Der Schenkwirt und seine Gäste

[15] Zur Rede ward ich jüngst gestellt

Von meinem Freund, dem alten,

Versprochen habe mehr der Welt

Mein Dichten als gehalten.


Den Vorwurf hab' ich umgestellt,

Erwidernd meinem Alten:

Ich habe mehr mir von der Welt

Versprochen als erhalten.
[15]

Beim Wirte lag ein guter Wein

Im Keller aufgehoben;

Und sprächen nun die Gäste ein,

So würden sie ihn loben.


Der Wein ist gut, der Keller schützt

Ihm wohl der Güte Dauer;

Doch wenn ihn gar kein Gast benützt,

Wird er am Ende sauer.


Wenn einer nun zuletzt spricht ein

Und muß was Herbes schmecken,

Wird er den armen Wirt verschrein

An allen Straßenecken.


Der Wirt verliert nicht die Geduld,

Sonst spräch' er: »Junge Laffen!

Wer hat, ihr oder ich, die Schuld,

Daß ich nichts Neu's kann schaffen?


Hätt' Altes man mir weggeschafft

Mit häufig zeit'gem Dargang,

So hätt' ich Vorrat nachgeschafft

Vom neusten besten Jahrgang.«


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 2, Leipzig und Wien [1897], S. 15-16.
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