Von der Sanfftmuth

[305] Nicht so eifrig, meine Seele,

Du und deine schwache Höhle

Fället euch so vor der Zeit.

Wenn die Biene wen gestochen

Und den Stachel hat gebrochen,

Ist ihr Ende selbst nicht weit.


Durch den Honig sanffter Güte

Gleicht dem Himmel das Gemüthe,

Der auch Bösen Gutes thut;

Durch des Zorns gereitzte Flammen

Ziehn wir über uns zusammen

Gottes und der Höllen Glut.


Mein, spricht der, ist nur die Rache,

Mir befehle deine Sache;

Was denn greiffest du ihm ein?

Er ist unser Aller Richter,

Er muß unsers Streites Schlichter

Auch bey unserm Rechte seyn.


Denk, wie offt du dich verbrochen,

Da er sich nicht hat gerochen,

Und so thut er stündlich dir,

Schenket dir zu tausend Pfunden,

Und du hälst dich nicht verbunden,

Daß du Groschen gebst dafür.


Fürchte, daß mit selber Maße

Er dir wieder meßen laße,

Die zur Außgab deine Lust,

Denn du selbst willst dieses eben,

Wenn du bittst, dir zu vergeben,

So, wie du dem Nechsten thust.


Rachgier treibt geringe Geister

Und die selbst nicht ihrer Meister;[306]

Sanfftmuth wohnt in Helden-Muth,

Der den Hohn weit übersteiget

Und durch Lieb' und Gunst den beuget,

Der ihm Schmach und Unrecht thut.


Geht dir dies noch nicht zu Hertzen

Ach, so sieh in seinen Schmertzen

Deinen frommen Heyland an;

Nicht schalt er, wie er verachtet,

Wie ein Schaaff ward er geschlachtet,

Das den Mund nicht auffgethan.


Schäfflein sind wir seiner Weide,

Schäfflein nehmen seine Freude,

Die er uns beschieden, ein,

Wo sie nun das Lamm her prangen;

Wilstu hieher auch gelangen,

Mustu ihnen ähnlich seyn.


Wölffe, welche die zerreißen,

Hunde, die sich allzeit beißen,

Bären, die ergrimmt aussehn,

Böcke, die sich stoßen gerne,

Diese heißt er von sich ferne

In den finstern Abgrund gehn.


Jesu, Vorbild aller Liebe,

Wenn ich hie dein Abdruck bliebe!

Ach, auch ich entbrenne sehr,

Auch ein Wort, das ungleich fället,

Machet offt mich so entstellet,

Als wenn ich ein Land verlör.


Füll mein Hertz mit deiner Güte,

Kühl das siedende Geblüte,

Leg des leichten Sinnes Loh,

Laß mein Wort, Werk und Geberden

Alle deiner Huld voll werden

Und thu meinem Feind' auch so.
[307]

Wird mir wer zu nahe treten,

Herr, so will ich zu dir beten,

Dieses laße Kohlen seyn

Die sein Unrecht ihm vergelten;

Mich laß zürnen, mich laß schelten

Über meine Sünd' allein.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 305-308.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon