Zweyhundert ein und neunzigstes Sonett.

[77] O Zeit, o Himmelslauf, der du die blinden,

Elenden Erdner trügst in flücht'ger Eile;

O Tag, beflügelter als Wind und Pfeile,

Nun aus Erfahrung kenn' ich eure Sünden.

Doch soll Entschuld'gung euch, mich Tadel finden;

Euch gab Natur der Flügel Schwung zu Theile,

Mir Augen; daß mein Weh ich lange Weile

Nur sah; deß muß ich Reu' und Schmerz empfinden.

Zeit wär' es, ja sie ist vergangen eben,

Daß ich nach sichrer Gegend hin sie wende,

Endlosen Jammers mich zu überheben.

Doch flieht die Seel', Amor, nicht deine Hände,

Ihr Wehe nur, du weißt's, mit welchem Streben;

Tugend ist schöne Kunst, nicht Zufalls Spende.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 2, Wien 1827, S. 77.
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