Vierzeilen in persischer Form

[349] 1.

Frühling ist, Verklärung schwebt um Busch und Strauch;

Kann so reine Schönheit blühn auf Erden auch?

Eine Himmelsunschuld jedes junge Blatt,

Noch unangerührt von des Verderbens Hauch.


2.

Eine Zauberin ist diese Erde,

Schon so alt, noch reizend von Gebärde,

In der Nacht des Winters treibt sie Künste,

Daß sie jung am Frühlingsmorgen werde.


3.

Vom Himmel kam geflogen eine Taube

Und bracht' ein Kleeblatt mit dreifachem Laube.

Sie ließ es fallen; glücklich, wer es findet!

Drei Blättlein sind es: Hoffnung, Lieb' und Glaube.


4.

Was du lieben kannst, mit Lieb' umfasse du's;

Und was du nicht lieben kannst, o lasse du's.[349]

Überlasse du es dem, der alles liebt,

Was er schuf; und was er liebt, nicht hasse du's.


5.

Kein drückender Gefühl ist, als zu wissen,

Daß, wo du gehst, dich niemand wird vermissen.

Drum danke Gott, daß du ein Herz gefunden,

Das weinen wird, wenn du ihm wirst entrissen.


6.

Hoffnung wohnt bei Sterblichen hienieden,

Und bei Toten wohnt im Grabe Frieden.

Zage nicht, wie auch das Los dir falle,

Immer ist dir, was du brauchst, beschieden.


7.

O sei auf Gottes heller Welt kein trüber Gast!

Mach' Schande nicht dem milden Herren, den du hast.

Zeig' in Gebärd' und Wort und Blick, daß dem du dienst,

Der sagt: »Mein Joch ist sanft und leicht ist meine Last.«

Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 349-350.
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