Anmeldung in der Schenke

[339] Der Ostwind kam ans Schenkethor,

Mit lautem Gruß zu pochen;

Da trat der alte Wirt hervor,

Den hat er angesprochen:


»Ich wünsche dir Glück zu dieser Zeit,

Herr Frühling ist angekommen,

Auf Flur und Anger weit und breit

Ist neues Leben entglommen.


Nun ist die Luft ein Balsamhauch,

Ein Moschusreh die Erde,

Unter Blumen am Blütenstrauch

Froh spielender Gebärde.


Von meinem Weh'n ist der Kamin

Der Tulpen angefachet,

Und Blicke wärmen sich am Karmin,

Der Rosenwangen entlachet.


Nimm meinen Rat in kluges Ohr,

Nun fege die alte Schenke,

Steck' einen grünen Busch ans Thor

Und rüste frisches Getränke.


Schon sah ich draußen im Sonnenschein

Schmachten die lechzende Liebe,

Sie kommt zu stürzen in deinen Wein,

Ihre entflammten Triebe.


Wehr' einen Trunk der Labung nicht

Jedem aufrichtigen Zecher;

Doch kommt ein Heuchler, ein kluger Wicht,

So decke zu die Becher.


Versauern würde sogleich der Wein,

Wenn sauere Blick' ihn träfen;

Und flöss' unlautere Weisheit darein,

So würde der Trank zu Hefen.
[340]

Leb' wohl! ich will nun meinen Herrn

Hafisen sogleich dir schicken,

Du wirst den Freund von selber gern

Mit deinem Besten erquicken.


Sich wagt, wo er in der Schenke zecht,

Kein Heuchling, kein Mönch, kein Frömmling;

Denn der Hafis ist schlecht und recht

Der alten Treu' Abkömmling.«


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 339-341.
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