Die Geschichte von Remi dem Räuber.

[250] Der Geselle Wendelin und ich waren beim Donatbauer zum Mittagsessen eingeladen gewesen, am heiligen Christtag. Was wir dort aßen, davon will ich nicht reden, sondern davon, was wir nicht aßen. Denn das, was wir übrig ließen, packte uns die Donatbäuerin in unsere Taschentücher. Und so verließen wir das Haus – der Wendelin ein Krapfenbündel am Stock hinter der Achsel, ich auch ein Krapfenbündel am Stock hinter der Achsel. Ich hatte an meinem Stocke auch noch ein paar Stiefel hängen, die Werktagsstiefel, die ich in der Woche auf der Ster beim Donatbauer angehabt hatte. So sagte der Wendelin unterwegs noch das drollige Wort: »Du gib acht, daß dir die Krapfen auf dem Buckel deine Stiefel nicht anziehen und davonlaufen!« O dummes, o prophetisches Wort!

Auf der Straße kamen wir zu verschiedenem Volke, Männer, Weiber, Dirndeln, Burschen, die alle in die Kirche gingen zum Nachmittagsgottesdienste. Wir Schneider waren rasch und schlenkerten an den Leuten vorüber. Wir waren auch sehr lustig, pfiffen heitere Krippenlieder, wie sie in der Nacht zuvor auf dem Kirchenchore gesungen und gespielt worden waren, und huben an auf der Straße zu tänzeln nach dem Takte. Der Wendelin hatte damit angefangen, er hatte schlanke, dünne,[251] überaus bewegsame Beine und war so tanzerisch gestimmt, daß er auch zu jedem Kirchenliede wie zu einem Walzer hopste und trippelte. Ich tat ihm's getreulich nach, denn wenn's lustig ist, muß man tanzen, und warum sollte es nicht lustig sein, wenn der Heiland geboren war, der uns eine Reihe von Weihnachtsfeiertagen und Bündeln von Krapfen gebracht hatte! Während des Hopfens auf der Straße klopften die Stiefel mir wiederholt auf den Rücken; anfangs tat ich nichts desgleichen, doch sie ließen nicht ab zu klopfen aus Schulterblatt, bis ich sie plötzlich verstand – meine Krapfen waren weg. Das ganze Bündel Krapfen – es hing nicht mehr an dem Stocke, es war verschwunden. – Krippenlied und Tanz wurden schrill abgebrochen.

Der Wendelin ging seines Weges, ich kehrte um und fragte jeden der Hinteren, ob er mein Bündel nicht hätte? Den alten Männern und Weibern konnte ich ihr bedauerndes »Nein« glauben, den schmucken Dirndeln traute ich schon weniger, maßen sie unter sich kicherten darüber, daß der »hüpfende Schneider« auf der Straße seine Krapfen verloren hatte. Als ich nun aber ganz hinten zu einem geschlossenen Trupp von Burschen kam, die bei meinem Nahen einander stumme Zeichen gaben und verständnisvoll sich anblinzelten, wußte ich auch, wo meine Krapfen waren.

»Kameraden,« so redete ich sie an, denn diese Saitenklänge der Zusammengehörigkeit hielt ich für die besten, »Kameraden, habt ihr kein blaues Bündel gesehen? Ich habe ein blaues Bündel verloren.«

»So,« entgegnete der kleine, dicke Anglermichel ernsthaft, »was ist denn drin gewesen?«[252]

»Ein bissel Eßwerk für die Feiertage.«

»Wer was Verlorenes sucht, der muß sich genauer ausweisen,« sagte der knieweite Kreiderersepp.

»Die Donatbäuerin hat mir ein paar Krapfen geschenkt, und die sind drinnen gewesen,« gab ich an.

»Wieviel etwa mögen ihrer Krapfen drinnen gewesen sein?« verhörte der stangenlange Steinhiesel.

»Na halt etwa fünfzehn oder zwanzig Stuck, oder so was.«

»Und da sagt er: ein paar!« lachte der Michel. »Wir haben nichts gefunden.«

»Macht keine Dummheiten und gebt sie her!«

»Ah geh', was wollte denn so ein Schneiderlein mit so vielen Krapfen anfangen!« rief der höckerige Kerschbaumstoffel und gab mir mein blaues Sacktuch zurück – aber in zusammengeballtem Zustande inhaltslos.

»Dem Herrn Pfarrer will ich sie bringen, die Krapfen.«

»Ha, ha, ha,« lachten sie alle, der eine in Brustton, der andere in Fistelstimme.

»Das heißt,« berichtigte ich mich, »meinem Meister gehören sie, die Krapfen, er wird sie halt vielleicht dem Herrn Pfarrer schenken wollen.«

»Ha, ha, ha,« lachten sie wieder.

»Etliche davon,« fuhr ich fort, »gehörten schon mir auch, von den Krapfen, ja, und wollte sie meiner Mutter geben.«

»Ha, ha, ha,« lachten mehrere, aber nicht alle. Der Kreiderersepp griff in seine inwendige Rocktasche, »der Mutter, das ist was anderes. Da muß ich den meinigen schon zurückgeben.«[253]

Der Schrodelfranz jedoch sprach: »Ah, deiner Mutter kunnten die vielen Krapfen schaden, die ist sie nicht gewohnt.«

Stand ich da und hub an zu schelten: »Ihr Saggra!«

Das half nicht viel, und so hub ich an, ihnen folgende Vorstellung zu machen: »Seid ihr nicht auch froh, wenn ihr der Eurigen manchmal was schenken könnt!«

»Wir haben gar keine Mutter,« riefen ihrer zwei.

»Mutter meine ich jetzt auch keine,« sagte ich.

»Ah so, seinem Mädel will er die Krapfen spendieren!« sagten etliche und gaben mir die zurück, welche sie im Sacke hatten. Alle hatte ich sie aber noch immer nicht, lange nicht alle. So gestand ich denn, daß ich auch selber gerne Krapfen esse.

»Endlich ist er aufrichtig!« rief der Michel, »und weil er aufrichtig ist, der Schneider, und die Krapfen selber essen will, so soll er die meinigen haben.« »Die meinigen,« sagte er, da sie vielmehr die meinigen waren, die er mir jetzt zurückgab. Die übrigen machten ihm's nach und ich hatte fast alle meine Krapfen wieder. Mehrere waren zwar schon angebissen. Ich breitete auf dem schneeigen Wege das blaue Sacktuch aus und band die Krapfen ein.

Alle der Burschen hatten zurückgegeben, nur einer nicht – der Bärennäßler-Remi nicht. Der sagte: »Dümmeres gibt's nichts, als wenn einer die Krapfen weggibt, die er selber essen kann. Der Schneider erlaubt's ja, gelt?« Und er aß den seinigen keck vor meinen Augen auf, hielt mir dann zum Hohne die fettigen Finger vor, die sollt ich »abschlecken«.

Den Wunsch, diesen Menschen einmal nachdrücklich[254] auf die Erde zu legen, hatte ich schon oft gehabt und nicht bloß ich allein. Aber der Remigius Bärennäßler war ein großer grober Lümmel, der sich bei seinen Angreifern gleich aufs Würgen oder Augausschlagen verlegte. Ein paar Mannsleute im Dorfe hatten von dem Remi ihre Denkzettel, und seither band man mit ihm nicht gerne an und er handelte nach freiem Willen. Sein wulstiges Gesicht mit der kleinen Nase und dem breiten Mund grinste, seine graue Wollenhaube im Nacken, so blinzelte er mich mit halb zugemachten Äuglein an, so stand er mit weitausgespreiteten Beinen da, stemmte die Fäuste in die Seiten und sagte weichmütig: »Nu, Schneider, ist dir was nit recht?« Natürlich, mir war alles recht.

Das war mein einziges Begegnen mit dem Remi gewesen, bis einige Jahre später, als ich auf Ferien in der Gegend war, jenes grause Ereignis geschah in der Mühle zu Rettenegg, das der Student angemerkt hat und nun erzählen will.

Der Remi war im Fischgraben drüben gebürtig, einer armen Häuslerin Sohn, die er bald um ihr Häusel gebracht hatte. Im Wirtshaus und so herum hatte er es vertan. Trotzdem mußte er nun aus unserer Gegend wieder zurück in seinen Fischgraben, weil ihn bei uns niemand in Arbeit behalten wollte. Da hörte man denn bald allerhand Stücklein vom Remi. Die Kirschen vom Baum, manchmal eine Rübe vom Feld genommen, das gilt auf der Bäuerei nicht gleich als Diebstahl. Auch der mit der Hand gefangene Fisch nicht und das aus dem Walde getragene Bündel Gefällholz nicht. Selbst wenn einer dem anderen seine Herzliebste stiehlt oder[255] mit Gewalt wegnimmt, macht ihn das immer noch zu keinem kriminalistischen Diebe oder Räuber, und doch ist die Herzliebste anerkanntermaßen der größte Schatz, den es gibt. So duldsam ist man. Ein heimlich ausgegrabener Erdapfel aber und vom Felde entwendetes Werkzeug, das lischt den ehrlichen Namen schon das erstemal aus.

Beim Bärennäßler-Remi war nicht mehr viel auszulöschen, und doch verwunderten sich die Leute, als sie von seinem ersten Straßenraub hörten. Ein Bauernweib ging vom Markte heim, wo es Leinwand verkauft hatte. Der Remi gesellte sich zu ihr und als der Weg durchs Holz führte, sagte er ganz gelassen zu ihr: »Weibel, jetzt wirst mir halt dein Geld geben müssen.«

»Jeß Mar' und Josef!« hub sie an.

Er fuhr ruhig fort: »Es ist besser, du lärmst nicht. Ich brauch' dich nur anzugreifen, so bist hin!«

Es bedurfte keines Wortes weiter, keines Handgriffes, zitternd wie Birkenlaub, durch das der Sturm haucht, noch bevor er da ist, nestelte das Weib ihr Geld aus den Kleidern und ließ es vor ihm auf den Boden fallen. Er brauchte es nur aufzuheben und mit sich zu nehmen. Er kehrte aber wieder um und sagte zur Beraubten: »Ich muß dich was fragen, Weib. Kennst du mich?«

»Ter Bärennäßler-Bub bist!« rief sie leider gar unbedacht aus, worauf er entgegnete: »Dann werde ich dich doch mit einem Steine totschlagen müssen, denn du verrätst mich.«

Sie legte einen heiligen Eid ab, es nicht zu tun, nur leben lassen möchte er sie![256] »Wir wollen uns leicht vergleichen, wir machen es so,« sagte der Remi. »Solang du nichts sagst, bist vor mir sicher. Verratest du mich aber, so überlebst du es nicht zwei Tage lang. Glaubst mir's oder nicht, das ist deine Sach'. Bin eh ein guter Mensch, daß ich dich heut heimgehen laß.«

Wie nachher die Leute solches besprachen, waren etliche ganz gerührt über die Großmut des Burschen und man sagte ihm bei solch romantischen Räuberhauptmanns-Manieren eine große Zukunft voraus. Nach dem ersten Arrest zeigte sich der Remi in der Tat schon vervollkommnet. Das war freilich wieder in einer anderen Gegend, wo man ihn nicht kannte, als er eines Tages in einem Pfarrhofe zusprach. Der alte Pfarrer war bekannt als einer, der sich etliches Silbergeld erspart hatte, aber es war so viel altes Weibervolk im Hause, daß sich nichts machen ließ. So bat der Remi den Pfarrer, daß er um Gottes willen schnell mit ihm in die Schrundwaldungen hinauskommen möchte, im Holzschlag sei ein Holzknecht verunglückt, er lebe noch ein bißchen und verlange versehen zu werden. Der alte Herr ging rasch mit ihm. Als der Bursche ihn aber im wilden Wald hatte, wo sie auf einem vom Sturm gestürzten Baum ein wenig rasteten, stellte der Remi das Laternlicht, welches zum Sakrament gehörte, aufs Moos, rückte sich nahe an den Pfarrer und sagte: »Na, was ist's denn mit uns zweien? Haben wir nichts Silberiges mit?« Und begann den Priester auszusuchen. Dieser ließ es ruhig geschehen und bat nur, das Allerheiligste nicht zu entehren. Der Remi war aber mit den paar Scheidemünzen nicht zufrieden. »Zu Hause hat er[257] mehr Geld!« sagte er zum Pfarrer. Da es dieser nicht verneinte, so fuhr er fort: »Wie fangen wir das jetzt an, daß ich sein Geld krieg, und daß er mich nicht einsperren lassen kann?«

Der Pfarrer wußte dafür freilich keinen Rat.

»Vielleicht ginge es so,« schlug der Remi vor, »daß ich den Herrn in die Wolfsschlucht hinabführe und ihn dort an Händen und Füßen binde. Dann soll er mir's sagen, wo er das Geld aufbewahrt hält und wie ich dazukomme. Nachher stopfe ich ihm auch den Mund zu und geh' das Geld holen. Und wenn ich's finde und glücklich damit zurückkomme, dann binde ich den Herrn wieder los und er kann nach Hauf' gehen. Wenn ich aber beim Geldholen Unglück hab', nachher bleibt er Jahr und Tag in der Wolfsschlucht liegen und kein Mensch findet ihn.«

Der Pfarrer antwortete auf das: »Mein Sohn, ehe ich dir zu einem solchen Raub Gelegenheit gebe, oder dich gar dazu verleite, eher lasse ich mich töten.«

»So wollen wir's doch mit der Wolfsschlucht probieren. Nur willig mitgehen, ich rat' ihm gut. Wir können alles ganz ruhig abmachen, in diesem Wald begegnet uns niemand.«

So führte er den Greis mit dem Allerheiligsten in die schauerliche Schlucht hinab, wo zwischen Felsblöcken allerlei hohes Gestrüpp war und wo ein träges, graues Wasserlein rann. Und als er den Pfarrer schon zerren und schleppen mußte, sagte dieser zum Remi: »Wenn du glaubst, daß du hier der Stärkere bist, so irrst du dich. Siehe, ich habe den allmächtigen Gott bei mir!«

Einen scheuen Blick auf die Hostie tat der Bursche,[258] dann ließ er ab und sagte: »Meiner Seel, mich geht der Greuel an. – Wenn er schon so fromm ist, Pfarrer, ginge das nicht, daß ich ihm vorher die Sünd' beichte, daß er mich losspricht von dem, was ich tun will? Er könnte dann meinetwegen ruhig sterben.«

Über eine solche Rede glaubte der Pfarrer schon, er hätte es mit einem Irrsinnigen zu tun: »Freund, wir wollen jetzt nach Hause gehn. Und wenn du mein Geld haben willst, so werde ich es dir lieber freiwillig geben und wir haben weiter keine Unannehmlichkeiten.«

Der Bursche ist darauf eingegangen. Er wanderte mit dem Pfarrer ganz harmlos wieder ins Tal hinaus. Aber als sie gegen Abend aus Dorf kamen und er die Leute sah, blieb er plötzlich stehen, als besinne er sich. »Dumm bin ich heut' gewesen,« murmelte er, stellte die Laterne zu Boden und lief querfeldein.

Sie erwischten ihn doch. Und beim nächstfolgenden Arrest vertraute er seinem Zellengenossen folgende Herzensergießung an: »Sitzen ist mir alles eins, aber gehenkt werden möcht' ich nicht. Nehmen, wo ich was finde; betäubt machen, wer sich wehrt. Aber umbringen nicht.«

Der Genosse meinte, auch das Umbringen wäre im Grunde nicht so gefährlich, nur dürfe man sich nicht erwischen lassen.

»Dafür bin ich mir nicht gescheit genug,« entgegnete der Remi. »Kannst es angehen, wie du willst, sie haben dich doch. Weiß nicht, warum die Leute gar so eine große Freud' haben, einen armen Menschen in den Kotter zu bringen. Wegen so Kleinigkeiten! Ob das bissel Geld, das es gibt, der oder der hat, das wird doch[259] ziemlich einerlei sein, nicht? Predigt dir nicht der Pfarrer für und an, daß irdisch Gut und Geld eine Nichtigkeit ist? Und wenn man ihm was wegnehmen will, läßt er einen einsperren. Heißt es alleweil, die Freiheit wär ein höheres Gut, als das eine Geld. Nun ja, haben sie sich doch anno Achtundvierzig viel kosten lassen, daß sie die Freiheit 'kriegt haben. Und so eine Freiheit stiehlt mir der Standar und sperrt mich ein. Wer ist nachher der größere Dieb, ich, der das bissel Silber haben will oder der Standar, der mir meine Personalfreiheit stiehlt?!«

»Spezi!« antwortete hierauf der andere, »du redest so großartig, als ob du ein Verteidiger wärst. Weißt es denn nicht, daß man nur die kleinen Diebe hängt?«

»Mein Gott, ich möcht' eh ein großer werden. Hab' halt 's Talent nicht dazu; werd' mich mein Lebtag mit dem Kleingewerbe abgeben müssen. Von den einbruchssicheren Kassen hört man jetzt auch. Wieder so eine Erfindung zum Ruine der armen Leute!«

»Ohne Studium geht gar nichts,« sagte der andere. »Ich bin Schlosser geworden.«

»Möcht' ich doch wissen, ob du dein Geschäft verstehst,« sagte der Remi, »Schlosser, sei so gut, sperr' mir auf das Türl da hinaus.«

»Gern, Bruderherz, wenn's nur kein Vexierschloß wär'!«

So sollen sie es getrieben haben im Arrest und besonders von der Spintisiererei des Remi haben die Leute viel zu erzählen gewußt. Es war einer der nachdenklichsten Spitzbuben, und in seinen Handlungen immer voller Rücksicht gegen den Mitmenschen. Fast bei jedem[260] Raube zog er sein Opfer freundschaftlich zu Rate, wie er ihm das Geld wegnehmen solle, ohne daß es so besonders weh tue. Dann war er wieder von bescheidener Denkweise, daß er den Angefallenen bat, der Geschichte wegen kein Aufhebens zu machen und ihm keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, ansonsten er freilich ein gutes Mittel anwenden müßte.

Das »gute Mittel« hat er endlich angewendet, kanibalisch und feig zugleich; aber gehenkt ist er doch nicht worden. Es kam jene Schauernacht in der Mühle bei Rettenegg.

Unter dem Geräusche des Wassers hatte der Remi nächtlicherweile Dachbretter ausgehoben, war in den Oberboden gekrochen und von da beim Mondenschein, der durch die Fenster kam, hinabgestiegen in die Stube, wo der Müller schlief. Der hatte etliche Tage vorher einen Wald verkauft. Der Remi mochte ein Weilchen vor dem Schlummernden gestanden sein und überlegt haben, ob er ihn wecken solle, um ihn auf gütlichem Weg zu fragen, nach dem Gelde, oder ob er die Mühe des Suchens selber übernehmen könne. Für alle Fälle hatte er auch ein Beil bei sich im Gurte stecken. Er entschloß sich, den Müller nicht aus der Ruhe zu stören und den Kasten, der neben dem Bette stand, mit einem mitgebrachten Eisenhaken zu öffnen. Dabei erwachte der Müller und sprang auf, auch sein Weib kam aus der Nebenkammer mit Licht herbei.

»Ihr erschreckt einen ja ordentlich!« begehrte der Remi auf und griff rasch nach seinem Beile. »Seid doch gescheit, Müllersleute! Nicht wahr, da im Kasten habt ihr das Geld?«[261]

Einen gellenden Doppelschrei stießen sie aus, als sie den baumstarken, fremden Menschen mit der schrecklichen Waffe vor sich stehen sahen, der Müller warf sich auf ihn, um ihm das Beil zu entreißen, da taumelte er auch schon, von einem Hiebe getroffen, gegen die Wand und brach zusammen. In demselben Augenblicke stürzte der Sohn der Müllersleute herbei, aber schon an der Türschwelle traf auch ihn das Beil. Zwei nachstürmenden Müllersknechten gelang es, den Räuber zu bewältigen, mit seiner eigenen Waffe machten sie ihm den Garaus.

Als die arme Müllersfrau aus ihrer Ohnmacht zu sich kam, sah sie da drei Leichen liegen, den Gatten, den Sohn und den Räuber. Den letzteren schafften die Knechte bald hinaus in den Brennholzschoppen, der nur aus einem Bretterdache bestand, welches teils aus Haus gelehnt, teils mit zwei Balken gestützt war. Dort warfen sie den Toten auf einen Haufen Sägespäne.

Am frühen Morgen kamen von allen Nachbarshäusern Leute herbei, auch ich von meinem Gasthause, um das grausige Ereignis zu schauen und die Müllerin zu beruhigen. Diese war nach dem ersten Schmerzesrasen ganz gelassen geworden und sachte begann sie die Aufbahrung anzuordnen.

»In Gottesnamen,« sagte sie zu einer Nachbarin. »Das hat sich schnell verändert, jetzt! Aber sie haben es überstanden und ich sterbe ihnen bald nach.«

Und als die beiden Männer in der Stube aufgebahrt waren, einer an der rechten Wand und einer an der linken, wo sonst des Müllers Bett gestanden, und mitten der Tisch mit dem Kruzifix und zwei Kerzenlichtern,[262] wußte das Weib immer noch was zu schaffen, um die Bahren zu schmücken. Sie hing ihrem Mann einen Rosenkranz um den Hals, sie belegte seine Brust mit papiernen Heiligenbildchen, sie steckte ein Kreuzlein zwischen seine Finger. Desgleichen auch dem Sohne, dem sie auch noch ein rotes Blumensträußlein an die Brust legte, weil er im Bräutigamsstande gewesen war und am nächstfolgenden Montage ein schönes junges Mädchen hätte heiraten können.

Auch dieses Mädchen, die Klara vom Schramhofe, kam nun herbei, eine schlanke hohe Gestalt, weiß wie Marmor im Gesicht, als sie vor der Tür stand und nicht einzutreten wagte, aus Angst, es möchte das Furchtbare wahr sein, wovon sie gehört hatte. Wir haben sie von der Seite her beobachtet, und das wird wohl nie zu vergessen sein, wie sie nun eintrat, die Toten sah und mitten in der Stube zu einer Bildsäule erstarrte. Wie die Müllerin anfangs tobte und dann einer fast ehernen Ruhe verfiel, so war es bei diesem Mädchen umgekehrt. Als die Starrheit sich löste, ganz allmählich, zuerst im Zittern der Lippen, dann im Auflodern des Auges, dann im Zucken der Glieder, da – ihr Rasen war schauderhaft! Sie stürzte auf die Leiche ihres Bräutigams, rüttelte sie, riß den Oberkörper empor, daß die Heiligenbildchen zu Boden flatterten, aber als sie am Haupte die grause Wunde sah, wich sie zurück. Und weil sie der Liebe nicht genug tun konnte, so wollte sie's dem Hasse. Die Arme mit den krampfiggeballten Fäusten reckte sie nach rückwärts, mit blutlosem Munde zischelte sie: »Wo ist er?«

Man führte die Klara hinaus in den Holzschoppen,[263] wo der Mörder mit verkrümmten Gliedern auf den Sägespänen lag. Daneben auf dem Holzschragen in einem Wasserglase auf schwimmendem Öle glimmte ein Lichtl.

»Ein Totenlicht! Diesem höllischen Biest ein Totenlicht!« kreischte das Mädchen auf.

Die Müllerin antwortete leise: »Christliche Tauf' hat er ja doch gehabt.«

Das Weib, dem er den Gatten, den Sohn erschlagen, hat ihm den Liebesdienst erwiesen. Diese Größe mußte die wütende Braut zu sich gebracht haben. Wortlos wankte sie hinaus.

Ich weiß nichts weiter zu sagen, als daß wir – die es gesehen – immer daran denken werden, wie die Müllerin dem Mörder das christliche Bahrlicht gegeben hat. Alles andere ist vorbei, tot sind alle schon. Nur jenes Bahrlicht leuchtet noch in uns fort, wie ein Stern über dem Gerichte.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 250-264.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Waldheimat. Erzählungen aus der Jugendzeit
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit - Zweiter Band [Reprint der Originalausgabe von 1914]
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon