10. Sulpicia an Calpurnien.

[49] Rom, im März 301.


Daß du, statt meines Besuchs, einen Brief von mir erhältst, daß es mir, drei Straßen weit von dir, nicht möglich ist, dich zu besuchen; ist das Werk niedriger harter Menschen, an deren Spitze Serranus, und – ich schaudre es zu sagen – mein Vater steht. Novius, der Nichtswürdige, der unsre Villa so unverantwortlich vernachlässigt hat, rächt die Entdeckung seiner Schandthaten durch niederträchtige Verläumdung an mir, indem er Serranus und meinen Vater von meinem Verhältnisse zu Tiridates unter dem Gesichtspunkte unterrichtet, aus welchem ein feiles Gemüth, wie das seinige, eine solche Verbindung zu betrachten im Stande ist! Um die Gunst seiner alten Gebieter zu gewinnen, hat er nichts unterlassen, was den Prinzen und mich in ein verhaßtes Licht setzen kann, und aus dem eignen schändlichen Gemüth noch recht viel Abscheuliches und Entehrendes hinzugesetzt. Was mir aber unbegreiflich bleibt, ist, daß er, die Götter wissen woher? von Allem weiß, was für die Zukunft zwischen Tiridates, mir und dir verabredet ist. Mein[49] Vater wüthet. Der Gedanke einer Scheidung, einer Verbindung mit einem barbarischen Tyrannen1, wie er Tiridates nach alter Römersitte nennt, macht ihn aller Schonung, aller väterlichen Liebe vergessen. Calpurnia! Ich würde trotz des Kummers und der Kränkungen, die ich ausstehen muß, dennoch diese Ausbrüche seines Zorns mit kindlicher Ergebung tragen, wenn ich sie als Folgen wirklicher Schwachheiten und eingewurzelter Vorurtheile, die nicht mehr in die Zeiten passen, ansehen könnte; aber ich fürchte, es liegt dieser unverhältnißmäßigen Wuth etwas anders zum Grunde, das vielleicht nicht so edel, so verzeihlich, – – o laß mich darüber hingleiten! Das Geschlecht der Anicier ist mächtig, ihr Einfluß am Hofe bedeutend. Mein Vater ist ehrgeizig, er hat drei Söhne zu versorgen, die zum Theil schon in Hofämtern (wie wenig stimmt das mit ächtem Republikanismus überein!) dienen, die er gern weiter bringen möchte! Das empört mich, das macht mir meine hülflose Lage unter diesen Händen unerträglich!

Serranus würde sich nicht unterstehen, mich mit bittern Vorwürfen, mit niederm Verdacht, so wie er thut, zu verfolgen, wenn nicht die Aufreizungen meines Vaters und sein Ansehn dies schwache unselbstständige Gemüth zu einer ihm selbst unerreichbaren Härte und Kraft aufregten. So aber stützt sich seine Armseligkeit auf jenen festen Grund, und er peinigt mich um so mehr, je weher[50] es thut, sich von Jemand mißhandelt zu sehen, den man nicht achten kann, der alle Augenblicke die gelernte Rolle vergißt, und die Inconsequenz seines Innern durch unzusammenhängendes Betragen äußert, jetzt schilt, jetzt trauert, in dieser Stunde mich durch niedrigen Verdacht herabsetzt, in der nächsten die alte Liebe wieder hervorbrechen läßt, und mich mit Klagen, Bitten und Vorwürfen ärger als mit Scheltworten martert. Seit acht Tagen währt diese Qual, die im Anfange noch erträglich, jetzt jeden Tag peinlicher wird, seitdem Serranus, gewiß auf Anstiften oder Befehl meines Vaters, so weit geht, mich durch meine Sclavinnen beobachten zu lassen, seitdem ich – o ich erröthe, indem ich es schreibe – wie ein Kind behandelt, nicht einmal allein ausgehen darf, wenigstens nicht zu dir. Dich hält man für meine Mitverschworne. Man weiß, daß du des Tiridates und meine Vertraute bist, und man traut dir und mir und dem Prinzen Dinge zu, die zu wiederholen, mir Stolz und Achtung verbieten. Genug, ich soll dich nicht sehen, wenigstens nicht allein. Lucia2, die Amme meines Gemahls, oder er selbst begleiten mich bei jedem Ausgang. Seit ich das fühle, verlasse ich den Umkreis meiner Wohnung nicht mehr. Ich erkenne meines Vaters unbeugsamen Sinn in diesen Anstalten, der vor der Verbindung mit dem Prinzen zu erröthen vorgibt, aber nicht erröthet, seine Tochter vor ihren Sclaven zu erniedrigen! Calpurnia![51] Fühlst du ganz, wie tief ich gesunken, wie elend ich bin? und Tiridates ist fern, und dein Umgang mir versagt! Ich bin einsam und hülflos, den Händen meiner Peiniger überlassen! O welcher Gott gibt mir Kraft, dies zu ertragen, oder Muth und List, meine Ketten zu zerbrechen.

Fußnoten

1 Die Römer nannten voll Nationalstolz alle fremden Völker Barbaren, und Tyrann war im Alterthume der Name eines jeden Monarchen, ohne daß man eben den gehässigen Begriff damit verband, den wir bei diesem Worte denken.


2 Die Ammen der Vornehmen jener Zeit blieben meistens bis an ihren Tod in den Häusern ihrer Pfleglinge, und spielten manchmal die Rollen der Vertrauten und Gehülfinnen bei heimlichen Verhältnissen, wie man in den Theaterstücken der Alten findet.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 49-52.
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