8. Die Rose im schönsten Glanze

[328] Der hat in ihrem schönsten Glanz die Rose nicht gesehen,

Wer nie die Perle des Gefühls ihr sah im Auge stehen.

O Liebe! wunderbare Macht, daß deine höchste Wonne

In Menschenbrust den Ausdruck muß borgen von Schmerz und Wehen.[328]

Die Rose lächelte mich an, und von den süßen Strahlen

Ging mir im stillen Herzen auf ein Drang zu süßem Flehen.

Ich klagte wie die Nachtigall, bis meine Rose weinte;

Und wie ich's sah, verklagt' ich mich, daß es durch mich geschehen.

Die Rose trug, in Duft gehüllt, die Fülle des Gefühles,

Sich unbekannt; mein Seufzer kam, den Schleier wegzuwehen.

Und wie sie sah vor ihrem Blick den Abgrund ew'ger Liebe

Im eignen Herzen, bebte sie darinnen zu vergehen.

Sie sah nach einem Stab sich um, sich schwindelnd festzuhalten,

Sie warf sich an mein schwaches Herz, als könnt' ich bei ihr stehen.

O Rose, wenn du trunken bist, so bin ich selbst berauschet,

Und keine Rettung weiß ich, als zusammen untergehen.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 328-329.
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