Der Philosoph und die Wahrheit

[121] Ein Philosoph, des Ordens Ehre,

Ritt einst nach einem Doctorschmaus,

Bewehrt mit Säbel, Schild und Speere,

Auf einer flüchtigen Chimäre,

Voll Muths auf Abendtheuer aus.

Die Wahrheit, diese spröde Dame,

Der Magier, Sophist und Brame

Zu allen Zeiten nachgesetzt,

Ist auch das Wildpret das er hetzt.

Allein zu seinem grösten Grame,

Verlor er stets die rechte Spur:

Er tummelte die rasche Mähre,

Bald in das Kreuz bald in die Queere,

Erbost, durch eine stille Flur,

Als er ein Hirtenweib erblickte,

Das unter Disteln Beeren pflückte;

Die Göttin wars, die unerkannt,

Mit scharfem Blick und offnen Mienen,

In einem weissen Flachsgewand

Wie sie dem Sokrates erschienen,

Vor seinem trüben Auge stand:

Wohin? sprach sie mit ernstem Spotte.[122]

Je! nach der Wahrheit Zauberschloß,

Erwiederte der Don Quixotte.

Das findst du nicht auf diesem Roß;

Sie wohnt in einer stillen Grotte,

Zu der ein rauher Pfad sich krümmt,

Den, wie die alten Sagen melden,

Auch selbst der tapferste der Helden

Nur schwer und nur zu Fuß erklimmt.

Zu Fuße? sprach mit bitterm Hohne

Der weise Ritter zur Matrone,

Ha, ha! so dumm sind wir nicht mehr:

Mein gutes Weib, laß dir bedeuten,

Daß schon seit vielen Jahren her

Die Philosophen alle reiten.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 121-123.
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