|
[275] Denk' an! das Büblein ist einmal
Spazieren gangen im Wiesenthal;
Da wurd's müd' gar sehr
Und sagt': »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist das Bächlein geflossen kommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich aufs Bächlein gesetzt
Und hat gesagt: »So gefällt mir's jetzt.«
Aber was meinst du? das Bächlein war kalt,
Das hat das Büblein gespürt gar bald;
Es hat's gefroren gar sehr,
Es sagt': »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist das Schifflein geschwommen kommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich aufs Schifflein gesetzt
Und hat gesagt: »Da gefällt mir's jetzt.«
[275]
Aber siehst du? das Schifflein war schmal,
Das Büblein denkt: »Da fall' ich einmal«;
Da fürcht' es sich gar sehr
Und sagt': »Ich mag nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist die Schnecke gekrochen gekommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich ins Schneckenhäuslein gesetzt
Und hat gesagt: »Da gefällt mir's jetzt.«
Aber denk'! die Schnecke war kein Gaul,
Sie war im Kriechen gar zu faul;
Dem Büblein ging's langsam zu sehr;
Es sagt': »Ich mag nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist der Reuter geritten gekommen,
Der hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich hinten aufs Pferd gesetzt
Und hat gesagt: »So gefällt mir's jetzt.«
Aber gib acht! das ging wie der Wind,
Es ging dem Büblein gar zu geschwind;
Es hopst drauf hin und her
Und schreit: »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist ein Baum ihm ins Haar gekommen
Und hat das Büblein mitgenomnen;
Er hat's gehängt an einen Ast gar hoch,
Dort hängt das Büblein und zappelt noch.
Das Kind fragt:
Ist denn das Büblein gestorben?
Antwort:
Nein! es zappelt ja noch!
Morgen gehn wir 'naus und thun's‚ 'runter.
Ausgewählte Ausgaben von
Erzählungen
|
Buchempfehlung
Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.
78 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro