Was der Jäger Kickel für einen unrechten Schuß getan hat.

[196] Das Herumzigeunern wär' halt deine Sach', gelt, Peterl? Daheim, alleweil daheim ist's nicht lustig. Alleweil aus dem grünglasierten Töpfl Milch trinken und alleweil von der Mutter mit einem nassen Lappen über das Gesicht gewaschen werden und alleweil im weißen Schubbett neben dem Ofen schlafen ist nicht lustig. Man will doch einmal auch sein Mittagsmahl vom Heidelbeerkraut pflücken und aus dem Bache trinken; man will sich doch auch einmal auf dem Erdboden wälzen und im Schlamme umherpatschen; man will doch auch einmal in einer alten Heuhütte schlafen, während draußen in der fremden Schlucht ein fremdes Wasser rauscht und des Morgens, wenn man aufwacht, ganz fremde Bäume in der roten Sonne stehen und fremde Leute auf der Wiese das nasse Gras mähen.

Und ob man das will! Und ob's der Vater verbietet! – »Die Kinder gehören heim! Und nach der Schule wirst du den geraden Weg heimwärts wohl finden!« – Den geraden Weg! Einen solchen gibt's gar nicht im Gebirge – besonders wenn der Zutrum Simmerl in der Schule ist, und wenn der Zutrum Simmerl sagt: Peterl, geh' mit mir, bei mir daheim im Zutrumhaus gibt's allerhand Kurzweil: Einen weißgefleckten[197] Kettenhund, der Junge hat, Kirschbäume, die alle rot und schwarz sind, hinter dem Haus eine Köhlerhütte mit Stroh, auf der man liegen kann, und in der Schlucht der Trabach, aus dem man die Forellen und die Krebse mit der Hand fängt, damit sie nachher die Mutter braten und kochen kann.

Die Zutrumleute waren weitläufige Vettern und Muhmen von uns gewesen, und wenn der junge Vetter Simmerl sagt: Geh' mit! – na, da geht man freilich mit. Es war eine ganze Stunde weit von meinem Elternhause bis dahin, und wenn die Schule, wo wir zusammenkamen aus Alpel und aus dem Trabachgraben, auch in der Mitte lag, so wurde mir auf dem Wege zum Zutrum doch die Welt von Schritt zu Schritt fremder. Und als die Sonne niedersank über den schwarzen Sattel des bewaldeten Gölk und die Ahorne sehr lange Schatten warfen über die frischgemähte Matte hin, da ward mir unheimlich. Das Heu duftete, die Grillen zirpten, die Frösche quakten wie daheim, sonst alles anders, die Berge steiler, der Graben tiefer. Enge ward es mir. Endlich sahen wir hinab auf die grauen Schindeldächer des Gehöftes, aus dessen weißgetünchtem Schornsteine leichter Rauch aufstieg. Und es war schon die Abenddämmerung und zwischen Fichten her kam der mir so wohlbekannte heimliche Geruch eines Kohlenmeilers. Unterwegs hatten wir bei Ameishaufen, Fuchslöchern, Zaunstiegeln, Brünnlein und Tümpeln mancherlei Aufenthalt genommen, aber jetzt beschleunigte sich der Simmerl. Ich aber wollte nicht mit, wollte umkehren. Das erstemal in meinem Leben sollte ich in ein fremdes Haus einkehren – mir gebrach der Mut. Aber der Simmerl packte mich frisch am Arme,[198] und hinab mit mir in den Hof und hinein bei der großen schönen Tür in das Haus. Im Vorhause ein kühler, obstelnder Duft; die Küche gemauert, mit fast weißen Wänden wie im Wirtshaus. Am offenen Herdfeuer wirtschafteten bei Kesseln und Töpfen Weibsleute herum, und zu einer derselben, die ein blasses, gütiges Gesicht hatte, trat der Simmerl hin, gab ihr die Hand und sagte: »Grüß Euch Gott, Mutter!« Das erstemal war's in diesem Hause, daß ich hörte, wie Kinder beim Fortgehen und Ankommen ehrerbietig grüßen, als gingen sie in ein fernes Land oder kehrten von einem solchen zurück. In unserer Gegend daheim liefen wir davon, wie das Kalb vom Stalle, höchstens daß ich des Morgens beim Schulgehen sagte: »Jetzt geh' ich«, und die Mutter antwortete: »Ja, so geh' nur in Gottesnam!« Es war auch etwas, allein so herzlich und feierlich war's doch nicht, wie wenn die Zutrumkinder »Grüß Euch Gott« oder »Behüt Euch Gott!« sagten und den Eltern die Hand gaben. Kurz, mir kam dieser Eintritt in das Zutrumhaus geradezu erhaben vor.

»Und das ist mein Schulkamerad, der Waldbauern-Peterl!« Also stellte mich der Simmerl seiner Mutter vor.

»Schau, das ist brav!« sagte sie, wischte an ihrer blauen Schürze die rechte Hand ab und reichte sie mir. Ich war nicht ganz sicher, ob auch mein Patschel hingehalten werden sollte, zögerte, tat es aber endlich.

»Mutter!« rief der Simmerl, »wir laufen zum Bach hinab.«

»Nicht zu weit, es wird bald zum Nachtmahl sein.

Da waren wir wieder im Freien, und das war ja ganz glatt abgegangen. Zum Bache kamen wir an demselben[199] Abende nicht mehr, denn es war der weißfleckige Kettenhund mit den Jungen! Die letzteren waren in einem bunten Häuflein zusammen, in dem es sich ununterbrochen regte und kreisete, bis sich manchmal ein Tierlein, kaum größer wie eine Ratte, loslöste, und täppisch hinkugelte. An diesen Dingern war schier alles Kopf, und am Kopfe wieder schier alles Schnauze und die Schnauze wuzelte sich den Zitzen zu, welche die alte Weißgefleckte zur Verfügung stellte. Das alles, und dann das besorgliche Knurren der Alten und das ängstliche Winseln der Jungen und der mürfelnde Geruch, welcher aus dem Hundelager herkam, betäubte mich beinahe vor lauter Wonne.

»Beißt sie?« fragte ich den Simmerl, indem ich die Hündin streicheln wollte.

»Jetzt nicht, darum haben wir ihr auch die Kette abgenommen. Mein Vater sagt: Jetzt hat sie keinen Feind, jetzt ist sie ganz Mutter. Aber wie er ein Junges hat aufheben wollen, hat sie ihn doch in die Finger geschnappt.«

»Habt ihr eine Kirche?« fragte ich, denn es läutete ein Glöcklein.

Da lachte der Simmerl, denn es war die Hausglocke und sie rief zum Nachtmahl.

In der Stube, welche schon sehr dämmerig war, standen zwei große viereckige Tische. Als das Tischgebet gemeinsam und laut gebetet war und die sehr großen Suppenschüsseln ihre warmen duftigen Wolken aufsteigen ließen, setzten sich an den einen Tisch etwa zwölf Leute: Burschen, Männer, junge Dirnen und betagte Weibsbilder. Am anderen Tische, schier in der Ecke, nahm der Hausvater[200] Platz, ein behäbiger Mann mit glattrasiertem Gesichte und einem Doppelkinn; dann kamen seine Kinder, von der erwachsenen fröhlichen Lennerl bis herab zum Simmerl und noch tiefer herab zu zwei schier ganz kleinen Kindlein, die von der Magd mit einem Löffel Milchsuppe in den Mund gegossen bekamen. Neben dem Simmerl durfte ich sitzen, und weil der Weg in die gemeinsame Schüssel etwas weit war, so hatten wir zwei zusammen eine Extraschüssel bekommen, aus welcher wir die Brocken löffelten. Es war Weißbrot, wie es bei mir daheim nicht immer angetroffen werden konnte. Die Hausmutter ging zu und ab, um die Tische zu versehen, und immer auf kurze Zeit setzte sie sich zu uns, um etliche Bissen, gleichsam im Vorübergehen, zu erhaschen. Ja ja, das ging meiner Mutter daheim auch so. Wer kocht, der braucht nichts zu essen, sagen aberwitzige Leute.

Immer wieder mußte ich an Daheim denken, wo sie ja jetzt auf mich warten werden mit dem Abendessen und mutmaßen, warum er denn nicht heimkommt, der Bub, und wo er denn sein mag, der Bub? Bis es vielleicht einem oder dem anderen einfällt: Der ist heilig mit seinem Schulkameraden zum Zutrum gegangen.

Nach der Milchsuppe kam eine Schüssel voll Salat in Essig. Das war mir schon wieder einmal was Neues; bei mir daheim gab's nur Salat in Buttermilch, welche ja auch naß und säuerlich ist, folglich den kostspieligen Essig ganz leicht ersetzen kann. Wir daheim aßen das Grünzeug mit dem Löffel, hier tat man's mit der Gabel. Ich stach mich mit solchem Werkzeuge ein paarmal in den Mund, wollte aber nicht mucksen, während daheim bei derlei Ereignis ein Zetergeschrei gemacht worden wäre.[201]

Nach dem Salate kam erst die allergrößte Schüssel; diese enthielt gekochte Kirschen in der eigenen Suppe. Da durfte ich wohl wieder den Löffel nehmen, wäre er nur recht groß gewesen! Denn diese schwarze Kirschensuppe war sehr köstlich! Aber Umstände machten die Leute. Die Kerne quetschten sie im Munde heraus und gaben sie wieder zurück auf einen Teller oder in die hohle Faust. Wir daheim aßen die Kerne mitsamt den Kirschen.

Was bei Tische etwa gesprochen worden, das weiß ich nicht, ist mir gewiß auch ganz gleichgültig gewesen, weil das Gespräch nichts zu essen ist. Daß sie beim »Leutetisch« drüben lauter und fröhlicher waren, als wir herüben beim Hausvatertisch, kam davon, weil unter ihnen ein alter Mensch war, der in ernsthaftester Weise die wunderlichsten Reden tat, worüber die anderen lachten, bis aber eine Magd sagte:

»Na, den Kickel sollt man nicht so auslachen. Das ist nicht recht, den Kickel so auslachen!«

»Wer lacht ihn denn aus?« lachte ein Knecht, »wir lachen halt, weil's uns gefallt.«

Das muß ich doch herübergehört haben, denn sonst könnte ich's nicht wissen. Nun weiß ich aber auch, daß der alte Kickel plötzlich von seinem Sitze emporschnellte und mit weitschwingendem Arme, an welchem das Hemd flatterte, an die gegenüberstehende Stubentür einen Kirschkern warf, der dann wieder mitten in die Stube zurücksprang. Dabei sagte er »Puff!« und lachte kreischend auf. Und das tat er mehrmals, wozu die anderen sagten: Es sei schon recht, er solle in die Tür nur ein Loch werfen, damit man in die Küche hinausgucken könne,[202] ob am Herde heute auch noch Sterz gekocht werde. Jetzt hob der Kickel seinen anderen Arm und »Puff« schleuderte er die handvoll Kerne auf einmal an die Tür, daß es knatterte wie bei einem Hagelwetter. Dabei verzerrte der Alte sein Gesicht und stieß einen Fluch aus. Nun stand an unserem Tische der Hausvater auf, ging zum tobenden Alten und sagte begütigend: »Na, na, Kickel, nur nicht so arg. In der Stube so viele Kirschbäume säen! Es wachst ja doch keiner. Sei gescheit, Kickel!«

Bei mir daheim würde der Vater anders geredet haben, wenn so ein Übermut die Stube mit Kirschkernen vollgeworfen hätte.

Nun stellte sich der alte Knecht vor den Hausvater, faltete die Hände und rief mit einer vor Angst stöhnenden Stimme: »Zutrum, Zutrum! Ich weiß mir nicht zu helfen. Er meldet sich halt schon wieder!«

»Michel! Natzel!« sagte der Hausvater zu zwei anderen Knechten, »bringt den Kickel in sein Bett. Es ist für ihn Zeit zum Schlafengehen.«

Dann haben sie den Kickel hinausgeführt.

Jetzt, was soll das bedeuten?

»Und es ist auch für die Kinder Zeit zum Schlafengehen,« setzte der Hausvater bei. »Der Waldbauernbub soll im Oberstübel schlafen.«

Die Enttäuschung war arg. Da hatte ich gedacht, der Simmerl und ich würden nebeneinander auf einem Stadt im Heu liegen dürfen, eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich mitgegangen war in dieses fremde Haus. Nach dem Maße des Schmerzes darüber, daß es mit[203] dem Heu nichts war, und daß ich ganz allein sollte schlafen müssen in einer finsteren Kammer, werden mir wohl die Tränen in die Augen getreten sein. Bemerkt muß die Hausmutter so etwas haben, weil sie sagte: »Er kann ja auch im Stübel beim Simmerl schlafen, ein Bett steht leer.«

»Auch recht. Aber nicht zu lang schwatzen, Buben!« Also der Hausvater. Darauf ging der Simmerl zu seinen Eltern, küßte ihnen die Hand und sagte: »Gute Nacht!« – Diese Art gefiel mir über die Maßen, und ich beschloß sie auch bei mir daheim einzuführen. Dazu gekommen bin ich zwar nicht; ich hatte mich bei meinen Eltern stets geschämt, ganz schlimm zu sein, aber ich hatte mich immer auch geschämt, ganz brav zu sein; besonders gewisse Förmlichkeiten, so gut sie mir auch gefielen, widerstrebten mir, wenn ich sie selbst ausführen sollte.

Aus dem Befehle, »nicht zu lange zu schwatzen«, schloß ich, daß wir überhaupt schwatzen durften, und als wir jeder in seinem Bettchen lagen, das Licht ausgelöscht hatten, so daß nichts mehr zu sehen war, als die zwei blassen viereckigen Fenster, fragte ich den Simmerl: »Ja, was hat er denn gehabt, dieser Mensch, der Kickel?«

»Kirschkern,« antwortete der Junge.

»Warum er so wild worden ist?«

»Ja, der Kickel!« sagte mein Kamerad. »Weißt du's nicht, daß er zehn Jahre eingesperrt ist gewesen? Im vorigen Jahr haben sie ihn ausgelassen.«

»Warum?«

»Weil der Kaiser geheiratet hat.«

»Deswegen haben sie ihn eingesperrt?«

»Nein, deswegen haben sie ihn ausgelassen.«[204]

»Aber Jesses, warum sie ihn eingesperrt haben, möchte ich wissen!« Also mein Schrei.

»Wenn du so schreist, wird der Vater kommen mit dem Karabatschel. – Seinen Buben hat er umgebracht.«

Jetzt wußte ich nicht, hatte der Kickel seinen Buben umgebracht, oder der Zutrum. Wagte aber nicht mehr zu fragen, und wie ich später doch noch einmal versuchte, gab der Simmerl keine Antwort mehr, er war eingeschlafen.

Am nächsten Morgen waren wir durch eine helle Stimme: »Schulbuben! Es ist Zeit!« geweckt worden. Vor dem herzförmigen Fenstergitter fächelte ein Zweig des Holunderstrauches, dazwischen schien hell und grell die Sonne herein auf unsere weißen Betten, und draußen plätscherte der Hausbrunnen. Ich hätte mich mit dem Simmerl gleichzeitig anziehen sollen, schämte mich aber, meine Beine aus der Decke hervorzuziehen. Mit einem langen Arm zog ich von der Bank die Hofe ins Bett und streifte sie mit anerkennenswerter Geschicklichkeit unter der Decke an die Glieder. Dann hinaus zum Brunnen.

Nach dem Waschen das Morgengebet. Der Simmerl wollte in Rücksicht auf seinen Gast darüber hinweggehen, indem er vorgab, mich noch schnell in den Stall zum Schimmel führen zu müssen, allein seine Mutter sagte: »Schimmel wird er sein Lebtag noch genug sehen. Den heiligen Geist braucht ihr in der Schule. Das Morgengebet beten! Kniet nur gleich nieder allzwei!« Vor dem Tische knieten wir uns auf die Bank, beteten jeder für sich ein paar Vaterunser, wobei mir einfiel: Bei uns daheim ist's nicht so streng. – Nun sollte ich auch sehen, was das Beten ausmacht. Kaum hatten[205] wir unsere Ellbogen von der Tischplatte gehoben, ward diese mit einem weißen Tuche gedeckt, mit weißen Schalen bestellt, mit Weißbrot belegt und in die Schalen ward aus dem Rohr einer glänzenden Zinnkanne eine braune Suppe gegossen. Bei uns daheim war das just umgekehrt, alles andere braun, die Suppe aber weiß. Hier gab's zum Frühstück keine Milchsuppe, sondern Kaffee. Ich hatte schon von ihm gehört; die herrischen Leute essen Kaffee, aber ein alter Kohlenbrenner hatte gesagt: »Meine lieben Leut', ich bin sicherlich schwarz! Schaut mich an, ob ich schwarz bin! Aber so schwarz und so schlecht bin ich nicht, wie die schwarze Suppe aus dem Mohrenland. Die hat der Teufel aufgebracht, und der Bauers) mensch wird hin, wenn er Kaffee ißt!« – Ich weiß nicht, ob der Kohlenbrenner es wußte, wie weise er gesprochen hatte; ich weiß auch nicht, ob man ihm geglaubt hat; ich weiß nur, daß alles leckerig war nach Kaffee und daß ich es nun schon nicht erwarten konnte, mit dem Löffel in die schwarze Suppe zu fahren. – Uuh! – das ist nicht gut, das ist gallbitter! Den hat freilich der Teuxel aufgebracht!

»Du hast ja keinen Zucker hineingetan!« lachte der Simmerl und warf mir aus einer Tasse etliche Brocken in meine Schale. – Nun war's ein bißchen anders. Der Simmerl sah mich an und schmunzelte.

Nach dem Frühstück den Zutrumleuten »Behüt Gott« sagen und fort in die Schule. Ich war ganz mutig geworden und hielt zu Dank und Abschied meine rechte Hand hin wie ein erwachsener ordentlicher Mensch, und da fiel es mir ein: Wie leicht doch das Bravsein geht, wenn man nicht daheim ist![206] Als wir die Bergwiese hinangingen, war dort der alte Kickel zu sehen, der mit einer Holzgabel Heuhaufen auseinander streute, damit es in der neuen Sonne noch besser trocknen konnte. Heute sah ich erst, daß er sehr kümmerlich war. Mitten am Leibe abgebogen, fast geknickt, mit jedem Schritte hinkend, schwankend. Die Kniehose war gewiß auch einmal von Leder gewesen, jetzt hatte sie gar viele Flicken aus anderem Stoff, mit groben, unhilflichen Nähten angeheftet. Die Füße und die sehr braunen und hageren Unterschenkel waren nackt. Brust und Arme wurden von einem braunen Rupfenhemde bedeckt. der alte Filzhut saß wie ein umgestülpter löcheriger Kessel auf dem kleinen grauen Kopfe, doch war er mit einer hoch in die Luft stehenden Geierfeder geschmückt. Die Knie, die Ellbogen, die Finger – das war alles so schiefeckig, daß man glaubte, sein Lebtag bringe der Alte nichts mehr ins Gerade, und er war wie ein verknorpelter Zirinstrauch auf der hohen Alm, wo der Sturmwind alles verkrüppelt. Als er uns gesehen hatte, rückte er manierlich den Hut, dann arbeitete er weiter.

»Du,« fragte ich nun meinen Schulkameraden. »Was ist's denn mit dem Kickel?«

»Wenn wir weiter oben sind, erzähl' ich dir's,« antwortete der Simmerl.

Und als wir in den Wald hineinkamen, wo der Boden flacher ward, legte er seinen Arm in den meinen und sagte:

»Er hat einen Sohn gehabt, und den hat er tot) geschossen.«

»Zufleiß?« fragte ich sehr erschrocken.

»Zufleiß, ganz zufleiß!«[207]

»Was hat er denn aber angestellt, der Sohn?«

»Gar nichts. Ganz ein braver Mensch ist er gewesen, sagt mein Vater.«

»Gott ja! Und hat er ihn denn so schreckbar gehaßt, den Sohn?«

»So viel lieb soll er ihn gehabt haben, viel zu viel lieb.«

»Und deswegen niedergeschossen?«

»Ja, das weiß ich selber nicht, wie es gewesen ist,« gab der Simmel zu.

»So ist der Kickel halt wahnsinnig,« hierauf ich.

»Wahnsinnig nicht. Aber ein bissel verrückt wohl, ein bissel verrückt sein Lebtag und die Leute sagen, man kann sich's nicht denken, weil er sonst so gescheit ist gewesen und ein tüchtiger Jäger im Kaiserlichen drüben, und auch gut gelehrt. Aber die vielen Bücher, die er gelesen hat, sollen ihn zum Narren gemacht haben, sagen die Leute.« – »Was laufst denn so, Peter?«

»Wenn er uns nachkommt!«

»O, der Kickel tut uns nichts. Die Leute sagen, er hätte auch seinen Sohn nicht umgebracht, wenn er ihn nicht so gern gehabt hätt'.«

»Du, Simmerl, wenn er uns auch gern hat!«

»So viel nicht, wie seinen Sohn.«

»Du, Simmerl, das verstehe ich nicht.«

»Ich will den Vater einmal fragen, wie es lauter gewesen ist«.

Und nichts weiter. Am selbigen Tage war ich in der Schule nicht viel nutze. Wenn das so ist! Mein Vater soll mich ja auch gern haben. Er selber hat mir's[208] zwar nie gesagt, aber die Mutter hat mir's gesagt. Wenn es so ist, da getraut man sich gar nicht mehr zu Leuten, die einen gerne haben. »Und was hat denn der Peterl,« fragte der Schulmeister, »daß er heute so zerstreut ist?«

Am Nachmittage war ich endlich wieder bei meinem Elternhause. Hinter den Fichten stand ich eine Weile fest in den Sandboden gebohrt – und was wird jetzt werden? – M ein Vater kam mit einem klappernden Schubkarren heran.

»Geh' hinein essen,« rief er mir zu, »nachher komm hinaus in den Wald, wir müssen Brennholz klauben.«

»Hast in der vorigen Nacht beim Zutrum geschlafen?« fragte meine Mutter, als sie mir das für mich aufbewahrte Mittagsbrot vorsetzte.

»Mutter, der Simmerl hat mich nicht auslassen wollen, bis ich mit ihm gegangen bin.«

»Ist ja recht, Kind. Die Zutrumbäuerin hat sich letzlich schon bei deinem Vater beklagt, daß du dich denn gar nicht anmelden wolltest bei deinen Vettern und Muhmen. Meine Mutter und der Zutrumbäuerin ihre Mutter sind Schwestern gewesen.«

Die Gefahr war gänzlich vorüber. Draußen im Walde fragte ich meinen Vater, ob er des Zutrum alten Knecht Kickel kenne, und was es denn sei mit ihm?

»Jetzt ist keine Zeit zum Schwatzen, jetzt heißt's Holzklauben,« das war seine Antwort.

Etliche Wochen später war ich mit meinem Vater auf der Ochsenhalde. Es war schon Feierabend, die Ochsen, welche tagsüber an den Pflug gespannt gewesen, bohrten noch ihre Schnauzen in das Futter und grasten emsig. Wir standen daneben und warteten, bis sie satt[209] waren. – Jetzt wäre doch eine Zeit zum Schwatzen, fiel es mir ein, und ich fragte wieder nach dem Kickel.

»Kind, laß den Kickel gehen,« entgegnete mein Vater, »dir tut er nichts und uns behüt unser Herrgott vor aller Verirrung. – Siehst du, die Schmelchen (Rispengras) wollen sie nicht fressen, der Hunger wird nicht mehr gar groß sein.«

Bald darauf führten wir die Ochsen in den Hof. Jetzt war nichts weiter, und es vergingen viele Jahre. Wenn ich in dieser Zeit gestorben wär', so hättet ihr vom Kickel kaum je etwas erfahren.

Einmal zur Sommerzeit, da ich als Student das weltferne Alpel wieder besuchen wollte, holte ich im Walde einen Bauernburschen ein. Ein junger, hübscher, aber ernsthafter Mensch im Sonntagsgewand, obschon Werktag war. Das fiel mir auf. Er hatte eine stramme Haltung, setzte beim Gehen die Beine leicht und gleichmäßig aus, so daß ich dachte: Der ist Soldat gewesen oder noch einer. Auch seine rötlichblonden Haare waren derart kurz geschnitten und hinten rasiert, so daß der runde frischgefärbte Nacken ein paar Zoll glatt war bis zum Hemdkragen hin ab. Das längliche Gesicht mit der etwas dünn geratenen Nase, dem salben ganz leichten Schnurrbart und den klugen Augen ließen vermuten, daß es nicht einer der tölpelhaften und einfältigen war. Damals hatte ich auf solchen Straßen noch ebenso gern Weggenossen, als ich heute allein gehe. Also versuchte ich es mit ihm. Meine Frage, wohin er gehe? Er gehe heim auf seinen Holzschlag im Fischbacherwald. Wo er gewesen? In Krieglach, auf dem Friedhof. Was so ein lebfrischer Bursche auf dem Friedhof mache?[210] »Nu, wie's halt schon manchmal ist,« antwortete er. »Dem alten Kickel hat's gegolten.«

Dem alten Kickel! Den Namen hatte ich schon nennen gehört. Ja so, das war doch der alte Knecht beim Zutrum gewesen, welcher –

»Wir wollen miteinander gehen, daß es kurzweiliger ist. Ich bin der Waldbauern Peter.« Das mar meine Einleitung.

»Kenn Sie eh,« war seine Antwort. »Hab' Sie auch in Graz oft begegnet, wie ich bei den Soldaten war, Sie haben mich aber nicht erkannt.«

»Und warum hast du dich nicht zu erkennen gegeben, wenn du einer von daheim bist?«

»Ich habe Sie wohl einmal wollen anreden, aber dann gedacht, ein gemeiner Soldat, wer weiß, ob's ihm recht wäre.«

»Natürlich! Du ein gemeiner Soldat, ich gar nichts.«

»Ah, das nicht,« meinte er, »Sie sind schon wer. Ich weiß es wohl.«

»Also den Kickel habt ihr heute begraben. Und wo sind denn die anderen.«

»Die paar Leute sind schon voraus. Ihrer viele sind nicht mitgegangen. Er war ein armer Einleger.«

»Da bist gewiß ein Träger gewesen?«

»Nein,« sagte er, »ich bin nur so hinten nachgelaufen. Nicht einmal gebetet ist worden, weil sie gesagt haben, er wär eh' ein Heide gewesen. Ich habe mir gedacht, schlechter wie die meisten Leute war er auch nicht. Daß er halt Unglück hat gehabt. Es wird ihm wohl so aufgesetzt gewesen sein. In Gottesnamen, jetzt hat er Ruh.«[211]

»Was für ein Unglück soll er denn gehabt haben?« war meine Frage; endlich glaubte ich nahe daran zu sein, die alte, nun wieder erwachte Neugierde zu befriedigen.

»Sie werden eh' gehört haben von der Geschicht,« sagte der Weggenosse.

»Ja, läuten gehört, aber nie gewußt von woher, weißt du was Genaues?«

»Wissen tu' ich's schon,« meinte er.

Also hatte ich ihn so weit gebracht, daß er anfing, mir alles zu erzählen. Es sind seither wieder viele Jahre her, allein solche Sachen vergißt man nicht, und ich will die Geschichte vom Kickel jetzt aussagen.

Der Isidor Kickel war der einzige Sohn eines Gutsverwalters auf dem Fürst Schwarzenbergischen Schlosse zu Murau gewesen. Er sollte studieren, wollte auch, sprang aber aus im siebenten Jahre, als er den Jahrgang hätte wiederholen sollen. Hernach versuchte er es mit einer Landwirtschaftsschule, lernte Waldkultur und wollte Förster werden. Brachte es aber nur bis zu einem Forstgehilfen oder Jäger, als welcher er angestellt wurde in den kaiserlichen Waldungen bei Neuberg. Er hätte vielleicht doch Gelehrter werden sollen, denn es war so etwas Grüblerisches in ihm, und er las viel in Büchern zu seiner freien Zeit. Viel zu viel in Büchern. Auch führte er manchmal solche Reden und hielt sich von der Kirche fern, daß die Leute sagten, der Jägerkickel wäre vom Glauben abgefallen. Heute geschieht das oft, setzte mein Wegkamerad bei. Dazumal ist es was Neues gewesen. Man weiß das nicht, wie er's inwendig mit sich gehalten[212] hat; ganz in Ordnung, sagen die Leute, wird's wohl nicht gewesen sein. Aber sonst kein schlechter Mensch. Einmal, wie er doch bei einem Feste in der Kirche ist, nimmt er Geld aus dem Sack und will's dem Klingelbeutelmann geben, aber der geht an ihm vorbei, gleichsam: Du Unchrist, dein Geld ist mir zu schlecht. Darauf hat der Kickel die Münze einem armen alten Weibel geschenkt, dem war sie nicht zu schlecht, und die Leute haben brav gelacht. Einmal hat sich in die Kirche hinein eine Schwalbe verflogen und nicht mehr herausgefunden, weil die Fenster ein Drahtgitter haben und die Tür ganz hinten ist. Und abfangen hat man sie auch nicht können. Da geht der Kickel jeden Tag in die Kirche, und der Meßner hat gemeint, er bekehrt sich. Der Kickel hat aber nur Vogelfutter hineingetragen, daß die Schwalbe nicht verhungert ist. Und mit der Bekehrung war's halt wieder nichts. Die Leute haben ihn trotzdem gern gehabt und kein Mensch hat ihm was Schlechtes können nachsagen. – Dann hat er eine Lehrertochter aus der Veitsch geheiratet, sieben Kinder bekommen, wovon er in früher Zeit sechs durch den Tod verlor, drei auf einmal und sein Weib dazu bei einer Seuche. Nur ein einziges Kind war ihm geblieben, ein Knabe, Oswald geheißen. Man kann oft erfahren, daß Leute, die an ein jenseitiges Leben nicht glauben können, in diesem um so lebensdurstiger und liebesfreudiger sind. Beim Kickel war es fast auch so. Seine Liebe zum einzigen Kinde ward zur schweren Leidenschaft, und alles, alles, was in seiner Macht stand, bot er auf, um dem jungen Oswald ein gutes Leben zu bauen. Er ließ ihn unterrichten, er wollte ihn, als der Junge zwölf Jahre alt geworden war,[213] nach Wien schicken in eine Schule, aber Oswald blieb lieber daheim, und der Jäger brachte es nicht übers Herz, den Knaben fortzuzwingen. Wenige Jahre später trieb er für ihn eine Schreiberstelle im kaiserlichen Forstamte zu Neuberg auf, und noch ein paar Jahre später gab es Hochzeit. Ein Bürgerskind aus Mürzzuschlag war Oswalds Erwählte. Oswald wurde Holzmeister in den Hochschlägen hinter Mürzsteg und bewohnte mit seinem Weib ein Berghaus an der Hohen Veitsch. Nach kaum einem Jahre war natürlich der »kleine Bub« da, und jetzt konnte Oswald zu seinem Vater sagen: »Ich kann mir's nicht besser wünschen, meine Sorge ist, daß es nicht schlechter wird!«

Von ihm hat's kein Mensch gehört, wie er's mit der Religion gehalten. Sein Weib hat mir – fügte mein Bursche bei – später oft erzählt, wie er sie um den Hals genommen hätte und gesagt: Gott sei Lob und Dank, daß ich dich hab'! So muß er doch was geglaubt haben. Und sein Vater, der Kickel, ist halt im Glück geschwommen darüber, daß es seinem Oswald so gut geht.

Der Kickeljäger hat in einem alten abgestifteten Bauernhause gewohnt, in der einzigen Stube, die noch bewohnbar war, und er hat zur selben Zeit an einer Fußwunde gelitten, die er sich durch einen Sprung vom Felsen zugezogen, und hat monatelang nicht ins Revier gehen können. Wenn Oswald an den Sonntagen vom Tale nach seinem Berghause hinaufstieg, führte der Weg ihn da vorbei, und er sprach bei seinem Vater zu, um ihn zu fragen, wie es mit dem kranken Bein gehe und um ihm eines und das andere zu bringen und mit ihm von seinem Weibe und von seinem lieben Knaben zu[214] plaudern. Auch diesen Knaben brachte er manchmal mit, und da machte der Kickeljäger seine Kasten und Laden auf und lud Sohn und Enkel ein, alles was ihnen gefiele, mit sich zu nehmen. »Nehmt nur, nehmt,« soll er stets gesagt haben. »Es ist ja eh' nichts. Das bissel Freud auf der Welt, ich hab' sie genossen, sonst ist ja eh nichts.«

Dann ist jener Sonntag gekommen. Im August war's, am Morgen schon so heiß, daß der junge Holzmeister Oswald auf dem Weg in die Kirche bei seinem Vater zusprach um einen Trunk Wasser. »Wenn ich nachmittags zurückkomme,« soll er zum Vater gesagt haben, »zahl' ich dir den Brunnen mit Johannessegen ab.« Damit hatte er gemeint, er wolle Wein mitbringen. Den solle er nur dem Weibel und dem Bübel hinaustragen, hatte der Alte geantwortet. Aber denen fehle ohnehin nichts; das Weibel singe schon seit aller Morgenfrüh wie eine Lerche, und der kleine Anderl habe mitten im Schlaf ausgelacht, als er ihm beim Fortgehen den Kuß gegeben.

»Schwerenöter, du!« hatte der Kickeljäger noch gesagt und seinem Sohn auf die Achsel geklopft – und dann »Auf Wiedersehen am Nachmittag!«

Um die Mitternachtszeit stieg über dem Hochschwabgebirge ein Gewitter auf; es regnete nicht viel, aber ein paarmal tüchtig gekracht soll's haben. Eine Stunde später kam vom Berge herab ein Holzknecht, der rief zum offenen Fenster herein: »Kickeljäger, wenn du den Rauch sehen willst, so schau hinauf!«

»Was hast denn? Was schreist denn so?« fragte der Kickel, der ganz allein zu Hause gewesen ist.[215]

»Das Berghaus brennt. Der Blitz hat eingeschlagen.«

»Was sagst, Holzknecht?«

»Der Holzmeister, wenn er heimkommt, findet nichts mehr. 's ist alles dahin.«

»Das Weib? Das Kind?«

»'s ist alles dahin. Wenn euer Sohn heimgeht, so bereitet ihn vor. Ich muß ins Niederalpel.« Das hat der Holzknecht gesagt – und davon ist er.

Ich kann es nicht wiedergeben, wie mein Weggenosse es erzählt hat, gerade wie ein Messer ins Herz ist es mir gegangen. Der Bursche erzählte weiter.

Was der Kickeljäger sich jetzt auf diese Botschaft gedacht hat, das weiß man nicht. Zuerst hat er hinauswollen gegen die Höhe, wo der schwarze Rauch das ganze Firmament finster macht. Hat aber nicht weiter können, des kranken Fußes wegen. »Sein Weib und sein Kind! – Sein Weib und sein Kind! – Sein Weib und sein Kind!« Allerweil nur das. »Abwinken!« Der Kickel ist in die Stube hinein und hat zum Fenster herausgelauert: Jetzt kommt er und jetzt kommt er! Und hat das Schußgewehr von der Wand genommen und ist mitten in der Stube gestanden und schaut durchs Fenster hin auf den Weg hinaus. Endlich ist er dahergegangen, der Oswald, aus dem grünen Wald hervor und hat nicht aufgeschaut und weiß noch von nichts, und ist so frisch und munter dahergegangen und dem Haus zu, wo der Vater wohnt. Und da hat der Kickeljäger durchs Fenster hinausgezielt und hat ihn niedergeschossen.

»Wahnsinnig ist er geworden!«

»Man kann das auch nicht sagen,« entgegnete der Bursche. »Wie seine alte Wirtschafterin heimkommt, hat[216] er sie gleich um einen Wagen geschickt, ist zum Gericht gefahren, und beim Verhör hat er ausgesagt: Er hätt's nicht übers Herz bringen mögen, daß sein Oswald das Unglück erfährt und erlebt und er hätte sich gedacht: Weißt von nichts, brauchst von nichts zu wissen. Das dumme Nachleiden viele Jahr und Tag ist nicht vonnöten. Ein jäher Tod, und du bist ihnen nach, und du bist von allem ledig, und ich, dein Vater, kann dir nichts mehr Gutes tun als das. – Getroffen, sagte er, habe ich nicht schlecht, und jetzt, meine lieben Herren, macht, daß auch ich fertig werde. – Ich glaube fünfzehn Jahre haben sie ihm gegeben, aber wie im Jahre vierundfünfzig die Kaiserhochzeit war, haben sie ihm den Rest nachgesehen.«

Nachdenklich ging ich den Waldweg entlang und sagte: »Es ist fast nicht zu glauben.«

»Das beste war nur,« fuhr mein Begleiter fort, »daß sie ihn zur Stunde abgeholt und nach Loeben geführt haben. Das Allerschrecklichste hätte er sonst noch an diesem Tage erlebt.«

»Jener Holzknecht, was er gesagt – am Ende war's gar nicht wahr?« mit stockendem Atem fragte ich es.

»Ins Berghaus hat freilich der Blitz eingeschlagen, ist auch niedergebrannt, aber der Familie des Oswald ist nichts geschehen.«

Wir sind eine Weile nebeneinander hingegangen, keiner hat ein Wort gesagt.

Endlich blieb ich stehen und fragte: »Wann hat er's erfahren?«

»Als er nach neuneinhalb Jahren wieder frei geworden ist und heimkommt und alleweil so in die Luft hinauslacht, da habe ich ihm's selber gesagt.«[217]

»Wie hast du ihm's gesagt?«

»Kickel Vater, euere Schwiegertochter und euer Enkel, der Anderl, sie leben noch, und es geht ihnen gut.«

»Und was hat er darauf gesagt?«

»So? hat er gesagt, die leben noch? Und mir hat immer geträumt, sie wären alle tot! – Gott, was die jungen Leute für Geschichten machen! Und er hat wieder gelacht.«

»Also irre!«

»Es wird so gewesen sein,« sagte mein Bursche. »Er hat dann noch eine Weile als Bauernknecht sein Brot gesucht, später, wie er's schon nimmer dermachen hat können, ist er in die Einlege gekommen. Die meiste Zeit hat man ihm nichts angemerkt, aber manchmal doch, manchmal doch!«

»Du hast ihn wohl näher gekannt,« fragte ich den Burschen.

»Na freilich,« war seine Antwort, »er ist ja mein Großvater gewesen.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 196-218.
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