Vertrauen

(1842)


Wir wolln ja gern vertrauen,

Wohlan, vertraut auch ihr!

Und dann verbrüdert bauen

Den Dom der Freiheit wir.


Ihr seid die Hocherkornen,

Ihr kennt die Sehnsucht nicht.

Von der uns Staubgebornen

Die bange Seele bricht.


Ihr kennet nicht die Wunden

Ohnmächt'ger Sklaverei.

Ihr habt es nie empfunden,

Wie schwer die Knechtschaft sei.


Und doch, in goldnen Mauern

Unter der Krone Last,

Auch ihr seid zu bedauern –

So einsam, so verhaßt!


Wohlan, von euren Thronen

So steigt auch ihr herab,

Und legt die kalten Kronen,

Den toten Purpur ab.


Laßt uns die Herzen tauschen,

Das allerwärmste Blut!

Laßt wonnig uns durchrauschen

Des Lebens heil'ge Flut!


Noch ist es Zeit zu wählen,

O nehmt die Zeit in acht!

Noch haben unsre Seelen

Nicht ganz sich losgemacht!


Noch wollen wir vertrauen,

Wohlan, vertraut auch ihr!

Und dann verbrüdert bauen

Den Dom der Freiheit wir.

Quelle:
Robert Eduard Prutz: Zwischen Vaterland und Freiheit. Köln 1975, S. 194-196.
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