Die Tanne

[175] An Doris.


Wie schön, o Doris, glänzt im Schein

Des Monds die Tanne hier!

Vor allen Bäumen in dem Hayn

Wähl ich die Tanne mir.


Wie ruhig steht sie da im Thal,

Gepflanzt von Gottes Hand!

Es bleicht kein Reif, kein Sonnenstrahl

Ihr ewig grün Gewand.


Auf ihren Aesten baut kein Wurm,

Kein falscher Weih sein Nest;

Und neigt sich gleich ihr Haupt im Sturm,

So steht ihr Fuß doch fest.


So steht sie, bis aus schwüler Luft

Ein Blitz sie niederstreckt;

Und dann noch haucht sie süßen Duft,

Bis kühles Moos sie deckt.


Deckt, Doris, mich einst kühles Moos,

So wall im Abendroth

In unsrer Tanne heilgen Schooß,

Und feyre meinen Tod.
[176]

Weih ihm ein Lied; doch singe nie

Der Trennung Marterthum

Nein, singe mir die Psalmodie

Aus dem Elysium.1


Und dringen Seufzer in das Lied,

So blick den Himmel an,

Von welchem der herunter sieht,

Der uns vereinen kann.


Und wenn, wie von des Zephyrs Wehn,

Der Tanne Wipfel bebt;

So ists mein Geist, der ungesehn

Ob deinem Scheitel schwebt.


Und werf ich zu des Baumes Fuß

Ein Zweiglein dir herab,

So weih es ein mit einem Kuß

Und steck es auf mein Grab.

Fußnoten

1 Des Herrn Prof. Jacobi.


Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 175-177.
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