Die Diebsschuhe.

[191] Das war an einem Sommernachmittag. In unserem Waldbauernhause sprach ein fremder verdächtiger Mensch zu. Er war erklecklich zerlumpt und sah aus wie ein Landstreicher. Einen knorpeligen Stock und ein kleines Handbündel hatte er bei sich, und am Arme hängend ein fast neues Paar Mannsschuhe. Er berichtete mit fast weinerlicher Stimme, daß er schon seit drei Tagen nichts Warmes in den Leib bekommen habe und bat um einen Löffel Suppe. Meine Mutter wärmte ihm Reste vom Mittagsmahle auf, und während er in der Küche auf dem Kopfe des Waschtroges saß und gierig Knödel und Kraut verschlang, machte sich die Mutter im Vorhause zu tun und redete laut mit der Kellertür. Sie fürchtete sich nämlich vor dem Gesellen und wollte ihm glauben machen, daß im Keller unten Leute wären. Sie war aber mutterseelenallein zu Hause. Das Stroh sei im Keller zu lassen, damit im Winter die Rüben und Erdäpfel zugedeckt werden könnten, sie wüßten ja ohnehin, wie es allemal in den Keller hineinfriere! So sprach sie scharf befehlend mit denen, die nicht da waren. Der Fremde war fertig, sagte schönen Dank, rülpste und ging schleichend davon. Rasch verriegelte die Mutter hinter ihm das Haustor und hielt Umschau, ob nichts fehlte. Nun war es aber erstaunlich,[192] anstatt etwas mitzunehmen, hatte der Mensch etwas da gelassen. Das fast neue Paar großer Mannsschuhe, welches er über dem Arm hängen gehabt, hatte er vergessen, es stand auf der Bank im Winkel, nahe dort wo er gesessen.

Am Abende kamen die Leute vom Felde heim. Die Knechte, einer um den anderen, nahmen das lederne Paar in die Hand, drehten es eine Weile so herum und beguckten es von allen Seiten. Dabei sprachen sie ihre Mutmaßungen aus, wieso und warum. Da rief die Mutter vom Herde her: »Daß mir keiner die Schuhe anlegt! – Ja, ja, ihr Tröpfe, ihr vorwitzigen! Wisset ihr's denn nicht! Habt ihr nie was gehört davon, daß einer, der Diebesschuhe an den Füßen hat, selber muß stehlen gehen?!« Als die Knechte darob lachten, fuhr sie fort: »Und daß die Schuhe gestohlen sind, drauf kunnt ich gleich meine Hand braten. Vergessen! Das kann sein und kann nicht sein; ich glaub's aber nicht. Wären die Schuhe sein eigen, so hätte er's schon der Mühe wert gehalten, drum zurückzukommen. Den Standarn fürchtet er, und deswegen hat er sie dagelassen, und nicht anders ist's, und ihr lasset mir die Schuhe stehen!«

Jetzt war aber unter den Knechten ein besonders vorwitziger – der Nantel. Der hatte graues Haar und sogar ein Glatze bekommen, ohne sein Lebtag irgendwo auch nur einen Fingernagel gestohlen zu haben, und der meinte, man sollt's doch darauf ankommen lassen, zu beweisen, daß der Bäuerin Wort ein rechter Aberglaube wäre. – Unsereiner stehlen gehen! Das wäre so was!

»Ich rate dir's nicht, Nantel!« sagte die Mutter noch, aber der Knecht hatte seine alten mausfarbigen Tramper schon von den Füßen und steckte diese mit Behagen in[193] das Diebspaar. Fest und sorgfältig riemte er sie zu, dann reckte er sich aufrecht und strampfte in den Boden.

»Willst sie dir behalten, so bist schon einer!« lachte ihm der Baldhauser, der Knecht vom Ochsenstall, zu.

»Geh', Narr,« antwortete der Nantel, »ich kann mir meine Schuh' gottlob noch selber kaufen, daß ich keine zu stehlen brauch', aber der Bäuerin wegen, just der Bäuerin wegen. Weil sie meint, ich wollt' gleich jetzt von der Stell' weg zum Nachbar Thommel gehen und ihm ein Schaf aus dem Stall stibitzen. Bis zum Schlafengehen behalt' ich sie an, zu Fleiß. Tut's nur den Galgen herrichten, Leut'!«

»Du, Nantel, versündige dich nicht!« mahnte die Mutter, während sie in das Herdfeuer blies, um die Abendsuppe fertig zu kochen. »Wenn du nur Holz zutragst! bauen wird den Galgen der Teuxel schon selber.«

Als wir uns zum Nachtmahl setzten, hatte der Nantel immer noch nichts gestohlen. Deshalb hub er an groß zu tun und sagte: »Ja, Lappen! wenn jeder gleich stehlen gehen müßt, der gestohlenes Leder an hat, wie wäre es da denjenigen ergangen, die beim heiligen Crispinus haben arbeiten lassen!«

»Man weiß es auch nicht, wie es ihnen ergangen ist,« meinte der vom Ochsenstall.

»Und umgekehrt, wenn keiner stiehlt, der ehrliche Stiefel an den Füßen hat,« fuhr der Nantel fort, seine Gedanken auszukramen, »so hätt' der klein' Micherl nicht Korn gestohlen beim Hofbauern auf der Tenn'; der Micherl hat ja die geschenkten Schuh' vom Dorfrichter angehabt. Oder nicht? Man kann's zwar nicht missen. Nichts kann[194] man wissen. Muß wohl seinen Grund haben, der Richter, daß er sogar Stiefel herschenkt.«

»Ei, was du sagst, Nantel!« sprach der Baldhauser.

»Ich will nichts gesagt haben,« fuhr der andere fort, »so ein hohes Tier wird gleich unangenehm.« Denn der Richter hatte unsern Knecht einmal auf eine Woche in die Keichen stecken lassen, weil der Nantel jemanden »was geheißen« haben soll.

»Man kunnt,« redete er jetzt weiter, »vielleicht den da unten, den mit dem großen Kopfe, noch viel was anderes heißen, als... na, ich will nichts gesagt haben. Umsonst tut er nicht so bigotterisch, umsonst nicht. Armenvater kunnten wir nicht bald einen besseren kriegen als den. Der sperrt die Armengelder so fest ein, daß schon gewiß kein anderer Dieb dazu kann...«

Jetzt war aber die Mutter da. »Du alter Nantel!« sagte sie. »Schau dich jetzt einmal an. Schau dich nur an und hör' dir zu. Fällt dir nichts auf? Du stiehlst ja schon! Ob du den Leuten Schafe stiehlst oder ihren ehrlichen Namen – gestohlen ist gestohlen. Was meinst denn, Nantel, willst die Schuhe nicht bald ausziehen?«

»... Uh Teuxel!« knurrte der Knecht in seinen grauen Bart. »Wie aber so eine Bäuerin alles ausdeuten kann! Auf die Art schaut's schier so aus, als ob ich einer wär'! Du verschwameltes Zeug, du!«

Da trat zur Tür der Zimmermann Josel herein mit einem großen Stecken. Ob kein Landstreicher da gewesen wäre? Ihm habe so ein Galgenstrick ein neues Paar Schuh' gestohlen. Das brachte der Zimmermann vor und wir deuteten alle miteinander schreiend und lachend auf den Nantel. Dieser riß gleich an der Tischecke die Schuhe[195] von den Füßen und schleuderte sie über den Fußboden hin, daß sie dem Eigentümer nur gerade munter entgegenhüpften.

Ob der Landstreicher erwischt worden ist, das weiß man nicht. Weil ich es aber als moralischer Erzähler nicht gestatten kann, daß der Missetäter straflos ausgeht und am Ende auch dem geehrten Leser ein Paar Stiefel stiehlt, so kann ich noch heute in einem Gehölze bei Kapfenberg den Platz zeigen, wo der Galgen gestanden ist, an welchen alle Diebe der Gegend gehangen worden sind. – Nicht ohne Beklommenheit erkundigt ihr euch nach dem Befinden des alten Knechtes Nantel. Dank der Nachfrage, für Entwendung des ehrlichen Namens hat's zum Glück nie Galgen gegeben. Es muß das viele Holz nicht aufzutreiben gewesen sein.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 191-196.
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