigkeit über ihn ausüben, und wache streng darauf, seine Autorität auf die ihm Untergebenen zu unterstützen, so wie die Deinige gegen ihn zu behaupten. Nur da, wo Du befürchten könntest, daß etwas Wichtiges verfehlt werde, stehe keinen Augenblick an, die genaueste Auseinandersetzung zu verlangen. In sehr wichtigen Fällen, die Aufschub vertragen, wirst Du natürlich mich immer befragen. – Hiermit schließt Polonius seine Ermahnungen.


Den 15ten.


Die kurze Ausflucht war wohl noch zu früh, denn sie ist mir nicht gut bekommen. Dabei ist das liebe Wetter furchtbar geworden. Ein Schneesturm peitscht das Meer unter meinen Fenstern, daß es vor Wuth schäumt und brüllt, und seine Wellen über den hohen Damm der Straße bis an die Häuser anbäumen.

Unter diesem Gedonner habe ich gestern meine Memoiren zu schreiben angefangen, und schon 8 Bogen vollendet, die ich diesem Brief beilegen werde.

Ausserdem benutzte ich die Zeit, um Lesage historischen Atlas von neuem durchzulesen, und kann überhaupt[316] nicht sagen, daß ich während meiner ganzen Krankheit einen Augenblick Langeweile gefühlt hätte. Ja die große Ruhe und Leidenschaftlosigkeit einer solchen Zeit thut sogar meiner Seele wohl. – Uebrigens wird der Körper nun auch bald gänzlich wieder hergestellt seyn, und sobald der Himmel sich etwas aufklärt, denke ich mich von neuem unter die Menschen zu begeben.

A., der ich Deinen Brief zugeschickt, läßt Dich vielmals grüßen. Wenn der König stirbt, wird sie als intime Freundin der neuen Monarchin vielleicht eine bedeutende Rolle hier spielen. Man behandelt sie im Publikum ohnedem schon ganz als eine Princesse du sang. Sie fängt auch an ihre Wichtigkeit selbst zu fühlen, hat sich in ihrer frühern schüchternen Tournure sehr zu ihrem Vortheil verändert, und weiß recht gut, sich mit Affabilität ein Air zu geben. Die Sonne des Glücks und der Gunst verändert einen Menschen, wie die Himmelssonne eine Pflanze, die im Dunkeln kümmerte, und nun im lichten Strahle bald ihr gesenktes Haupt emporhebt, und von der wohlthuenden Wärme durchströmt, duftende Blüthen dem Lichte öffnet. Wir, gute Julie, liegen vor der Hand noch im Keller, wie Hyacinthenzwiebeln, aber der Gärtner kann uns zum Frühjahr auch noch in bessern Boden und an die Sonne bringen, wenn er will. –


[317] Den 20sten.


Ich bin auferstanden – und siehe da, Alles war fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten waren fast Alle fort, und auf den Promenaden wie in den Häusern schauten mir überall neue Gesichter entgegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich ausritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unterschiede, daß die grünen Wiesen sämtlich gedüngt waren mit – Austerschaalen.

Eine Miss G ...., ein nicht mehr ganz junges, aber artiges und reiches Mädchen, die schon längst Frau wäre, wenn der Freier nicht mir ihr auch ein paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte, erzählte mir, daß man mich in der hiesigen Zeitung als auf dem Tode liegend annonciert hatte, während die Londner morning post mich auf jedem Almacksball als tanzend aufgeführt habe, was in der That etwas gespenstig erscheint. Diese gute Miss G .... ist noch immer höchst erkenntlich für ein ihr einst verschafftes Billet zu besagten Almacks, und spielte und sang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor, als ich bei meinen noch schwachen Nerven vertragen kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei andern Philomelen in die Hände, die sich ebenfalls noch hier verspätet haben.

Unter solchen Umständen werde ich, sobald meine Kräfte ganz zurückgekehrt sind, mich nach London[318] wenden, und kann nun wohl mit gutem Gewissen und ohne Furcht, Dir Besorgnis zurückzulassen, diese lange Epistel absenden.

Der vielen Worte kurzer Sinn ist immer der nämliche: herzliche Liebe Deines

L.

1

Das Prinzip dieser Erfindung ist sehr einfach. Wenn man einen Blasebalg mit einer großen Blase von unten in Verbindung bringt, und am obern Ende derselben ein kleines Loch macht, und dann durch Agitirung des Blasebalgs Luft, die auf eine gewisse Temperatur gestellt ist, hineinströmen läßt, so könnte ein Parlament von Lilliputs in der Blase sitzen und deliberieren, und alle ihre Ausdünstungen würden fortwährend oben hinausgehen, und die frische Luft von unten in eben der Masse sich continuirlich erneuen. Diese Art des Heizens und Ventilierens zugleich, ist das Prinzip des Herrn Vallance, welches dem englischen Senat applicirt werden soll. Vielleicht verbindet man auch noch eine Aeolsharfe damit, um schlechten Organen zu Hülfe zu kommen.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Dritter und Vierter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Band 4, Stuttgart 1831, S. 279-319.
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