Der Studentenhansel.

[218] Jene Menschenpfade, die von Wildnissen und Einöden den Städten und der Gesellschaft zuführen, sind ziemlich belebt. Der Hirte, der Waldmensch, der Feldarbeiter, der Bergknappe und andere Leute im rauhen Arbeiterkittel, alle erblicken dort das Paradies, wo dieser Arbeiterkittel aufhört und der seine Tuchrock anhebt. Sie ahnen es nicht, daß im seinen Tuchrocke Übel stecken können, die dreimal qualvoller sind, als all das Weh ihres stumpfen, ungepflegten Herzens zusammen. Und trotzdem ist es ein Glück und eine Erhöhung für einen, der aus Wildnissen in den Bereich der Kultur tritt.

Umgekehrt aber bedeutet es fast immer eine Schuld oder ein zerrissenes Leben und Unterliegen und Verzweifeln, wenn einer aus der Welt in die Wildnis geht. Es geschieht, daß der Weltsatte in der Abgeschiedenheit der Wälder Muße und Beschaulichkeit sucht und am Busen der Ursprünglichkeit den Glauben wieder einsaugen will, den ihm das entartete Weltleben vernichtet hat, aber es geschieht selten. Kaum einem gelingt es, den Netzen, welche die Spinnen Genuß und Gewohnheit ihm gewoben, sich zu entreißen. Sie grämen sich, verbittern und verzehren sich am Welthaß oder an der Versumpftheit, sie gehen unter, ohne am Urquell der Kraft und Lebensliebe zu trinken. – Es geschieht vielleicht[219] einmal, daß ein Mensch einen so gottbegnadeten Sinn hat, daß er auf die Pracht der Paläste keinen Wert legt, daß er in der Armut und Einfachheit der Hütten keine Entbehrung und keine Erniedrigung sieht, daß er überall die gleiche Größe und Heiligkeit dessen findet, was er als unvergängliches Anbild in seinem Herzen trägt, und daß er nicht aus Haß gegen die Welt, sondern aus Liebe zu verlassenen Menschen von höherer Stellung zu ihnen in die Wälder und Öden herabsteigt. Sein Niedersteigen wird ihm und anderen zur Erhöhung.

So war's bei jenem Manne wohl nicht gemeint, der in der Hauptstadt von einem Wege, der ihn emporführen sollte zur Erkenntnis und zu Ehren, plötzlich links abbog und in die Wälder des hintersten Gebirges ging, um dort mit der Holzaxt und dunkeln Gaukeleien ein armselig Brot zu erwerben.

Der Mann ist durch meine Jugend gegangen, wie ein unheimlicher Schatten. Zu sehen war er nicht, denn er kam aus seinen Wäldern nicht heraus. Das Dorf und die Kirche hatte er leicht meiden, denn in seinem Walde, wo eine Schar von Holzschlägern lebte – es war der Filnbaumwald am Teufelsstein, der zur selben Zeit geschlagen wurde – stand ein Wirtshaus und in demselben hatte er seinen Unterstand. Es verging aber keine Woche, daß wir nicht vom »Studentenhansel« hörten. Er hatte geistlich werden wollen, war aber nach der »achten Schul« ausgesprungen. Die achte, das ist nämlich die schwarze Schule, in welcher die Theologen mit dem Teufel Bekanntschaft machen. Und da wäre er – der Studentenhansel – so erzählte er gern, zur Überzeugung gelangt, daß sich's auf der Welt mit dem Teufel weiter springt, als mit[220] dem lieben Herrgott, und er habe also mit dem Schwarzen Bruderschaft gemacht.

»Geld kunnt er von ihm haben, so viel er wollt',« erzählten die Leute, »aber er verschmäht's, er braucht den Hörndelbuben lieber zu was anderm. Drum nur dem Studentenhansel nichts in den Weg legen!«

Sie hatten eine heilige Furcht vor ihm und am meisten graute ihnen vor dem »Kopfwegzaubern«, weil jeder vom Aberglauben befangen war, daß er einen hätte. Der Hansel trieb's in seinem Waldwirtshause nämlich nicht selten, daß die Leute, die am Tische saßen, gegenseitig plötzlich keinen Kopf auf dem Rumpfe sahen. Dann wieder war es, daß in der Stube über dem großen Kachelofen Nebel aufstieg; daß es in diesem Nebel zu blitzen und donnern begann und die Hagelkörner hin über die Zechtische prasselten. Daß sich der Hansel auch »verblenden«, d.h. unsichtbar machen konnte, wurde von vielen behauptet, aber von keinem bestritten. An Geld litt der Hansel niemals Mangel, er soll die feinsten Bocklederhosen und kostbaren Gamsbart getragen haben. Seine Liebste sah an den Sonntagen vornehmer aus, als die reichste Bäuerin im Gau und sie soll mit einen ganzen Kopf größer gewesen sein, als der Hansel und sie allein soll vermocht haben, seine Zaubereien aufzulösen.

»Wenn sie früher stirbt als er, kann's ihm schlecht gehen«, sagte man.

»Weswegen?« fragte man.

»Wenn sie zu seiner Sterbstund' an seiner Seiten ist, kann's noch gut enden.«

»Wieso?«[221]

»Kommt der Teufel um seine Seel', sie rauft mit ihm, er laßt ihr sie.«

»Das glaube ich,« sagten andere, »sie geht noch über den Teufel!«!

So wurde gesprochen und ich dummer Junge war der, den all das am wenigsten anging und der sich davor am nachhaltigsten fürchtete.

Die Zeit verschob sich und als ich eines Tages fortging, um ein Student zu werden, da schüttelten die Leute sehr bedenklich ihre Häupter und einer unserer Nachbarn sagte, es wäre nicht schlecht, wenn ich meine junge Seele in ein weißes Leintuch wickeln und ihm aufzubewahren geben wolle.

»Narr!« rief ein anderer, »da tut er doch viel gescheiter, er verschreibt sie einem, der ihm der Rede wert was dafür gibt. Er wird das rechte Türl schon treffen.«

Als ich dann über eine Weile nach Hause kam, hatten sich auch manche Leute verschoben. Sie grüßten mich in einer Art von Ehrfurcht, dann gingen sie mir aus dem Wege und betrachteten mich nur aus der Ferne. Dort und da, wo es Gelegenheit gab, machte sich irgendein verwilderter Waldmensch an mich, der sonst das Dorf mied. Man merkte, er wollte von mir was, aber er wußte seine Sache nicht vorzubringen, lobte nur mein Wachstum und wie es schön sei, wenn der Mensch was aus sich zu machen verstünde und bog wieder seitab.

Einmal beim Hausteinerwirt war es aber doch, daß ein alter Holzbrenner ganz nahe zu meinem Sitz heranrückte, mir seine knorpelige Hand auf die Achsel schlug[222] und ausrief: »Na, junger Herr, wie steht's mit dem Wettermachen? – nichts gelernt?«

Ich war mir, wie ein Wicht. Es war in unserem Institute Ähnliches wohl vorgekommen. Der Professor machte allemal ein »Wetter«, so oft einer seine Hausaufgabe nicht im gewünschten Stand hatte. Einige der Kollegen konnten sich auch »verblenden«, und zwar auf ganze Tage lang, da sie häufig im Lehrsaale nicht zu sehen waren. Und wieder von anderen, die gekommen waren, behauptete der Professor, sie wären ohne Kopf gekommen. In einer solchen Anstalt, aber höherer Klasse, mußte wohl der Studentenhansel studiert haben, dessen Fertigkeiten nun auch von mir verlangt wurden. Ich konnte jedoch gar nichts dergleichen und blöde, wie ich unter fremden Leuten von jeher war, schlich ich jetzt kleinlaut aus der Wirtsstube.

Es wollte sich aber doch was zutragen.

Eines Abends – ich hatte eben nach Vollendung einer Arbeit mich auf die Bank gestreckt, eine Zigarre meines Gastvaters Lorenz Haas angebrannt und bei mir gedacht: jetzt bin ich ein gemachter Herr. Meine Reichtümer sind so unermeßlich groß, daß ich sie gar nicht zählen mag, so kümmere ich mich um nichts und will einmal in meiner ganzen Länge auf der Bank liegen – eines solchen Abends polterte ein Kerlchen zur Tür herein; der Lärm, den er machte, war viel größer, als er selber. Dabei tat er wieder so schleichend und geheimnisvoll und flüsterte mir die Frage zu, ob ich allein sei.

Das wäre ich gewesen, sagte ich, jetzt aber sei eben[223] einer zur Tür hereingetreten, von dem ich nicht wisse, was er wolle.

Das reime sich gut, meinte er, denn er sei eben gekommen, mir das zu sagen. Kennen würde ich ihn doch? Er sei ja der Ameisrodel.

»Das ist bewiesen,« sagte ich, denn mein Stübchen war bereits voll von jenem stechenden Geruche, wie er aus den Ameishaufen aufsteigt, wenn man in ihnen wühlt. Der Ameisrodel war einer jener Waldschmarotzer, vor welchem kein Harzkorn am Baum, kein Würzlein im Grund und kein Tierchen im Baue sicher geht. Er faßte den ganzen Ameishaufen mit allem, was drin lebte und webte, in einen Sack, trug ihn davon, stäubte und siebte ihn dann, so daß er zu den Ameiseiern kam, die er gut zu verwerten wußte. Die zahllosen, ihrer bluteigenen Sach' beraubten Ameisen, soweit sie bei der Prozedur nicht zugrunde gegangen waren, konnten dann allemal wieder davonlaufen und trachten, daß der Rodel im nächsten Jahre wieder zu seiner Ernte käme. Ost ähnelt das Angesicht eines Menschen irgendeiner Tierlarve, ohne daß man sagen könnte, worin diese Ähnlichkeit eigentlich bestehe, von welchem Zuge sie bedingt werde. Mein Rodel sah wie ein Ameismarder aus. Er hatte sehr kleine Augen und eine kleine, aber scharf hervorspringende Nase, während Stirne und Kinnbacken höchst bescheiden in den Hintergrund traten. Der Bart war nur durch wenige Härchen vertreten, weil, wie er selbst sagte, die Ameisensäure dieses Gewächs schon im Keime zerstöre. Auch seine Glatze schrieb er diesen Einflüssen zu. Von einem betagten Alter konnte noch keine Rede sein, was sich alsbald erweisen wird.[224]

»Ich treib' nicht lang' um,« sagte nun der Rodel, »der Herr Student wird mich gleich verstehen, was ich will. Ich hab' halt eine Liebste, die mich nicht mag.«

Da habe ich ihn sprachlos angestarrt.

»Sie beißt nicht an, und da möchte ich so ein Sympathiemittel haben. Wenn mir der Herr Student was wollt' raten, daß ich sie herumkrieg', zu sparsam tät' ich ihm nicht sein.«

»Wenn sie dich nicht mag, was gibt's denn da zu raten!« lachte ich auf. »Stehen lassen. Eine suchen, die dich mag.«

»Aber mir stünd' sie an. Und hab' gemeint, weil der Studentenhansel auch allerlei Mittel weiß, daß einem das Dirndel nachlauft wie ein Pummerl –«

»Geh' zum Studentenhansel.«

»Was glaubst denn – der liegt ja auf dem Tod!« sagte der Rodel. »Hast nichts gehört, daß einer kommen ist und ihm die Knochen zerschlagen hat, daß – will er sich rühren – alles in ihm klappert, wie ein Sack voll Scherben!«

»Und wer hat ihn so geschlagen?«

»Wer? Wenn du's nicht weißt – mich darfst nicht fragen. Ein fremder, baumstarker Gesell' ist's gewesen. Kein Mensch hat ihn früher gesehen und seither auch nicht. Der Studentenhansel liegt in der Filnbaum-Köhlerhütten; man geht nicht gern zu ihm, weil man wohl weiß, heut' oder morgen wird er kommen, der andere – derselbe – der Schwarze, und da steht man nicht gern daneben, er kunnt sich vergreifen. Bin desweg lieber zu dir gangen, du bist schon so gut und weist mir was, daß mir die Stasel nicht ausmag. Was sagst denn dazu,[225] wenn ich ihr drei Haar von mir eingeben tät', so unter Brot oder Sterz, oder was sie halt am liebsten ißt?«

Nochmals riet ich ihm, eine andere zu suchen, da schrie er drein: »Mir steht keine andere an! Die Stasel will ich haben. So gibt's keine mehr. 's Dirndl ist klein, die Nachfrag' ist groß, aber mit heißem Wasser jagt der verflixte Satan, der liebe, die Mannerleut' aus der Hütten. Und nachher, wenn sie lacht, will jeder wieder hinein. Studentenherr, wenn die lacht! Alle zwölf Apostel kunnt sie vom Himmel auf die Erden herablachen, wenn die lacht!«

Und hierauf gab der Rodel eine Beschreibung von der Stasel, bis mählich mein Studentenblut aufgemischt war und ich bemerkte, daß ich in dieser Sache weder was tun noch was raten könne, so lange ich sie nicht selbst gesehen.

»Das hab' ich mir wohl gedacht,« sagte er, »auch der Studentenhansel hat die Dirndln allemal selber sehen müssen, daß seine Sympathiemittel nachher angegriffen haben. Die Stasel ist jetzt in der Heschelalmstuben oben. Gehst mir hinauf?«

»Ich geh' hinaus.«

»Ich zahl' dich gut, Student, wenn du mir was zuweg' bringst. Du wirst dein Lebtag noch viel Geld verdienen, aber ich steh' dir gut dafür, du wirst oft sagen: besser ist mir nichts gelohnt worden, als wie dieselbigen zwei Stunden hinauf zur Heschelalmstuben.«

»Ich verhoff's, Rodel. Wann meinst denn, daß es sein soll?«

»Besser heut' als morgen. Brauchst was von mir?«

»Nur drei Ziffern will ich wissen.«[226]

»Drei Ziffern brauchst?«

»Drei Ziffern: ihr Alter, dein Alter – und die dritte weiß ich.«

»Sie? Sie wird einundzwanzig haben – nicht mehr.«

»Das ist günstig. Und du?«

»Ich? – Ich zähl' elf dazu.«

»Wäre zweiunddreißig. Rodel, du bist älter! Zu meiner Kinderzeit hast du schon so ausgeschaut, wie jetzt.«

»So werde ich auch in dem Alter verblieben sein.«

»Ernsterweis', Ameisenmarder, wie alt?«

»Tu' halt noch acht dazu.«

»Vierzig? – No del, wenn die Ziffer auch nur um eins gefälscht ist, so mißlingt das ganze Spiel!«

»Meinst? Gar so genau müßt's sein?«

»Ganz genau.«

»Aber gelt, ihr sagst es nicht? So mach' in Gottesnamen noch die letzten fünfe drauf. Aber jetzt sind wir oben, ganz oben!«

»Also fünfundvierzig.«

»Gerade in den besten Jahren.«

Soweit die Auseinandersetzungen. – Und die dritte Ziffer?

Als ich durch den jungen Kirwald gegen den Filnbaumschlag und gegen die Heschelalmstuben hinging, bedachte ich meine vierundzwanzig Jahre. Vierundzwanzig und einundzwanzig gibt auch fünfundvierzig – da brauchen wir den Rodel nicht dabei. – Daraus erwäge, lieber Leser, wie schlecht der Mensch wirklich sein kann, wenn er teufeln will.

Als ich durch den unteren Filnbaumwald ging, stieß[227] ich auf etliche Männer, die im Heidekraut kauerten und einem Gewimmer zuhörten, das aus der nahen Köhlerhütte heraufdrang.

»Pst!« zischte mir einer zu, »da drinnen verreckt was!«

Und ein anderer: »Wenn's der Herr Student sehen will, wie den andern Herrn Studenten der Teufel holt, so braucht er nur ein klein Eichtl dahier zu warten.«

»Leistet dem Hansel jemand Beistand?« fragte ich.

»Braucht keinen. Sein Beistand wird bald da sein,« spottete einer.

»Ich will euch was sagen, Leute, ihr seid elendlich schlecht.«

»So? Sonst nichts?«

»Wollt ihr noch was, so sage ich euch, daß ihr auch erdärmlich dumm sein müßt, wenn ihr nicht merkt, wie ihr selber vom Teufel besessen seid.«

Da stand der Stämmigste unter ihnen langsam auf und murmelte: »Den Studenten da will ich mir jetzt aber doch einmal vergunnen.«

»Geh' nur her!« sagte ich und schlug mit dem linken Daumen ein zackiges »Trudenkreuz« über meine Brust, »rühr' mich nur an!«

»Rühr' ihn nicht an!« warnten ihn die anderen.

Und er rührte mich nichtan. Lange blieb ich aber bei dieser Gruppe nicht stehen, ich stieg zur Hütte hin ab und in derselben fand ich eines der jammervollsten Wesen, die mir je vor Augen gekommen sind. Auf dem Erdboden, der nur spärlich mit Stroh bedeckt war, lag der Studentenhansel. Wie er aussah – ich will es nicht beschreiben. Eins war in mir, das wollte mich von ihm[228] fortdrängen, ein anderes war in mir, das zog mich zu ihm nieder, daß ich mit meinem Tuche sein Haupt trocknete und sagte: »Du armer Mensch, wie kann ich dich laben?«

Als er mich so sah und das hörte, sing er so entsetzlich zu gröhlen an, wie ich seither keinen Schmerz mehr schreien gehört habe. Es war aber nicht der Schmerz allein, der solchergestalt losbrach, denn als er endlich wieder ruhiger geworden war, sagte er die Worte: »Mensch, du gehst ja bald wieder fort; aber du bist bei mir gewesen und ich habe vor meinem Ende noch einmal einen Menschen gesehen, wie schon lange nicht – wie schon lange nicht.«

»Vielleicht hättest du es anders haben können,« sagte ich, »es ist kein Vorwurf jetzt, aber was man von dir gehört, du hast die Leute, die um dich gewesen, entmenscht.«

»Ich habe sie entmenscht,« wiederholte er, »so ist es, ich habe sie entmenscht. – Und jetzt will ich dir was sagen. Dein Gesicht kannst ja wegwenden, nur dein Ohr leihe mir. Du bist, glaube ich, der Waldbauernbub, der jetzt studiert.«

»Jawohl.«

»Willst auch von mir was studieren?«

»Wärest du gesund, ich wollte dich fragen, warum du deinen schlechten Ruf ausgesprengt hast, daß sie dich für einen Zauberer halten.«

»Wäre ich gesund, mein lieber Waldbauernbub, so wollte ich dir das kaum sagen. Aber weil ich sterb', so höre mich an.«

Er überwand seine Qualen und begann zu erzählen:

»Geistlich habe ich werden wollen. Nach der achten[229] Schule in den Vakanzen habe ich was angestellt. Ist ein Mädchen gewesen, die Braut von einem Bergknappen. Sie hat mir gefallen, und wenn sie schon einen Mann will – ich bin auch einer. Sagt sie: sie will nur ihren Bräutigam, der in der Erden sein Brot gräbt. Da sage ich im Übermut – denke aber nichts dabei – schönes Kind, sage ich, du weißt, ich habe die schwarze Schule studiert und wenn ich will, so kommt dein Bräutigam nimmer aus der Erde. Drei Worte spreche ich, und die schlagenden Wetter haben ihn umgebracht. – Ein Zauberer! sagt sie. – Ja, sage ich, und just zu trotz, weil du mich jetzt nicht willst, sollst du den andern auch nicht haben. – Ich sehe es heute noch, wie sie blaß geworden ist. Närrchen, sage ich, du kannst es ja leicht abwenden. Wirst doch deinen Bräutigam retten, wenn du kannst! – Ich sage dir sonst nichts, Waldbauernbub', als: sie hat ihn gerettet. – Sie ist aber nicht bloß dumm, sie ist auch ehrlich gewesen und hat es ihm erzählt. Der Bergknappe geht in meine Anstalt und verklagt mich. Ich werde ausgestoßen. Armer Leute Kind, alle Wege verschlossen – bis auf den in die Wildnis. Und jetzt kommt's mir zu Sinn: Brauche deine schwarze Schule; die hat dir einmal gedient, sie wird dir öfter dienen. So bin ich in die Gaukeleien gekommen; was willst denn? Wenn die ausgelernten Priester vom Glauben leben, so mögen die abgefallenen Priester vom Aberglauben leben. Aber wie plötzlich der Bergknappe da ist, der mich jahrelang gesucht haben soll, und mir meinen Leib zerbricht, denke ich: die Schuld ist bezahlt. – Nur eines wollte ich noch den Leuten sagen, wie sie betrogen worden sind.«[230]

»Das kannst,« entgegnete ich, »da hinter der Hütte sind Holzleute.«

»Was treiben sie denn?«

»Sie warten auf etwas,« sagte ich, »sie wollen sehen, wie der Studentenhansel in die Hölle fährt.«

»Daß sie auch mitfahren!« knirschte der Kranke, »solchen Ungeheuern gebe ich keine Genugtuung.«

»Einer ist aber dabei, der Weihwasser und Amulette bei sich hat, um dich dem Teufel abzujagen.«

»So gehe hinaus,« rief er laut, »und sage ihnen: ich kann nichts über sie und sie können nichts über mich. Sie sollen meiner vergessen. Es ist der große Gott im Himmel, und dem befehle ich meine Seele.«

Da er drängte, so ging ich hinaus, die Männer zu suchen, die waren aber fortgegangen. Als ich wieder in die Hütte zurückkehrte, hatte der letzte Krampf begonnen.

Ich bin an jenem Tage wohl nicht mehr zur Heschelalmstube hinaufgestiegen.

Auf meinem Rückwege begegnete mir der Ameisrodel. »Na,« flüsterte er, »wie steht's? Kann ich schon kommen?«

»Ja, gehe mit mir, Rodel, wir haben was zu begraben. Vielleicht kommen dir dabei andere Gedanken.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 218-231.
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