Er hat ein schön's Röckerl an und ein schön's Knöpferl dran.

[164] Den Waldbauernbuben allsamt gewidmet vom Studentl.


O du schöner, stolzer Bauernknecht! Was bildest du dir ein auf deinen neuen Lodenrock, in dem du am Allerheiligentage das erstemal zur Kirche stapfest! Ein seiner, dunkelgrauer Lodenrock mit grünausgebrämten Schößeln und Ärmlingen; grünes Tuch am Kragen, hinter dem das weißgewaschene Hemd – sag', wer wäscht dir denn jetzt so schön? – gar neckisch hervorlugt; ferner mit den Hirschhornknöpfen, daß man glauben möchte, du sei'st ein Jäger – bist auch einer! – ferner mit grünem Tuch an dem Taschendachel, hinter welchem du ein rosenrotes Sacktuch hast – von wem denn? – und ein Stückchen Bartwichswachs – seit wann denn? – und ein beinernes Zündholzbüchsel – wozu denn? – und einen zierlichen Meerschaumspitz – wieso denn? Wir rauchen ja sonst Pfeifen. Sonst freilich, aber am Allerheiligentag nicht; wenn wir den neuen Rock tragen – da gibt's Zigarren.

Rechtschaffen viel hältst du von deinem Lodenrocke, und ich will dir sagen, es ist doch nur ein Ableger. Ich kenne einen, der hat ihn im vorigen Jahr getragen Feiertags und Werktags, hat in Staub und Schlamm, manchmal vielleicht in noch Ärgerem damit herumgeriffelt. Als ihm der Rock endlich zu struppig und lumpig geworden,[165] hat er ihn abgelegt, und nun trägt ihn ein anderer am Allerheiligentag. O du schöner, stolzer Bauernknecht!

Der schwarze Widder ist sonst nicht sehr zutunlich, er weiß stramm Ordnung zu halten unter seinen Frauen und ist nichts weniger als Weiberknecht. Doch von der Magd Kathel ließ er sich fangen – verstehst du das? Sie nahm ihn kräftiglich an ihre Knie und sprach: »Also Widdl, jetzt probieren wir's miteinand. Du mußt mir deinen Pelz geben.« Und sing mit der vorhin tückisch versteckten Schere auch schon an zu nagen in seiner üppigen Wolle. Der Widdl wußte, es ist der kalte Winter vor der Türe, er hätte sich wehren können mit seinen Hörnern, glücklich jeder, der Hörner hat – ich meine nicht solche, von denen deine Hirschhornknöpfe stammen. Allein die Kathl hatte ihn ganz in ihrer Gewalt – ist das nicht unbegreiflich? Ja, ja, die Weiber haben schon manchem den letzten Rock ausgezogen! Sie warf ihn zu Boden, er wehrte sich nicht, sie legte ihn auf den Rücken, es war ihm auch recht, und nach einer halben Stunde stand der Schelm da, kümmerlich und kahl, und man konnte seine Rippen zählen und, er war das Gespötte seiner Weiber, bis es auch diesen erging wie ihm.

Am Abend sitzt die Kathl in der Wolle. Mitten in Haufen von Wolle. Muß das nicht hübsch gewesen sein, du mein schöner Bauernknecht?

Am nächsten Tage wird der abgezogene Pelz gewaschen, aber nicht wie gewöhnlich, sondern auch naß gemacht. In einem großen Holzbottich haben schon zur Morgenfrühe die Steine gedonnert und getost. Die Steine waren im brennenden Ofen erhitzt, dann mit der Ofengabel rotglühend in das kalte Wasser des Bottichs geworfen[166] worden. Also wird dort, wo man keine Kessel hat, das Wasser kochend gemacht. Gelt? Hernach die Wolle hinein, tüchtig umgerührt, bis sich aller Schmutz, alles Fett und sonstige Sündhaftigkeit herausgesotten hat. Dann gelockert, in der Sonne getrocknet und nun ist nichts Widerliches und nichts Widderliches mehr in der Wolle. Ebensowenig, als heute, am Allerheiligentag, nicht wahr, du schöner Bauernknecht?

Wir bleiben einstweilen aber noch beim vorigen Jahre. Es kommt der Winter. Sie Schafe stehen im dunkeln Stalle und stellen – wenn sie nicht zu große Schafe sind – Betrachtungen an über die schlechte Einrichtung auf dieser Welt. Im Sommer Pelz schleppen und im Winter nackt sein. Aus Kummer darüber beginnen dem Kappen-du weißt ja, was das ist, ein Kapp! – graue Haare zu wachsen, und auch den anderen, falls sie nicht weiß oder schwarz sind; ein frohmütiges Mutterschaf erkennt an dem Gedeihen solchen jungen Pelzwerkes die waltende Fürsehung.

In der warmgeheizten Stube sitzen alte Weiber und auch junge – du wirst sie leicht unterscheiden – tun plaudern und tratschen und Wolle zupfen. Denn jedes Knäulchen muß gelockert, jedes Strähnchen auseinandergelöst werden, das geht heiklich zu – die Wolle gehört ja für den Rock eines schönen Bauernburschen!

Jetzt kommt der alte bucklige Ähndel. Er ist schon über achtzig, will aber auch noch etwas bedeuten auf der Welt. Seine Beine sind lahm, seine Hände sind tadernd, seine Ohren sind schwach, seine Augen sind blöde, seine Zähne – die paar letzten – sind locker und stumpf – er ist, wie er selber sagt, halt schon aufgebraucht.[167]

Heute bringt der Alte aber doch etwas mit sich, das mehr und schärfere Zähne hat als alle anderen in der Stube zusammen. Das sind – du weißt es ja – zwei auf Holztafeln gespannte Lederplatten, voll scharfer Eisendrahthäkchen, alle nach einer Richtung gebogen, so daß sie anzusehen sind, als hätten sie hübschgekämmtes eisernes Haar. Das sind die »Wollkrampeln«. Auf eine dieser Platten, die vorher auf der Bank befestigt, wird Wolle ge legt, mit der anderen Platte, welche eine Handhabe hat, wird hierauf so lange über die Wolle gefahren, bis diese unter dem zweifachen Zahnwerke geschlacht gekraut ist, so daß sie in dünnen flaumigen Tafeln herabgenommen und aufgehoben werden kann. Dieses »Wollkrampeln« besorgt der alte Ähndel, und er trampelt Tag für Tag, bis endlich der ganze Wollenvorrat in schönen flockigen Tafeln geschichtet ist. Auf den Krampler kommt es auch an, mein seiner Bauernbursche, ob dein Rock schwarz sein soll, oder braun, oder grau, oder gar weiß – die Farbe der Unschuld, was meinst du dazu? An grüne Aufschläge denkst du, und zu grün, der steirischen Farbe stünde – sagst du – das Grau am besten. Das freut mich am allermeisten von dir, daß du auf das Steirische soviel Geschätz legst! Gut, so wird der Ähndl weiße und schwarze Wolle derweise auf der Krampel durcheinander mischen, daß es Grau gibt. Gefärbte Wolle haben wir nicht und wollen wir nicht in unserem Gewand, gelt? Die Natur macht's, wir mischen es bloß, wie es uns recht ist – und punktum.

Nun sind wir mit der Wolle so weit, daß das Spinnrad herbei muß. Draußen weht ein schneidiger Wind, von den Bäumen und Dächern fliegt wirbelnd der Schneestaub[168] hin und deckt immer wieder die Pfade zu, die ihr auf eueren Gang in das Holz mühsam ausgetreten habt. In der Stube schnurren die Räder. Hinter jedem Rocken sitzt ein Weibsbild und wenn es Abend wird und ihr Burschen ins Haus kommt, hebt der Tag erst recht an. Nur die letzte Woche vor Weihnachten darf des Abends nicht gesponnen werden, weil an diesen Abenden die Mutter Gottes früh zu Bette geht und Ruhe haben will. Auch nach den Weihnachten wird an den Donnerstagabenden nicht gesponnen; warum, das wisset ihr selber nicht recht, es ist halt so ein alter Brauch. Der alte Brauch rührt von unseren Voreltern her, den alten Deutschen, Gott habe sie selig! und es handelt sich der Berchta wegen.

Du natürlich kümmerst dich weniger um die Berchta, als um die Kathl. Die hat am Rockenstab ein Kacherl hängen – du erinnerst dich – mit Wasser gefüllt, da taucht sie ihre Fingerspitzen ein, damit diese befeuchtet um so besser den Faden können drehen. Mit dem Füßlein – Strohpatschen hat sie an! – tritt sie wacker den Trittling und spinnt und spinnt. Willst du dir nicht einmal so ein Spinnrad genau ansehen, du stolzer Bauernknecht? Den Trittling und den Hebel und das Treibrad und die Laufschnur und den Abachschragen und die Spindel und die Spule und das Abachel mit dem Fadenöhr und dem Steckhäklein – kannst du so was auch machen, stolzer Bauernknecht? – Schau, jetzt fällt es dir dein Lebtag das erstemal ein: das Spinnradel ist merkwürdig. Es müssen schon recht gescheite Leute auf der Welt gewesen sein, bevor wir gekommen sind, wir, die Allergescheitesten! Wir halten das alles für selbstverständlich, was schon da ist, und schauen es nicht weiter an und denken nicht nach darüber,[169] wieviel dazu gehört hat; bis so etwas hat ausgedacht und gemacht werden können. Ja, das Spinnradel ist merkwürdig; aber die Kathl noch merkwürdiger. – Meinst du? – Zu so einem Spinnradel muß halt ein Spinnradelmacher sein, meinst du; aber eine Kathl zu erschaffen, da gehört der Gottvater dazu. – Richtig! O du gescheiter Bauernknecht!

Am Gertrudistag, gelt, ich weiß noch alles – muß das Spinnen zu Ende sein, »denn an diesem Tage beißt die Maus den Faden ab.« – Wenn du bedenkst, daß den ganzen Winter über die Kathl für dich gearbeitet hat, und daß in deinem neuen Rocke nicht ein Faden ist, den ihre Fingerlein nicht haben gedreht, so kannst du kaum dankbar genug sein. Wie wäre es denn auch möglich, daß ein Lodenrock so warm macht, wenn ihn nicht die Kathl hätte gesponnen!

Denn der Weber, welcher jetzt kommt, der brächte es nicht zustande mit seinem ungefügen Webstuhl, welcher die halbe Stube ausfüllt, und mit seiner zuwideren Bärbeißigkeit, welche die Hausmutter nachgerade zur Verzweiflung bringt. Der Ofen ist ihm nicht geheizt genug, die Wolle ist ihm nicht glatt genug gesponnen, die Kost ist ihm nicht fett genug; und ist sie fett, so kann er sie nicht »verkochen«. Scheint die Sonne zum Fenster herein, so muß die Hausmutter ein Tuch darüber hängen, und hängt das Tuch über dem Fenster, so ist es dem Weber zu finster. Wer aber den Weber deswegen der Bösartigkeit beschuldigt, der tut groß Unrecht. Jeder ordentliche Bauernweber hat ein gelbgrünes Gesicht. Seine sitzende vorgebeugte Haltung, der natürliche Ärger, den ihm das kropfiggesponnene Garn oder die fludriggedrehte Wolle, oder das[170] versprengte Schiffchen verursacht, jagt ihm eben die Galle in sein armes Blut. Nach wochenlangem Brummen und Knüpfen und Webern – man hört das Getöse in die Nachbarschaft – ist das Lodengewebe endlich fertig, eine große Rolle, zwanzig Ellen oder mehr, und der Weber macht das erstemal ein lächelndes Gesicht, es ist fast rosig angehaucht, als ob jeglicher Tropfchen Galle eilends zurückgelaufen wäre, wohin er gehört. Der Weber bekommt seinen Weberlohn und darum die Genesung.

Ich habe oben gesagt, das »Lodengewebe«, nicht der Loden. Um Loden zu werden, weißt, die Tuchglättung, dazu muß das Weberzeug nun erst in die Walche. Da wird es in großen Trögen gekocht und eingemacht mit mancherlei Zutat, die ich selber nicht weiß, weil einem die Gewerbsleute nicht alles sagen wollen, aus Furcht, die Dichter könnten eine Lodenwalcherei eröffnen und ihnen das Geschäft verderben. Das Zeug kommt hernach in eine Walze, in eine Filze, in eine Spanne – eine wahre Folterkammer für den armen Weberstoff. Wie aber geht er daraus hervor! Als vollendetes, glattes, gefilztes Tuch, in welchem man keinen Faden und kein Geflechte mehr sieht. Ist der Walcher ein besonders geschickter Mann, so kraut er den Loden an einer Seite noch leicht auf, gibt ihm einen »Strich«, einen Glanz, und jetzt – wo ist der Schneider?

Der Schneider kommt auf die Wochen! Merk' dir's, kluger Bauernknecht, der Schneider kommt allemal »auf die Wochen«. Es sei denn, daß du dich recht tapfer vor ihn hinstellst und sagst: »Meister, wenn du auf morgen nicht zu haben bist, so nehm' ich einen anderen Schneider!« In diesem Falle kommt er nicht auf die nächst Wochen,[171] sondern »morgen«. Dieses »Morgen« steht aber im Schneiderkalender erst in drei oder vier Tagen, es gehört zu den »beweglichen Festen«.

Der Schneider sagt in seiner großsprecherischen Art: »Ich mache dir den Rock!« Das ist unrichtig. Wir haben gesehen, wie viele Schaffende beigetragen, um dir den Rock zu machen; am meisten leistete dazu der Widder, der die Wolle gab. Der Schneider tut das wenigste, er schneidet auseinander und näht zusammen. Schnitte er ihn nicht auseinander, so könntest du den Loden als ein Tuch um deinen Leib hängen, wie die Apostel, in malerische Falten geworfen, und du hättest einen Rock und einen viel schöneren, als ein Schneider je zusammengeschneidert. Wenn der Widder, um sein Erstlingsrecht an dem Rocke des schönen Bauernknechtes zu wahren, mit seinem Widderhorn den Schneider ins Bockshorn jagt, so ist ihm das nicht einmal so arg zu verdenken.

Froh bist du aber doch, wenn endlich das »Schneidermorgen« gekommen ist und der Geometer mit dem Faden deinen Adam ausmißt nach allen Richtungen hin. Zuerst mit dem Faden um den Brustkorb – ein stattlicher Korb, allen Respekt! – und ein Knoten gemacht. Dann den Faden um Hals und Kröpflein – ein stattliches Kröpflein! – und ein Knoten. Hernach den Faden vom Nacken über den Rücken – ein stattlicher Rücken! – bis hinab über die prächtig gewölbte Rundung – allen Respekt! – und ein Knoten. O du schöner, stolzer Bauernknecht!

Jetzt kommst du mit dem grünen Tuch und mit den Hirschhornenen. Den Lodenrock gibt dir kraft alten Brauches der Hausvater, das seine Zugehör aber, wenn du eines haben willst, mußt du dir selber kaufen. Auswendig[172] an der linken Brustseite willit du eine Zigarrentasche haben – ei sapperment! »Und inwendig einen Brustsack für die Brieftasche?« fragt der Schneider.

»Brauch' ich nicht,« sagst du. – O verdammt!

Endlich sind wir's. Knapp vor dem Allerheiligentage sind wir's geworden. Der Schneider – solche Leute sind immer artig – hat noch gesagt: »So, fertig ist er. Nu schau halt, Michel, daß du ihn gesund zerreißest!«

Und jetzt in die Kirche. Wo die meisten Leute gehen, denselben Weg schlagen wir ein. Aber die Leute sind so sonderbar, vom Wetter sprechen sie, und ob sie noch anhalten wird, die schöne Zeit! Vom Viehhandel, vom Kornbau und welcher Wirt jetzt den trinkbarsten Wein habe. Nicht dem besten, bloß dem trinkbarsten fragen sie nach, zu so großer Bescheidenheit hat sie der Dorfwirt erzogen. Und was es Neues gebe? – Ja, aber der Michel! Der schöne, stolze Bauernknecht! seht ihr ihn nicht? Im neuen Rock! Soll denn just ein neuer Rock nichts Neues sein? – Unmutig hiegen wir seitab einen Fußsteig durch Birkenbestand. Dort geht die Kathl mit dem krausen Haar und milden, runden, frischen Wangelein und mit dem knospenden Rotgöscherl. Sie hat just kein neues Gewand an, und doch zieht sie den Michel sachte an sich – die Kathl ist nämlich ganz merkwürdig.

»Tu bist aber frei nit zum derwischen, Kathl!« redet er sie an, als er sie eingeholt hat. »Bleib' doch ein bissel stehen, die Kirchen lauft uns nit davon. Kathl, schau mich einmal an!«

»Tu bist mir gar nix seltsam, ich seh' dich eh alle Tag,« antwortet das Dirndl-oh diese Bauernmädeln![173] Wie sie das Abtrumpfen gut verstehen, eine wie die andere. Ich weiß es.

Der Michel dreht sich vor ihren Augen ein paarmal um sich: »Wie steht er mir, der neue Rock?«

»Hau!« lacht sie. »Jetzt weiß der nit einmal, wie ihm der Rock paßt!«

»Wie er mir paßt, weiß ich gleichwohl, das g'spürt man; aber wie er steht; weiß ich nicht, weil man sich von auswendig her nit anschauen kann.«

»Mußt dir halt wen aufnehmen und verzahlen, der dich anschaut. Wieviel gibst denn für die Stund'?«

»Schau doch ich dich auch gern umsonst an,« sagt er und murrt über die Weibsleute, die gar nichts mehr umsonst tun wollen.

»Also angeschaut willst sein,« sagt das Dirndl, »na so will ich dich einmal anschauen.« Stellt sich schnurstracks vor ihn hin, glotzt seine Gestalt an und singt: »Er hat ein schön's Röckerl an – und ein schön's Knöpferl dran!« und macht ein dummes Gesicht. Wenn aber die Kathl recht dumm dreinschauen will, da schaut sie am allerpfiffigsten, und du mein stolzer Bauernknecht, merkest etwas spät, daß du heute wieder einmal der Gefoppte bist. – Hörst, Michel, wie du ein Bursche bist, das kannst du dir nicht gefallen lassen von der Kathl! Von der Kathl gerade am allerwenigsten. An dieser Person mußt du dich rächen.

Aber wie?

Komm' her, Michel, ich will dir etwas ins Ohr sagen. – Die Kathl mußt du heiraten! – Hast du gehört?

Ganz rot wird er im Gesichte, der Schelm. Und diese[174] Verwirrung! Habe ich vielleicht deine Gedanken erraten?

– »'s ist wahr,« flüstert er mir endlich zurück, »wenn wir uns heiraten täten, nachher kunnten wir uns foppen wie wir wollten.«

Oho! Dieser Meinung bin ich nicht. Überleg' dir's erst noch, Michel. Schlaf' einmal drüber! Ich möchte keine Schuld haben. So etwas muß man nach allen Seiten überlegen. Nun, du wirst es ja sehen. Beschlaf's halt einmal.

Er beschläft es, und zwar im Kirchenstuhl während des Hochamtes.

Auf dem Heimwege frisch ausgeschlafen läuft er voraus, und im Waldschachen, wo vor etlichen Jahren der alte Bachsimmerl einen toten Krainer gefunden hat, paßt er ihr auf wie ein Straßenräuber. Der arme Krainer damals blieb tot, und zwar so lange, bis sein mordskanonen Fetzen, den er vom Wirte mitgebracht, verdampft war. Dann ging er mit dem redlichen Finder. Und hier ist es, wo der Michel auf sie wartet. Allerhand Leute gehen vorüber, junge und alte, arme und reiche, er tut keinem was. Aber als nun die arme Kathl ganz allein dahertrabt, ahnungslos und munter, da – im finsteren Walde – steht er plötzlich vor ihr.

»Was willst denn?« fragt sie, ohne viel zu erschrecken.

»Dein Leben!« antwortet er.

»Mein Leben willst du haben?« fragt sie keck, »wenn du's brauchen kannst, warum denn nicht!«

Gesteh's nur zu, Michel, genau so ist's gewesen. Und du warst selber ganz erschrocken darüber, daß das Ding so leicht gegangen.[175]

Meinst du am Ende, des neuen Lodenrockes mit den Hirschhornknöpfen wegen?

S du schöner, gescheiter Bauernknecht!

Viele, viele Jahre später gucke ich in eine Dachkammer des Armenhauses. Eine halb verfallene Bauernhütte, sonst zu nichts mehr nutz als zur Wohltätigkeitsanstalt christlicher Liebe. Die christliche Liebe, welche unter diesem vermodernden Strohdache wohnt, wollen wir nicht näher untersuchen. Hingegen betrachten wir den kahlköpfigen Greis, welcher in der halbdunkeln frostigen Kammer am Fensterchen sitzt und an einer alten Jacke herumtut. Vor lauter unterschiedlichen Flicken ist dieses Gewandstück schon bauschig und wulstig geworden, daß es sowohl als Leibjoppe, denn auch als Bettdecke gar nicht übel warm hält. An den zerfransten Säumen und am Kragen sind noch spärliche Spuren eines grünen Tuches, welches freilich längst schon gelb und faserig geworden. Knopf ist keiner mehr vorhanden, ein paar zausige Bändlein müssen die Stelle vertreten. An den Ärmlingen der Joppe sind stellenweise dunkelglänzende Flächen, wie von einer Harzmasse. Einen besseren Handspiegel hat er nicht, der höckerige Alte, welcher nun seit längerer Zeit schon angelegentlich beschäftigt ist, die Nadel einzufädeln. Es wäre ja weiter keine Kunst, aber das Loch ist nicht zu treffen. Seine Arbeit geht heute überhaupt nicht am besten vonstatten. Anfangs hat er damit auf seinem Strohsack hocken bleiben wollen, bei der Ampel, da kam das Eheweib, um »aufzuräumen«. Hernach hatte er sich zum Ofen gesetzt, der war zwar nicht geheizt, aber ein Ofen war es doch immerhin. Das Eheweib kam mit dem[176] Besen, um auszukehren. Hierauf setzte er sich an die wurmstichige Gewandtruhe, das war der Tisch, um hier seiner Jacke gütlich zu tun. Das Eheweib kam mit einem alten Fetzen, um abzustauben. So setzt er sich endlich aus Fensterlein, wo man freilich nichts sieht, weil es papierene Glasscheiben hat. – Wie das Eheweib ausschaut, soll ich sagen? Ich bitte euch, es ist zu dunkel, man sieht nichts Rechtes. Man hört nur das Kauschen, wie von einem zahnlosen Munde, und man hört das Siffeln und Poltern eines mit Besen und Fetzen wüst umherfahrenden Wesens.

Endlich ist es geglückt, der Faden ist im Ohr. Während die Alte in seiner Nähe umhergeistert und Miene macht, ihn auch an diesem Platze zu bedrohen, hebt er mit seinen dürren Händen die Joppe empor, um zu untersuchen, an welcher Stelle sie noch am allerhilfebedürftigsten sei. Als er so ratlos und blöde auf sie hinstarrt und mit dem Kopfe wackelt, und endlich gegen das Eheweib hinschaut, murmelt er mit einem unterdrückten Seufzer: »Die ist auch einmal schön gewesen!«

»Was sagst?« sticht das Eheweib mit scharfer, spitzer Stimme her.

»He, he, mit meiner Jacken da hab' ich geredet,« antwortet er kichernd: »Die ist auch einmal schön gewesen.«

O du guter, armer, alter Bauernknecht!

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 164-177.
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