Kapittel 35

[515] Worüm up de Insel Ferro un an den Nurdpol de Revolutschon utbreckt, worüm de Postmeister tau Rahnstädt vör de Dör steiht un mit den Dumen dreiht, un worüm de geistliche Kannedat blot noch »bumm« seggen kann. Worüm all de Dicken bet up den Zimmerling Schulz un Bräsigen ut den Reformverein tau Rahnstädt wegblewen, un dat Manassesen sin Sähn en Geschäft mit Flintenstein maken wull un David sick en Bort stahn laten müßt. – Kurz ward ut den Reformverein smeten, un Rekter Baldrian stift't 'ne Zunft för de Snidermamsells. Axel in Dummheit, Pomuchel in Ängsten, hei biddt Gottlieben un Lining tau Middag. – Lining will nich, un Gottlieb predigt gegen de falschen Götzen un predigt de Kirch leddig.


Hir is natürlich nich de Urt, doräwer tau schriwen, wat dat Johr gaud för de Welt oder wat dat slicht för ehr was, dat mag sick ein jeder nah sinen Kram taurecht leggen; ok will ick mi dormit nich inlaten, tau berichten, wat dat för de äwrige Welt för Folgen hadd un wo sine eigentliche Ursaken tau säuken sünd; äwer wat dat Johr för de Gesellschaft in Mun'n führte, mit de ick hir vör allen tau dauhn heww, kann ick nich von de Hand wisen; süs künn dit Bauk mit en groten Unverstand tau En'n gahn.[515]

As in den Februwori de Larm in Paris losgung, was dat för Mecklenborg noch wid hinnen in de Türkei, un 't was för de meisten Lüd' ganz plesierlich, dat doch mal ordentlich wat passieren ded in de Welt. Ok in Rahnstädt rögte sick en starken Geist för dat politische Wesen, un de Postmeister säd, wenn dat so bibliwen ded, denn nem de Sak äwerhand, hei hadd nu all elben nige Zeitungen bestellen müßt, vir Hamburger Korrespondenten un säben Tanten Vossen, un dit Verhältnis wir en slimm Teiken, denn Tanten Vossen unnergröw mit ehre Redensorten de ganzen gesellschaftlichen Taustän'n; sei müggt sick ok nich Slimms dorbi denken, äwer sei ded't doch. – So was nu för vir un virtig Rahnstädter Politikers sorgt, denn vir un vir höllen, in'n pohlschen Bogen berekent, ümmer ein un de sülwige Zeitung, un de lütte Nahkamenschaft von de Rahnstädter Honoratschonen lep mit Zeitungen in de Straten rüm un drog sei pünktlich von Hus tau Hus, as wullen ehr leiwen Öllern luter Postbaden ut ehr upfäuden. – Äwer wat düsen elben Zeitungen för 'ne Stadt as Rahnstädt? De ganze Bürgerschaft hadd noch nicks, un för de Börgers müßt doch ok sorgt warden, un dat würd't ok. –

»Jehann«, säd Hanne Banken sine Fru, »wo willst du all wedder hen?« – »Ih, Dürten, en beten nah Grammelinen.« – »Du löppst mi vel tau vel tau Wirtshus up Stun'ns.« – »Ih, Dürten, ein Glas Bir! – De Avkat Rein les't hüt abend wedder ut de Zeitungen vör; de Minsch will doch weiten, woans dat in de Welt utsüht.« – Un Hanne Bank un mit em noch föftig annere gungen tau Bir.

Baben an den Disch satt de Avkat Rein, höll de Zeitung in de Hand, kek den Disch en pormal lang un haust'te en pormal. – »Ruhig!« – »Ruhig!« – »Grammelin, mi noch en Glas Bir!« – »Korl, so holl doch din Mul! hei will jo lesen.« – »Dunnerwetter! ick ward mi doch irst noch en Glas Bir inschenken laten känen?« – »Na, nu ok still!« – Un de Avkat fung an tau lesen. Hei las von Lyon un Mailand un München; allentwegen was 't utbraken, un 't gung dull her in de Welt. – »Na, hir 's noch wat«, säd hei. »Insel Ferro, den[516] 5ten. Die Insel ist in vollem Aufstand; man will uns den Meridian nehmen, der nun schon über 300 Jahre über unsere Insel gelegt ist, und will ihn nach Greenwich in England verlegen. – Große Erbitterung gegen die Engländer. – Das Volk greift zu den Waffen; unsere beiden Husarenregimenter sind zur Deckung des Meridians kommandiert.« – »Nu denkt jug blot, nu fangen de ok all an!« – »Ja, Vadder, dat's ok kein Kleinigkeit; wenn einer dreihunnert Johr so wat hatt hett, denn will hei 't ok nich missen.« – »Vadder, weitst du, wat 'ne Meridian is?« – »Ih, wat ward't sin? Dat ward woll wat sin, wat de Engländer gaud bruken kann. – Süh, du wullst mi dat vörgistern nich tau glöwen, dat de Englänner an den ganzen Larm schuld is; nu hürst du 't.« – Avkat Rein läd de Zeitung up den Disch un säd: »Ne, nu ward mi de Sak denn doch en beten tau dull; dor kann einen jo angst un bang' bi warden.« – »Herre Jesus, wat is nu wedder los?« – »Is noch wat Dulls passiert?« – »Je, wat wull dat nich! Hürt mal! – Nordpol, den 27. Februar. Ein höchst gefährlicher und bedenklicher Aufruhr ist unter den Eskimos ausgebrochen; sie weigern sich hartnäckig, ferner die Erdachse zu drehn, und schützen den Mangel an Tran zum Schmieren vor, weil im vorigen Jahre der Walfischfang so schlecht ausgefallen sei. – Die Folgen dieser Empörung sind für die ganze Welt unberechenbar.« – »Gotts ein Dunnerwetter! Wat's dit? – Nu steiht jo woll de Geschicht still?« – »Ih, dor müßt jo äwerst de Regierung wat tau dauhn?« – »Ih, Vadder, dat litt jo wedder de Ridderschaft nich.« – »Ih, dat glöw ick noch gor nich«, säd Hanne Bank. – »Dat glöwst du nich? Na, du as Schauster süllst dat doch woll weiten. Is de Tran sörre vergangen Johr nich upslahn?« – »Na, Kinnings«, rep Snider Wimmersdörp, »so vel segg ick, keinen gauden Gang geiht't nich.« – »Na«, rep en anner, »mi 's't egal! Wenn de Hewen inföllt, fallen alle Sparlings dod. Äwer so vel segg ick, wi möten arbeiten, un de verdammten Hun'n an den Nurdpol, de willn de Hän'n in den Schot leggen? – Grammelin, mi noch en Glas Bir!«[517]

Un ut dese Geschicht kann sick einer dreierlei ut entnemen: irstens, dat de Herr Avkat Rein nich blot ut de Zeitung, tauwilen ok woll wat ut sinen Kopp, vörlesen ded un dat hei snaksche Infäll hadd, un tweitens, dat de Rahnstädter Börger för Zeitungen noch nich recht rip was, un drüddens, dat de Minsch 'ne Sak, de em noch nich sülwst an't Mager geiht, in'n ganzen noch ümmer sihr koltbläudig ansüht.

Äwer 't süll uns neger kamen. Eines schönen Dags blew de Berliner Post ut, un de Rahnstädter stunnen in en dicken Drümpel vör dat Posthus un frogen sick, wat dit denn woll tau bedüden hadd, un de Ridknechts, de de Posttaschen för dat Land halen süllen, frogen sick, wat sei täuwen süllen oder nich; un de einzige taufredene Minsch in desen Trubel was de Herr Postmeister, de stunn vör de Dör, hadd de Hän'n äwer de Mag' folgt, dreihte mit de Dumen un säd: sörre dörtig Johr hadd hei middags tüschen elben un twölben nich so vel schöne Tid hatt as an den hütigen Dag. – Den annern Dag kemen staats de lütten Zeitungsdrägers de Honoratschonen sülwst, un staats de Ridknechts kemen de Herrn sülwst herinne tau bädeln; äwer dat hülp ok nich vel, denn de Post kamm dorüm doch nich; äwer staats dessen fung dat an tau munkeln: in Berlin wir 't nu ok utbraken. – De ein wüßt dit, un de anner dat, un oll Pötter Düsing, de vör den Dur wahnte, säd, hei hadd hüt den ganzen Morgen dütlich mit Kanonen scheiten hürt, wat em denn ok alle Lüd' ihrlich tau glöwen deden, obschonst dat viruntwintig Mil von Berlin nah Rahnstädt sünd. Blot sin Nahwer, Rad'maker Hagen, säd: »Vadder, dat Kanonenscheiten, dat bün ick west; ich heww vermorrntau bäuken Stämmen in minen Holtstall klöwt.« – Den drüdden Dag kamm nu 'ne Post; äwer nich von Berlin, blot von Oranienborg; sei bröchte indessen doch en Minschen mit, de allens hadd schön berichten künnt, indem dat hei de Tid äwer sülwst in Berlin west was, wenn hei sick blot nich unnerwegs so heisch red't hadd, dat hei in Rahnstädt ok nicht ein Wurt rute bringen kunn. – 't was en geistlichen Kannedat ut de Ümgegend, un de Rahnstädter kennten[518] em un plegten em mit Eiergrock, dat hei Hals gewen süll; hei drunk ok en ganz nüdlich Deil von dat Tüg, äwer't slog nich an; hei wis'te up Hals un Bost, schüddelte mit den Kopp un wull weg. – Dat was nu en dämliches Verlangen von em, denn üm mit lange Näsen aftautrecken, wiren de Rahnstädter nich nah de Post kamen, sei leten em nich dörch, un de Kannedat müßte sich dortau verstahn, ehr de Berliner Revolutschon bildlich mit Arm un Bein vörtaumaken. Hei bugte also en por Barrikaden in de Luft, natürlich: man so dauhn, denn wenn hei sick an den Rahnstädter Stratendamm würklich vergrepen hadd, wir em doch woll de Polizei äwer den Hals kamen; hei schot mit sinen Stock achter de Barrikaden rute, hei störmte sei – wedder mit den Stock – von vörentau, un jog in en Anglopp midden mang de Rahnstädter rinner, üm ehr de Dreiguners düdlich tau maken; ok de Kanonendunner gelung em, denn »bumm!« kunn hei just noch seggen.

So wüßten denn nu de Rahnstädter, woans 'ne Revolutschon utsach un woans sei makt warden müßt, sei seten tausam un drünken Bir un streden sick, un de Sak würd so irnstlich in't Og' fat't, dat sick sülwst uns' Fründ Rein nich mihr trugte, sine Nurdpol-Geschichten vörtaulesen, taumal nu ok de Herren Honoratschonen kemen un Bir drünken, indem dat sei sick bi Tiden beleiwt maken wullen för den Fall, dat dat hir losgahn süll. – Un doran würd stark dacht. –

In Rahnstädt gaww dat eben so gaud uperweckte Köpp as annertwegen, un wenn ok nich de ganze Stadt ein un de sülwigen Beswerden hadd, so hadd doch jeder enzelne en lütten Haken, an den hei sine Untaufredenheit anknüppen kunn, de ein hadd dit, de anner dat, un Kurz hadd de Stadtbullen. De Sak lep dorup rute, dat alle einig würden: anners müßt 't warden un keinen gauden Gang güng't nich, wenn sei nich ok ehre Revolutschon kregen, d.h. man 'ne lütte.

Ut de unverstännige Zeitungsleseri würd en verstännigen Reformverein mit en Presendenten un 'ne Klingel, ut dat unregelmäßige Af- un Taulopen würd en regelmäßiges, un de[519] Besäuk würd so stark, dat de Gesellschaft sick eins Abends ut de Birstuw nah den Saal vertrecken müßte; de Birseidels namm sei äwer mit. – Allens dit geschach in de grötste Ordnung, wat würklich tau bewunnern is, wenn einer bedenken will, dat de ganze Gesellschaft ut untaufredene Lüd' bestunn, indem dat einzigste taufredene Mitglied von den Verein de Gastwirt Grammelin was. Up den Saal würden nu Reden hollen, tauirst von Dischen un Bänken runne; äwer dat süll ok ännert warden. Discher Thiel bugte en run'n Ort Ding, wat 'ne Rednerbühn bedüden süll, un de irste Red', de dorup hollen würd, was von Böttcher Dreiern gegen Discher Thielen richt't, indem hei dat Ding för Böttcherarbeit un nich för Discherarbeit taxierte un de Versammlung üm Schutz för sine Zunft ansprok. – Hei kamm äwer nich mit dörch, obschonst dat ogenschinlich was, dat dat Ding vel Ähnlichkeit mit en Käuhlfatt ut 'ne Bramwinsbrenneri hadd. – Ok de oll dick Becker Wredow föll mit sinen Andrag dörch, hei verlangte nämlich, de Tun'n müßt wider makt warden, dor künn sick keiner in rögen; den säd't äwer Snider Wimmersdörp recht ordentlich: dat Ding wir nich vör de Dicken bugt, de in't Fett seten un dorin smörten; de Tiden hadden wi hatt, wo blot för de Ort sorgt wir. Ne, dat Ding wir ditmal för de, de noch nicks up de Ribben hadden, un för em wir't wid naug. – Und so kamm't, dat blot eigentlich de Magern tau Wurd kemen, un de Dicken ut Arger un Verdreitlichkeit gor nich mihr hengungen, womit de annern sick sihr taufreden erklärten. – Dat was en Fehler, sei stödden up dese Wis' dat »ruhige Element« – as dat nennt ward – ut den Verein, un staats dessen drängten sick nu de Daglöhners rinne, un nu kunn denn de Revolutschon losgahn. De einzigen beiden Lüd', de en beten gaud bi Liw' un trotzdem doch blewen wiren, wiren Unkel Bräsig un de Zimmerling Schulz.

Kein Minsch kunn mihr mit dese unrauhigen Tiden taufreden sin as Unkel Bräsig; hei was ümmer up den Damm; hei was as 'ne Imm oder – beter – as 'ne Hummel; un sach jede[520] Husdör un jedes Finster in Rahnstädt för 'ne Blaum an, in de hei rinne stippen un Niglichkeiten sugen müßt, un wenn hei denn vull Dracht satt, flog hei nah sinen Stock taurügg un fauderte sinen Korl mit sin Immenbrod. – »Korl, Lurwig Philippen haben sie weggejagt.« – »Steiht dat in de Zeitung?« – »Hab's selbst gelesen. – Korl, es muß doch man 'ne olle Bang'büx gewesen sein. Wo is es möglich, daß sich en König wegjagen lassen kann?« – »Je, Bräsig, dat is doch all all dor west. Weitst nich mihr mit den swedschen Gustav? Wenn sick so'n Volk einig un gegen em is, denn steiht so'n König ok man allein.« – »Darin hast du recht, Korl; aber weglaufen tät ich derentwegen doch nicht. Donnerwetter! Ich setzt' mir auf meinen Thron und setzt' mir die Kron auf und stangelte mit Arm un Bein, wenn mich einer anfieß.«

Un späder kamm hei: »Korl, die Post aus Berlin is heut wieder nich gekommen, und dein junger Herr jog plängschaß durch die Straßen nach das Posthaus, um eigenhändig nachzufragen, worum nich; abersten das wär ihm beinah slecht gegangen, denn da hatten sich schon welche von die Bürgers zusammengerottiert und fragten sich so beispielsweise, was sie das zu leiden brauchten, daß so'n Eddelmann in'n Glopp durch die Straßen bädelte. – Na, er ritt nahsten en annern Weg und Schritt nah Mosessen seinen Haus', und da hat sich die Sache denn verblut't. – Ich hatt auch en Wort mit Mosessen zu reden un gung nach en bischen ihm nach, und als ich ankam, kam er grad aus der Tür raus, kuckte mich an, kannte mir aber nich, was ich ihm aber nicht übel nehme, denn er hatte seinen Kopf woll voll eigene Gedanken, indem daß ich noch hörte, wie Moses sagte: ›Was ich gesagt hab', hab' ich gesagt: einem Spieler leih ich kein Geld.‹ – Moses kommt heute nachmittag.« –

Den Nahmiddag kamm denn ok Moses. »Hawermann, 's is richtig, mit Berlin is's richtig.« – »Wat? Is dat dor ok utbraken?« – »'s is ausgebrochen – aber sprechen Sie nicht drüber – is zu mir gekommen heute morgen der Sohn von Manasse aus Berlin selbst mit der Exterpost, will machen[521] en Geschäft mit alte Flintenstein, hat noch an dreißigdausend auf dem Lager, noch her von Anno 15.« – »Was will er mit seine Flintensteine?« rep Bräsig, »jeder gebildete Mensch hat jetzt Perkutschon.« – »Nu, was weiß ich«, säd Moses, »ich weiß viel, ich weiß gar nichts. Er meint, wenn's los geht, werden de alten Gewehren mit de Flintenstein auch rausgeholt, und hat mir gesagt, in Berlin haben sie geschossen mit de Flinten und de Säbels und de Pistolen und de Kanonen auf die Leute und ›Puh!‹ ›Puh!‹ is's los gegangen de ganze Nacht, und de Kürassierers reiten in de Straßen, und das Volk schmeißt mit de Stein und schießt aus de Fenstern und hinter die Brikaden. Grausam! grausam! – Aber sprechen Sie nicht darüber.« – »Also, 'ne ordentliche Kanonisierung?« frog Bräsig dormang. – »Mein Gott!« rep Hawermann, »wat is dat för 'ne Tid! Wat is dat för 'ne slimme Tid!« – »Nu, was heißt schlimme Szait? Für de Dummen is immer schlimme Szait und für de Klugen immer gute. Als wir gehabt hätten gute Szait, hätt ich nich Grund gehabt zu ziehn mein Vermögen zaruck und zu kindigen hier und zu kindigen da. Für mich alten Mann is's 'ne gute Szait.« – »Äwer, Moses, ward Sei denn nich bang', wenn dat allens koppäwer un koppunner geiht. Sei sünd nu doch einmal as en riken Mann bekannt.« – »Nu, ich förcht mich nicht; is de Blümche gekommen un hat geweihmert, is David gekommen – so hat er gebewert – ›Vater, wo bleiben wir mit's Geld?‹ hat er gefragt. – ›Wo wir geblieben sind, bleiben wir nun auch‹, hab' ich gesagt. – ›Wir borgen, wo's gut is; wir machen mit, was gut is; wir werden auch Volk, wenn's verlangt wird. Laß dir en Bort stehn, David‹, hab' ich gesagt, ›de Szaiten sind dernach.‹ – ›Na, und wenn andere Szaiten kommen?‹ hat er gefragt. – ›Denn schneidst du den Bort ab‹, hab' ich gesagt, ›denn sind de Szaiten nich mehr dernach.‹«

Sei kemen nu up Axeln, up sine Verlegenheit un dorup, dat nahrens Geld un Kredit in de Welt wir, un dor was vel äwer tau seggen, denn wenn de Kredit föll, müßten de Gäuder mit fallen, un männigein würd sin Gaud nich hollen känen.[522] Un as Moses furt gahn was, seten de beiden ollen Landlüd' den Abend äwer noch lang' mit de Fru Pastern tausamen, un de Red' gung trurig hen un her, un de Fru Pastern slog ein Mal äwer't anner de Hän'n tausam äwer de gottlose Welt und dankte taum irsten Mal ehren Schöpfer dorför, dat hei ehren Paster vör dese slimme Tid tau sick namen hadd, dat hei doch nicks mihr von so'n unchristlich Wesen tau seihn kreg, un Hawermann hadd so'n Gefäuhl as en Mann, de sin schön Geschäft upgewen hett, wat em vördem leiw worden was, un nu süht, wo sin Nahfolger dorin tau Grun'n geiht. Bräsig allein let sick nich verblüffen, hei höll den Kopp baben un säd: dese Unrauh, de äwer de ganze Welt kamen wir, wir woll nich allein in de Minschen ehre Köpp utheckt worden, un uns' Herrgott hadd sine Hand as süs dor ok woll en beten mit mang, taum wenigsten hadd hei't doch taulaten, un nah dit Gewitter würd de Luft woll wedder rein warden. »Un, Korl«, set'te hei hentau, »von Sie, Frau Pastern, sage ich nich – aber wenn ich dir raten kann, Korl, dann kommst du morgen abend auch mit nach Grammelinen, denn lauter Rebeller sünd wir nich, un weißt du, wo mich das vorkommt? – Jüst, als mit en Unwetter; wenn einer das so von der Stub' aus ansieht, sieht sich das schauderösen an, un wenn man da mitten drin is, markt man's beinah gor nich.«

So kamm Bräsig in den Reformverein tau Rahnstädt, un alle Abend kamm hei tau Hus un vertellte, wat passiert was. – Eins Abends kamm hei späder as gewöhnlich tau Hus: »Heute is's doll hergangen, Korl, un ich hab' en paar Gläser Bir mehr verkonsumtiert as süs, bloß wegen der großen Wichtigkeit. – Süh, nu sünd doch die Daglöhner auch all Reformglieder geworden, un worum auch nich? Wir sünd ja alle Brüder. Un die verfluchten Kerls haben sich das ausspintisiert, die ganze Rahnstädter Feldmark müßte aufs frische ausgemessen werden un in gleiche Quadrate ausgesnitten, und jeder Einwohner müßte gleich viel Land haben, un mit das Stadtholz, da müßte jeder auf den Harwst das Recht[523] haben, sich 'ne schöne Bäuk for den Winter abzustämmen, denn wär erst ordentliche Gleichheit unter die Menschen. – Da sünd aber die Ackerbesitzer aufgetreten: sie wären auch for die Gleichheit, aber ihr Eigentum wollten sie behalten, und Kurz hat 'ne lange Red' gehalten von Acker und Wiesen und brachte richtig wieder die Stadtbollen mit mang; und als er damit fertig war, haben sie ihn vor einen Aristokraten ausgescholten und haben ihn rausgesmissen. Un dunn is Sneider Wimmersdörp aufgetreten, der hat von der Gewerbefreiheit gepredigt, und da sünd die andern Sneider über ihn gekommen un haben ihn gottserbärmlich gehauen: Gleichheit wollten sie, haben sie gesagt, aber Zunft müßte sin. Un da is en junger Mensch aufgetreten und hat spöttschen gefragt, woans es aber mit die Sneidermamsells werden sollt? Was die in die Zunft aufgenommen werden könnten oder nicht? – Und das haben die ollen Sneidermeisters nich gewollt, und da haben die jungen Leute sich for die Sneidermamsells aufgesmissen und haben die ollen Sneiders rausgesmissen, und draußen hat's denn noch hellschen was gesetzt; un inwendig in dem Saal hielt Rekter Baldrian 'ne lange, lange Rede, wo viel von 'ner Emanzipulatschon – oder sonst was – von die Frauensleut vorkam, und stellte den Antrag, wenn die Sneidermeister die Sneidermamsells nich in ihre Zunft aufnehmen wollten, so sollte for die Sneidermamsells 'ne eigne Zunft aufgericht't werden, denn sie wären ebenso gut menschliche Swestern von uns als jede andere Zunft; und das ist durchgegangen, und die Mamsells sünd nu zünftig, und wie ich man gehört habe, als ich fort ging, wollen ja die Sneidermamsells übermorgen in weiße Kleider mit ihren Oltgesellen an die Spitz – Korl, die olle gele Jumfer, die hier ümmer vorbeigeht, zu die sie ümmer ›Tater‹ sagen – nah den Rekter seinen Haus' ziehn und sich bei ihm bedanken und ihm zum Andenken an seine Rede 'ne wollene Unterziehjacke und Unterziehhose auf en Küssen übergeben.« – »Bräsig! Bräsig!« rep Hawermann ut, »wat makt ji för dummes Tüg! – Ji dauht jo grad, as wenn keiner mihr äwer jug is,[524] as wenn ji dat all tau bestimmen hewwt.« – »Worüm nich, Korl? Wer will uns was? – Wir machen unsere Beslüssen, so gut jeder das lihrt hett, und wird da nichts draus, denn wird da nichts draus, und werden kann mein Dag' nich was draus, denn süh mal, Korl, die Geschichte kommt auf einen Punkt raus: alle woll'n sie was haben, un keiner will was missen.« – »So is't woll, Zacharias, un ick glöw ok nich, dat hir in de lütte Stadt grot Undäg' ut de Sak entstahn kann, denn hir höllt ümmer de ein den annern dat Wedderpart; äwer denk di doch mal, dat de Daglöhners up den Lan'n ok up den Infall kemen, de Gäuder tau deilen, wo würd't uns denn laten?« – »Ih, Korl, sie werden jo doch nich!« – »Bräsig, 't liggt deip in de minschliche Natur, dat einer en noch so lüttes Stück von uns' Ird sin eigen nennen will, un't sünd nich de legsten Minschen, de dornah trachten. Kik doch üm di! Wenn de Handwarksmann sick wat verdeint hett, denn köfft hei sick en lütten Goren, en lütt Stück Acker un hett uter sinen Vurtel ok noch sine Freud' doran, un de Daglöhner in de Stadt makt dat ebenso, denn de Mäglichkeit dortau is em jo gewen; un dorüm, glöw ick ok, hett de Untaufredenheit von de Daglöhners hir in de Stadt nicks tau bedüden. – Mit den Daglöhner up den Lan'n is dat äwerst anners: de hett kein Eigendauhm un kann ok bi aller Sporsamkeit un allen Flit nich dortau gelangen. Wenn dese Meinungen irst unner em kamen un bi em lewig warden, un unverstännige Minschen bäuten en beten bi em nah, denn sallst du seihn, denn kann dat slimm warden. – Ja«, rep hei ut, »tauirst ward dat woll blot up de slichten Herrn los gahn; äwer wer steiht uns dorför, dat dat nich ok de gauden dröppt?« – »Korl, du kannst recht haben, Korl, denn heut abend hat mich Kurz gesagt – das heißt vordem, daß er rausgesmissen wurd' –, daß den letzten Sonntag en paar Gürlitzer Tagelöhner sonderbore Redensarten an seinen Ladentisch geführt hätten.« – »Sühst du«, säd Hawermann un namm sin Licht, üm tau Bedd tau gahn, »ick günn keinen Minschen wat Böses, obschonst dat männigein woll verdeint hewwen mag,[525] äwer slimm is't, dat de gauden Herrn mit de slichten mitliden möten, un de wollverdeinte Straf, de einen oder den annern bedröppt, up't ganze Land föllt.« – Dormit gung hei; un Bräsig säd tau sick: »Wahrhaftig! Korl kann recht haben, auf dem Lande kann's slimm werden, ich werde mich nahgradens doch mal nach Jung'-Jochen un den Paster Gottlieben umsehn müssen. – Na, mit Jung'-Jochen hat's keine Gefahr, er hat seine Daglöhners seindag' nichts gesagt, un die werden ihm nu auch woll nichts sagen, und der Paster-Jürn is partutemang kein Rebeller.«

Hawermann hadd de Lüd', mit de hei so lang' tau dauhn hatt hadd, richtig taxiert: Dörch dat ganze Land gung 'ne Unrauh as en Fewer. De begründtsten Klagen un de unvernünftigsten un utverschamtesten Förderungen gungen von Mund tau Mund unner dat Volk, und wat irst lising munkelt hadd, süll bald in helle Untaufredenheit tau Höchten *blukken. Doran wiren de Herren nu meistens sülwst schuld, sei hadden den Kopp verluren, jeder handelte up sinen eigenen Schalm, un de Eigensucht kamm so recht düdlich tau Dag', wo jeder blot för sick sorgte – wenn hei man mit sin Lüd' in Freden lewte, de Nahwer kümmerte em nich. Staats mit en ihrliches Gewissen un olle hergebröchte Fründlichkeit mit de Lüd' ok in desen Tiden tau verkihren, kröpen weck vör ehre eigenen Daglöhners un bewilligten allens, wat sei in ehren Unverstand föddern deden, annere set'ten sick hoch tau Pird un wullen't mit Degen un Pistolen dwingen, un ick heww weck kennt, de nich anners as mit twei Büssen in den Wagen up ehren eigenen Fell'n rümmer führten. Un worüm? Eben wil sei kein ihrlich Gewissen von vördem hadden, un wil de Minschenfründlichkeit ehr all lang' afhannen kamen was. – Dat gelt natürlich nich von alle Herrn.

Ok von Axeln gelt dat nich, sine Lüd' gegenäwer was hei vördem nich böswillig west, ok was hei för gewöhnlich nich hart, hei kunn't äwer warden, wenn hei glöwte, dat sine Stellung as Herr an tau wackeln fangen künn. Unner so'ne Ümstän'n, as nu äwer de Welt kamen wiren, kamm binah bi[526] jeden dat bindelste Wesen buten rut, as dat von den dunen Minschen seggt ward, un't müßt all en hellschen erfohrnen un käuhlen Kopp sin, de den ganzen Tumult un Trubel äwerseihn, sick vörsichtig för sick hollen un ut de Firn betrachten un sinen Äwerslag maken kunn äwer dat, wat gaud was un wat slicht, un woans hei sin Schipp dörch dese Bülgen stüern müßt. – Dat was nu nich Axeln sine Sak, hei satt bald midden mang de ganze Bisternis un grep bald blindlings nah Middel üm sick, dat hei sick dorute finnen wull, un so kamm dat, dat hei beide Durheiten von de Herrn mitmakte, einmal, dat hei unverstännig nahgaww, einmal, dat em de Kürassierleutnant upstödd un hei nah Pistolen un Säbel grep. – De Lüd' wiren ok nich mihr so, as sei vördem west wiren, un doran was hei schuld: denn eins hadd hei ehr Kleinigkeiten namen, woran den lütten Mann sin Hart ut olle Gewohnheit hängen deiht, un denn eins hadd hei wedder mit vullen Hän'n in sine Gaudmäudigkeit allerlei Gnaden utdeilt un hadd de Lüd' begehrlich makt, denn hei kennte den Minschen nich, un vör allen kennte hei den lütten Mann up den Lan'n nich. Hei hadd de Lüd' lawt, wenn sei ful west wiren, un hei hadd sei schullen, wenn sei flitig west wiren, denn hei wüßt nich, wat de Lüd' leisten kunnen. Kort, hei hadd sei nich nah Recht un Gerechtigkeit, hei hadd sei nah sine Lunen behandelt, un wil de nu in de letzte Tid nich sihr rosenrod wiren, was de Untaufredenheit unner de Daglöhners gröter worden, un wat noch mang ehr as karnfastes Eikenholt ut ollen Tiden nich recht brennen un de Flamm nich recht upkamen laten wull, an dat würd von buten her ein keinige Dannenspohn nah den annern leggt, dat dat tauletzt ok anfung, Füer tau fangen.

Jedwerein weit, dat blot kranke Dannen so'ne keinige Spöhn afgewen, un in Axeln sine Nahwerschaft stunn so'n kranken Dannenbom, de männigen Spledder hergewen kunn: dat was Gürlitz. – Des' Bom was ok einmal ganz gesund west, äwer trotzdem dat Paster Behrends allens dahn hadd, em so tau hollen, was hei krank worden, denn jeder von de einzelnen[527] Herrn, de dor wesselt hadden, hadd em en Telgen namen un wedder namen, un de olle Teerswäler Pomuchelskopp freute sick ordentlich, dat hei krank was, un dachte blot an dat Fett, wat hei för sick dorut braden künn; denn't giwwt – schrecklich is't tau seggen – würklich Herren, de en verkamenen Daglöhnerstand leiwer hewwen as en gesunnen, un de sick freuen, wenn sei ehre Lüd' in'n Vörschuß hewwen, wil sei sei den beter schinnen känen. – Äwer doran hadd Pomuchelskopp nich dacht, dat, wenn de Blitz insleiht, so'ne kranke, keinige Dann lichter un heller brennt as 'ne gesunne; un de Nahwers von unsern Herrn Gaudsbesitter, de recht gaud wüßten, dat de Gürlitzer Lüd' slicht hollen würden, un sick oft doräwer monkiert hadden, dachten ok nich doran, dat dat Füer, wat sick Pomuchel för sinen eigenen Stüz – natürlich, ahn dat tau willen – anbött hadd, sei ok mal bi Gelegenheit brennen künn, un so würd denn Gürlitz de Füerstäd, wo de ganze Gegend mit hitzt warden süll. De Gürlitzer Daglöhners wiren dat Bramwinsupen anworden, wil 'ne Brenneri up den Hoff was un wil sei dor den Bramwin de Woch' äwer borgt kregen, wat ehr an den Löhnungsdag denn wedder aftreckt würd, un so wiren sei ok mitdewil Stadtlöpers worden, de jeden Schilling – äwrig oder nich äwrig – an den Ladentisch nah Rahnstädt drogen, un hir hadden sei denn naug tau weiten kregen, woans dat in de Welt stahn süll, un bi dese Gelegenheit hadden de Herrn Ladendeiners ehr dat ok utdüdt, woans dat in de Welt eins warden müßt, un denn wiren sei nah Hus kamen un hadden all ehren Bramwins-Unverstand in einen Pott tausamen gaten un hadden dit Unglücksgericht mit ehre begehrlichen Wünsch anstickt, dat dat in blage, undüdliche Flammen tau Höchten bluckte un ehre halwverhungerten Frugens un Kinner as de Gespenster achter sei stunnen, un de Keinspöhn von de kranke Dann hadden sei dorinne hollen – dat was ehr Not un Elend –, un dormit wiren sei in de Nahwerschaft rümmer lopen un hadden sülwst dat olle ihrliche, wrampige Eikenholt dormit anstickt.[528]

Taum hellen Füer kamm't frilich tauirst noch nich, denn dor was noch vel tau verwinnen, wat entgegenstunn; dor wiren gaudgemeinte Würd' von verstännige Lüd', dor was de olle Anhänglichkeit, dor was de Erinnerung an Wolldahten von vördem, dor was de ewige Gerechtigkeit, de ok in 'ne verkamene Seel lang' uthöllt un ehren Stachel in't Gewissen drückt, un dit all föll as en käuhlen Regen in de Glaut un let dat Füer nich tau Höchten kamen; ok bi de Gürlitzer noch nich. Hadden sei äwer in de Seel von ehren Herrn lesen künnt, denn wir't woll ihre upbluckt, denn in Pomuchelskoppen sin Hart stred sick de gemeine Haß un de erbärmliche Feigheit, wer Herr warden süll, denn dat ihrliche Gewissen was em all lang' afhanden kamen, un up sine Wolldahten von vördem kunn hei ok just nich puchen. – In den einen Ogenblick rep hei in Wut: »O, diese Bande! Ich sollte nur ... Es müssen andere Gesetze gegeben werden! – Was tu ich mit 'ner Regierung, die Soldaten hat und sie nicht marschieren läßt? – Was? – Mein Eigentum ist in Gefahr; meine Regierung muß mein Eigentum schützen.« Un in den annern Ogenblick rep hei sinen Gustäwing von den Hoff herinner: »Gustäwing, du Schaapskopp, was läufst du nach den Dröschern, laß sie dröschen wie sie wollen; ich will keinen Lärm mit meinen Leuten haben«, un wend'te sick nah sin Häuhning üm, de stiw as en Pahl dor satt un em einerlei mit de spitz Näs' un de spitzen Ogen ankek un nich mal mit den Kopp schüddelte. – »Häuhning«, rep hei, »ich weiß, was du denkst, du meinst, ich soll mich zeigen, daß ich der Mann bin; aber es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht! Klucking! Wir müssen lavieren, wir müssen lavieren, mit einem vorsichtigen Lavement kommen wir vielleicht durch.« – Häuhning säd nicks tau desen Vörslag, sei sach äwer so ut, as würd sei sick för ehren Part nich dorup inlaten, un Pomuchelskopp wend'te sick an Malchen un Salchen: »Kinder, ich bitte euch, kein Wort von dem, was hier gesprochen wird! – Ja nicht zu den Dienstboten! Und seid freundlich gegen sie und bittet eure liebe Mama, daß sie auch freundlich sein soll. Herre Gott,[529] ich bin ja immer für die Freundlichkeit gewesen.« – Un Malchen un Salchen gungen nu up Häuhning los: »Mama, du hast es nicht gehört, du weißt es nicht, was schon alles passiert ist; Johann-Jochen hat heut in der Küche erzählt, daß die Tagelöhnerfrauen den Gutsbesitzer Z. auf X. mit Nesseln gepeitscht haben. – Mama, wir müssen nachgeben; es geht nicht gut, es geht nicht gut!« – »Ji sid all unklauk!« säd Häuhning un gung in de Dör. »Un vör so'n Pack süll ick mi fürchten«, rep sei un makte de Dör tau. Äwer dese in so'ne Ümstän'n binah unnatürliche Heldenmaut stunn allein, hei müßte sick ahn widere Hülp ganz unnütz in sick sülwst vertehren, denn Muchel let sick in sine Angst vör slimm Weder nich hissen noch locken, un de äwrigen Mitglieder von de stille, einfache Fomili stimmten ditmal mit Vating. – »Kinder«, rep Vating, »ein jeder muß mit Freundlichkeit behandelt werden. – Die verfluchte Bande! Wer hätte das vor einem Vierteljahr gedacht? – Philipping und Nanting, daß ihr mir nicht die Dorfkinder schlagt und nicht wieder den alten Brinkmann einen Eselskopf hinten auf den Kittel malt! – Diese Rasselbande! Aber sie sind aufgehetzt von dem verdammten Rahnstädter Reformverein und von den Juden und von den Ladendienern; aber wartet nur ...!« – »Ja, Vating«, säd Salchen, »und Weber Röhrdanz hat sich schon in Rahnstädt in dem Reformverein aufnehmen lassen, und die andern im Dorfe wollen auch alle hin; das kann schlimm werden.« – »Herre Gott, was wollt' das nicht! Aber wartet, da muß ich zuvorkommen, ich will mich selbst aufnehmen lassen.« – »Du?« repen de beiden Döchter ut einen Aten, as wull ehr Vating mit eigene Hand sin Hus un Hoff ansticken. – »Ich muß, ich muß! Das wird mich beliebt machen bei den Bürgern, daß sie mir die Kanaillen nicht mehr aufhetzen; ich will den Handwerkern ihre Rechnungen bezahlen, und – ja, es muß sein! – es ist 'ne verfluchte Geschichte, aber es muß sein! – ich will über den Vorschuß bei meinen Tagelöhnern einen Strich machen.« – Malchen un Salchen verfirten sick, so hadden sei ehren Vating noch sein Dag' nich seihn; äwer sei süllen[530] sick noch mihr verfiren, as Vating säd: »Und euch will ich nur sagen, seid ja recht höflich gegen den Herrn Pastohren und die Frau Pastohrin – lieber Gott, ja! – Mutter tut's nicht – Häuhning! Häuhning, was machst du mir für Elend! – Die Pastohrenleute können uns schrecklich viel nützen und schaden. – Ach, was kann ein Gutsbesitzer und ein Pastohr nicht alles, wenn sie treu zusammenhalten in so schlimmen Zeiten! – Wir müssen die Leute mal freundlich einladen, später, wenn's wieder ruhig ist, können wir ja den Umgang abbrechen, wenn er uns nicht gefällt.«

Un richtig! Nah einige Dag' kamm bi Paster Gottlieben 'ne schöne Empfehlung an von den Herrn un de Fru Pomuchelskoppen – dat oll brav Häuhning hadd sick also in desen Punkt gewen – an den Herrn Paster un de Fru Pastern, un wat sei nich de Ihr hewwen künnen tau Middag; dat Mäten täuwte up Antwurt. – Bräsig was grad dor, um mal taum Rechten tau seihn. – As Gottlieb de Inladung lesen hadd, stunn hei dor, as hadd hei 'ne Ladung vör't geistliche Konsistorium kregen wegen falsche Lihren oder wegen unmoralischen Lewenswandel. – »Was?« rep hei ut, »'ne Einladung von unserm Gutsbesitzer? – Wo ist Lining? – Lining!« rep hei ut de Dör. – Lining kamm, sei las den Breiw un kek Gottlieben an, de stunn ratlos vör ehr, sei kek Bräsigen an, de satt in de Sofaeck un grinte sei an as en Pingstvoß. – »Na«, säd sei tauletzt, »da gehn wir doch nicht hin?« – »Liebe Frau«, säd Paster Gottlieb – denn hei nennte sei ümmer »liebe Frau«, wenn hei sin geistlich Gewicht gegen sei in de Waagschal smiten wull, süs säd hei blot »Lining« – »liebe Frau, du sollst die Hand nicht zurückstoßen, die dir dein Bruder bietet.« – »Gottlieb«, säd Lining, »dies ist keine Hand, dies ist ein Mittagessen, und der Bruder heißt Pomuchelskopp. – Hab' ich nicht recht, Bräsig?« – Bräsig säd nicks, hei grinte blot, hei satt dor as Mosessen sin David, wenn hei 'ne Luggerdur afwägen ded, un kek, wat sick de Waag' för dat geistliche Gewicht oder för den gesunnen goldnen Minschenverstand entscheiden ded. – »Liebe Frau«, säd Gottlieb,[531] »es steht geschrieben: Du sollst die Sonne nicht über deinen Zorn untergehen lassen, und wenn dir einer einen Backenstreich ...« – »Gottlieb, das paßt alles nicht; wir haben ja keinen Zorn, und mit dem Backenstreich, da bin ich Bräsigen seiner Meinung. – Gott verzeih mir die Sünde! aber es mag früher wohl anders gewesen sein; so viel weiß ich aber, wenn das jetzt Mode würde, das würde ein Maulschellieren in der Welt geben, daß alles mit geschwollenen Backen umherlaufen müßte.« – »Aber, liebe Frau ...« – »Gottlieb, du weißt, in deine geistlichen Angelegenheiten misch ich mich niemals; aber ein Mittagessen ist 'ne weltliche Angelegenheit und bei Pomuchelskoppen eine mehr als weltliche. – Und dann vergißt du ganz; wir haben ja Besuch. – Ist Onkel Bräsig nicht hier? Und willst du nicht lieber mit Onkel Bräsigen heute mittag hier 'ne Erbsensuppe mit Schweinsohren essen als bei Pomuchelskoppen ein Diner? – Und Mining haben sie auch nicht eingeladen«, set'te sei hentau, as Mining in de Dör kamm, »und sie wissen doch, daß Mining bei uns wohnt.« – Dit slog nu bi Gottlieben dörch, hei müggt gor tau girn Arwtsupp, un de Swinsuhren von sin Pökelfleisch fratt hei all allein up, un denn möt ick ok noch seggen, dat hei würklich vel von Unkel Bräsigen höll, de em so vel hulpen un tru bistahn hadd, un ein von sine grötsten geistlichen Bedenken was dat, dat so en Minsch as Bräsig, de so tru un ihrlich handeln kunn, doch so wenig christliches un kirchliches Wesen an sick hadd. – Hei säd also bi Pomucheln af, äwer as sei nu bi de Arwtsupp seten un Bräsig so verluren dormit rute kamm, dat hei würkliches Mitglied in den Rahnstädter Reformverein was, sprung Paster Gottlieb pil in'n En'n, let Swinsuhren Swinsuhren sin un höll 'ne gadliche Predigt gegen den Reformverein. – Lining tog em dorbi af un an eins an den Rock, de Supp würd jo kolt; äwer Gottlieb let nich locker: »Ja«, rep hei, »es ist über die Welt die Zuchtrute Gottes gekommen; aber wehe dem Menschen, den der Herr zu seiner Zuchtrute wählt!«, un wil dat dit Mal nich in de Kirch was, föll Bräsig em in de Red' un frog, wen sick uns' Herrgott denn woll dortau wählen ded. – »Das[532] steht in der Hand des Herrn!« rep Gottlieb, »er kann mich, er kann Lining, er kann Sie dazu erwählen.« – »Lining und mir wählt er nich«, säd Bräsig un wischte sick den Mund af, »Lining hat Anno 47 die Armen ausgefuttert, un ich hab vor etzliche Wochen noch Gleichheit und Brüderlichkeit in den Reformverein besworen; ich bün keine Zuchtrut, ich tu keinen Menschen was zuleide; aber wenn ich Zamel Pomuchelskoppen mal kriegen könnte – denn ...« – Gottlieb was tau sihr in Iwer, hei hürte hir gor nich up un predigte wider: »Oh, der Teufel geht jetzt in der Welt um wie ein brüllender Löwe, und jede Rednerbühne, die in den verfluchten Reformvereinen aufgerichtet ist, ist ein Altar, auf welchem ihm geopfert wird; aber ich will diesem Altare einen andern entgegenstellen; in dem Hause Gottes will ich predigen gegen die Rauchopfer des Teufels, gegen diese Reformvereine, gegen diese falschen Götzen und ihre Altäre!« – Dormit set'te hei sick dal un et hastig en por Lepel vull Arwtsupp. – Bräsig let em dor ruhig Tid tau; äwer as hei sach, dat de junge geistlich Herr all so wid wedder in dat Weltliche rinne kamen was, dat hei sick mit de Swinsuhren inlet, säd hei: »Herr Pastohr, in einen Punkt haben Sie recht, die Rahnstädter Rednerbühn süht ungefähr so aus als den Deuwel sein Altor, nämlich als en Kühlfatt aus 'ner Bramwinsbrenneri; abersten daß ihm da geopfert wird, kann ich nich sagen, es müßte denn sein, daß Sneider Wimmersdörp es täte, oder Kurz oder Ihr eigener lieber Herr Vater, denn der hält ümmer die längsten Predigten – ne! sagen Sie nichts! – Ich will nur sagen: solang' ich den Deuwel kenn', und das sind nu auch schon lange Jahren her, wird er sich nich mit den Rahnstädter Reformverein einlassen, denn so dumm is er nich.« – »Gottlieb«, säd Lining, »du weißt, ich mische mich nie in deine geistlichen Angelegenheiten, aber du wirst doch gewiß nicht eine so weltliche Sache, wie der Reformverein ist, auf die Kanzel bringen?« – Ja, säd Gottlieb, dat wull hei. – »Na, denn man zu!« säd Bräsig, »aber was die Leut' sagen, daß von allen die Pasters zum besten ihren Vurtel[533] verstünnen, dieses ist nicht wahr, denn staats die Leut, die nich in die Kirche gehn, hineinzupredigen, predigen sie die raus, die noch darin sind.«

Un Unkel Bräsig süll Recht krigen, denn as Gottlieb den einen Sünndag mit schrecklichen Iwer gegen de nige Tid – von de hei, bilöpig seggt, grad' so vel verstunn, as wenn hei irst gistern up de Welt kamen was – un gegen de Reformvereins predigt hadd un den negsten Sünndag de Sak förfötsch nahsetten wull, wiren blot Lining un Mining un de Köster in de Kirch, denn de por ollen Spinnfrugens, de noch sprangwis' in de Stäuhl seten, kunn hei nich mitreken, denn dat wüßt hei, de kemen nich wegen sine Predigt, blot wegen dat Suppeten, wat sei in den Pasterhus' den Sünndag-Middag kregen. – Hei gung also mit sine Predigt un sine Frugenslüd' tau Hus, de por ollen Spinnfrugens gungen mit ehre Henkelpött achter her, de Köster slot de Kirch tau, un Gottlieb hadd dat Gefäuhl as en Soldat, de in sinen Iwer den Degen, womit hei fechten sall, in den dicken Drümpel von sine Find' herinne smeten hett un nu ganz blot un bor dorsteiht.

So was't denn allentwegen slimm in den Lan'n, jeden sine Hand gegen den annern; de Welt was as ümkihrt, de wat hadden un süs den Dicknäsigen upspelt hadden, wiren lütt worden, un de nicks hadden, wiren drist worden, de süs för klauk güllen, würden nu dumm schullen, un de Dummen würden äwer Nacht klauk; Vörneme würden Gering', Eddellüd' gewen ehren Adel up, un Daglöhners wullen »Herr« nennt warden. – Äwer twei Ding' lepen as en Faden dörch dit Gewäuhl von Feigheit un Utverschamtheit, de den Minschen wedder trösten un upmuntern kunnen. De ein Faden was kunterbunt, un wenn einer den nahgung un sick von de allgemeine Angst un de allgemeine Begehrlichkeit fri maken kunn, denn kunn hei so vel Plesier hewwen, as hei jichtens wull; dat was de Lächerlichkeit von de Minschheit, de so recht tau Dag' kamm; de anner Faden was rosenrod, un an em hung all dat, womit de Minsch den annern Minschen glücklich maken kann, dat Mitled un dat Erbarmen, de gesunne[534] Minschenverstand un de Vernunft, de true Arbeit un dat Entseggen, un dese Faden was de Leiw, de reine Minschenleiw, de in dit Gewew' von grisgrage Eigensucht von hülprike Hän'n inwewt würd, vörlöpig man nah unsern Herrgott sinen Ratsluß as en Teiken, dat sei wirksam bliwen süll ok in de slimmsten Tiden; äwer wer weit't, hei kann mal den finen Stripen breider warden laten, dat grisgrage Gewew' kann mal rosenrod lüchten, denn de Faden is – Gott sei Dank! – nich afsneden.

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 5, Rostock 1967, S. 515-535.
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