Von der Geduld

[303] Wie bistu, meine Seel', in mir

So unvergnügt mit Gott und dir

Und zankst dich stets mit deinen Schmertzen?

Offt kömmt dir nur ein Wort zu nah

Und daß dich sauer wer ansah,

So wallstu fort in deinem Hertzen;

Ach, willstu frey seyn aller Pein,

So mustu erst kein Mensch nicht seyn.


Du sündigst augenblicklich hie,

Verdient es denn wol deine Müh',

Daß du auff Rosen wollest gehen?

Und hemmte Gott denn seine Ruth,

Wie er zu tausend Malen thut,

Würd' auch dies deinem Heyl anstehen?

Je mehr man einem Kinde schenkt,

Je wenger es der Schuld gedenkt.


Wer ist bey dieser Zeit so gut,

Der was aus Tugend-Liebe thut?[303]

Die Straffe, die wir vor uns sehen,

Die ist, die unsre Lust einhält.

Ging' Alles auff letzt in der Welt,

Wohin würd' unser Frevel gehen?

Nun ließ man zwar den Himmel seyn,

Zur Höllen nur will Niemand ein.


Ist denn dein Kreutz so wol gemeint,

Kränkt dich dein allerbester Freund,

Hast du ein Größers weit verschuldet,

So sperr dich doch so ängstig nicht.

Wo Nichtes Müh' und Rath verricht,

Da ist das beste Kraut: geduldet;

Denk, daß, wer gerne folgt, geführt,

Und wer nicht will, gezogen wird.


Wenn man sich schüttelt mit dem Joch,

So wird es doppelt schwerer noch,

Zu einer Noth, die Gott uns schicket,

Die man nicht trägt in Fried' und Ruh,

Legt unser Fleisch die ander zu,

Die schwerer, als die erst uns drücket.

Denn was von ihm, trägt er gemein,

Was unser, bleibet uns allein.


Ach, wüstest du, betrübtes Hertz,

Was dein dir so unlieber Schmertz

Für süße Früchte dort wird tragen,

Du gönntest solchen Keinem hier,

Wo du dir wol willst, sonst, als dir,

Und solltest du darum dich schlagen.

Nur bück' dich, biß die Erndt' entsteht

Und das Gewitter über geht.


Ein Schiffmann zieht die Segel ein

Um sicher für den Sturm zu seyn;

Fängt Hohn und Neid auff dich zu stürmen,

So hülle dich in Gott und dich

Und glaub, daß Niemand beßer sich

Kan wider die, als so beschirmen.[304]

Lach, bistu frey in deinem Sinn,

Auch so gehn viele Lügen hinn.


Ein feurigs Eisen kühlt die Glut,

So bald mans in das Waßer thut;

Kanst du dich anders nicht erwehren,

So stürtze mit getrostem Muth

Vor dem aus deine Tränen-Fluth,

Der hie gezählt hält deine Zehren.

Wenn dieses Bad dich täglich wäscht,

Wird aller Unmuth leicht verlescht.


Ach Herr, das Hertze blutet mir,

Stell' ich dein liebstes Kind mir für,

Wie duldig das in seinem Leiden,

Das es ertrug biß auff das Blut

Und seinen Feinden, uns, zu Gut',

Und wir stehn nur nach lauter Freuden,

Die aller seiner Angst und Pein

Mit ihrer Wollust Ursach seyn.


Nein, Jesu, nein, so will ich nicht;

Gedenk' ich hinn zu deinem Licht,

So muß ich hie dir ähnlich werden.

Gib her denn mein bescheiden Theil,

Gib her so viel du wilst, mein Heyl,

Es ist und bleibet bey der Erden;

Je schlechter und verschmähter hier,

Je werther bin ich dorten dir.


Gib her, ich folg' und folge gern,

Zwar leichter, ist es nur von fern,

Ach nein, je näher dir, je lieber.

Fall' ich denn offt, zu schwach hiezu,

So gehstu vor und leitest du

Und hilffest überall mir über;

Trag' ich denn noch so schwer an mir,

So bleibt das gröste Stück doch dir.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 303-305.
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