Über das Begräbnis Jesu

[269] So ist es, Jesu, o mein Leben,

So ist zum Tod' es doch gemeint?

Es wundert selber deinen Feind,

Daß du den Geist hast auffgegeben.

Gedenke denn, wie mir hiebey,

Mein Bräutigam, zu Muthe sey.


Wie, frag' ich, kanstu doch verscheiden?

Stirbt der, durch den der Bau der Welt

Und selbst die Ewigkeit bestellt,

Kan Gott, kan Gott den Tod auch leiden,

Und hat der schnöden Menschen Macht

Selbst ihren Schöpffer umgebracht?


Wie woltest du doch seyn gestorben?

Ach leider mehr, ach mehr, als wahr!

Dein treuer Joseph ist schon dar,

Der deinen Leib durch Bitt' erworben,

Der kleidt dich an und nimmt dich ab

Und legt dich in sein Garten-Grab.


Ein gantzer Felß war außgehauen,

Drinn, Jesu, soll dein Ruhstet seyn;

Wie muß ich dich nach deiner Pein,

Mein Heyl, so hart gelegt anschauen?

War denn kein Hertz vor dich nicht mehr,

Das sich angab zu solcher Ehr?
[269]

Ach nein, es waren unser' Hertzen

Weit härter, als kein Felß kan seyn,

Es rißen sich vor Leid die Stein',

Und wir empfinden keine Schmertzen.

Die Erd' erbebt, der Himmel zagt,

Der Mensch ist, der dich nicht beklagt.


Im Garten fingstu an dein Leiden,

Im Garten schloßtu deine Noth,

Im Garten fing erst an der Tod

Und endigten sich unsre Freuden:

So muß darin des Todes Pein

Bestritten und begraben seyn.


In bitter' Aloe und Myrrhen

Wirst, Jesu, du gewickelt ein,

So solstu unverweßlich seyn;

Wie schwer daß deine Lieben irren:

Ist selbst die Unverweßlichkeit

Nicht von der Fäul' an sich befreyt?


Ja, Herr; doch ist uns dies erfreulich.

Wie schmertzlich schieden wir erst ab,

Wie bitter war uns unser Grab!

Nun ist am Tode Nichts abscheulich.

Du ziehest ihm den Stachel ab

Und hast versüßet unser Grab.


Du nemlich bist der starke Leue,

Der unsre Feinde hat erlegt

Und Honig in dem Tode hegt,

Du bist der Pelikan, der treue,

Der selber ihm die Brust auffritzt

Und Blut für seine Jungen schwitzt.


Du bist der Phönix, den die Flamme,

Die Liebes-Flamm' hat angesteckt

Und wieder auß der Asch' erweckt;

Gib, Jesu, daß ich dir nachstamme,

Und laß mich so den Tod gehn ein,

Um eins recht lebendig zu seyn.
[270]

Ach nimm, ach nimm mich mit zu Grabe,

Das mir vorlängst die Welt schon ist,

Ich weiß, wo du, mein Heyland, bist,

Daß ich mein bestes Wohnhauß habe,

Und gingstu mit mir Höllen ein,

So würd' auch da mein Himmel seyn.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 269-271.
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