Der Pavian und der Pudel

[109] An Gotter.


Ein großer, finstrer Pavian,

Der in ein Kloster sich entfernet,

Wo er dem Pater Guardian

Die Casuistik abgelernet,

Kam mit dem Pudel Tamerlan

Vom Terminiren einst zurücke

Und traf auf einer großen Brücke

Ein Dutzend wilder Knaben an.

Sie stellten mit behendem Fuße

Sich frech auf das Geländer hin,

Und flugs lag einer in dem Flusse.

Er schreyt, er winkt, umsonst, – sie fliehn.

Hier ist ein seltner Streit von Pflichten,

Sprach der gelehrte Pavian,

Wär ich beym Pater Guardian,

Ich wüßte gleich den Fall zu schlichten.

Soll ich des Knaben Retter seyn?

Ja freylich, spricht die Menschenliebe ...

Doch wie, wenn ich im Wasser bliebe? ...

Nein, ruft die Selbsterhaltung, Nein!

O, wehe dem, versetzt der Pudel,[110]

Der Schulwitz und Gewissensrath

Zu guten Thaten nöthig hat,

Und riß den Knaben aus dem Strudel.


Sey stolz, o Freund, auf dein empfindsam Herz;

Ist es gleich oft gefährlich für die Jugend,

So schmelzt es auch bey unsrer Brüder Schmerz;

Empfindsamkeit ist das Genie zur Tugend.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 109-111.
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