So leb' denn wohl, du stilles Haus!

[334] Nun beginnt die Jugend in der Waldheimat allmählich zu verblassen und ich kann schon nicht mehr genau erkennen, was an den trauten Bildern, die noch dämmern, Wirklichkeit gewesen und was Gesicht. Eine Furche ist aber doch noch besonders vorhanden in meiner Erinnerung, eine vom Pfluge des Geschickes hart und tief gezogene Furche – auch über diese beginnt Gras zu wachsen. Heute zurückschauend wundere ich mich, daß es damals nicht noch mehr weh getan hat. Ich erinnere mich eigentlich an keinen Schmerz, nur an die derben Tatsachen, die damals eben wie etwas Selbstverständliches erlebt und ertragen worden waren. über alle schwanken Wege führte sicher die heilige Einfalt. Wenn man einen jener Tage ausruft, wie steht er fremd in der heutigen Welt! –

An diesem einen Tage war der Waldbauer wieder einmal reich gewesen. Auf freier, lustiger Berghöhe oben stand ja sein großer Hof, er stand mit den vielen Holzgebäuden, Haus, Ställen, Schuppen und Gerätehütten da wie ein kleines, enge aneinander geschobenes Alpendorf. Unten im Engtale, am Wiesenhang zwischen Fichtenschachen, stand das Ausgedinghäuslein. Das war das »Ruhstübel« des Waldbauern. Wenn einer alt geworden, den Hof dem Sohn übergeben hatte, so zog er sich in dieses[335] Häuschen zurück, das zwar mit einigem Feld- und Wiesengrund, mit Wald, Stall und Vieh auch ein kleiner Hof war, doch lange nicht so viele Sorgen machte, wie das große, mit seinen Grundstücken den ganzen Berg einhüllende Waldbauerngut, das oft mehr Ungut als Gut gewesen war. Gewöhnlich wurde das dem ältesten Sohn übergeben. War dieser kränklich oder gar einmal ein Krüppel, dann bekam den Hof ein jüngerer Sohn, und zwar der strammste und frischeste; nicht etwa, um ein starkes Geschlecht zu erzielen, sondern um den Burschen von der Militärpflicht freizumachen. Denn ein Grundbesitzer war zu jener Zeit der Wehrpflicht enthoben. Grund und Boden machte frei und eigenständig, während jetzt ein Mensch durch Grund und Boden sich gebunden fühlt und in dieser Wahnvorstellung Heim und Freiheit für Geld verkauft, lieber heute als morgen. Die Fremdlinge kommen, kaufen, kletten sich an und die Einheimischen werden mit ihren Kindern hinausgedrängt aus der Väter heiligem Bereich, oder sie bleiben als Hörige unter den neuen Besitzern. Das ist die Schuld, an der das alte Bauerntum gemeiniglich zugrunde geht. Der Waldbauer ging zwar auch zugrunde, aber nicht an dieser Schuld. Wir müssen uns jetzt an etliche Dinge erinnern, die in diesem Buche schon erzählt worden sind.

Heute also war er wieder einmal sehr reich gewesen. Freilich vorwiegend sorgenreich. Denn er hatte noch die beiden Güter, das große auf der Höhe und das kleine im Engtal zu versorgen. Sein ältester Sohn ging ja erst als halberwachsener Junge neben ihm her. In der Waldheimat sind die halberwachsenen Jungen, selbst wenn sie schon zwanzig Jahre alt wären, noch Kinder. Und ganz[336] kindisch freute ich mich, mit dem Vater hinabgehen zu dürfen zum »Gasthäusel«, wie wir das Ausgeding zu nennen pflegten. Jahrelang hatte der Vater einen alten Zimmermann als »Gast« darin wohnen lassen. Der war gestorben und so gingen wir denn manchmal vom Berge herab, um die kleine Wirtschaft zu versorgen und in dem Gasthäusel zu wohnen. Und das war's. Dieses Wohnen in der kleinen mürfelnden Stube mit den vielen Heiligenbildern im Tischwinkel war köstlich. Und dann das Wasser. Durch die steile Schlucht rauschte ein klares, kaltes Wässerlein herab, das sich vor dem Gasthäusel in einen großen Brunnentrog ergoß, um dann über weißen Sand flach weiter zu rinnen. Solch ein Wasser gab es oben im Hofe nicht. Was ließ sich an diesem Wasser alles machen! Die Rädchen tanzten, die Hämmerlein klopften und in einem eigens gehöhlten Tümpel war sogar eine lebendige Forelle eingesperrt. Mit nackten Händen und Füßen tappte ich in diesem Wasser herum und holte mir aus demselben allemal den prächtigsten Husten, auch Ohrenreißen, Halsweh, Zahnschmerz. Man konnte sich dieser ergiebigen Krankheitsfischerei auch nur hingeben hinter dem Rücken des Vaters, der im Stalle oder in der Scheune beschäftigt war; aber schon in der folgenden Nacht, wenn das Gewimmer anging, kam es an den »Tag«, daß wieder einmal »gewaschelt« worden war.

Doch ich wollte ja von dem Tage erzählen, da der Waldbauer wieder einmal reich gewesen.

Als gegen Abend mein Vater die Tür des Gasthäusels zuschloß, indem er ein Eisenstänglein, das eine bewegliche Zunge hatte, durch das runde Loch in die Wand steckte, mit diesem Schlüssel drinnen dem Holzriegel in[337] die Scharten griff und ihn vorschob, da sagte er: »Unser Herrgott wird's beschützen vor Feuer und Schelm. 's ist derweil alles rechtschaffen gut beieinander.«

Hernach sind wir durch den Waldsteig angestiegen, jeder mit einem vollgeschichteten Futterkorb am Rücken, denn solange unten auf der Wiese das Gras war und oben auf dem Berg die Herde, durfte man niemals »leer« hinausgehen. Dort drüben an der Lehne, zwischen jungem Fichtenanwuchs standen schöne alte Lärchen. Sie standen mit ihren hellgrünen Hauben hoch über alle anderen Bäume hinaus, so daß man sie bequem zählen konnte.

»Siehst du,« sagte mein Vater, »dort sind unsere Schuhe, die Lodenjoppen und das ganze Wintergewand. Das neue Stalldach ist auch dort.«

Das sollte sagen, daß er für den Erlös dieser Lärchen die Kleider anschaffen und das schadhafte Dach ausbessern lassen wolle.

»Ist das Leben-Christi-Buch auch dort?« fragte ich, dieweilen mir halb und halb versprochen war, auf dem Thomaskirchtag in Krieglach würde mir mein großer Wunsch erfüllt werden.

»Ja, Peter, wenn der Eisenbahner die Lärchen gut zahlt, nachher kriegst du auch dein Leben-Christi-Buch.«

Als wir hinauskamen, wo an steilen Lehnen die Felder lagen, stand mein Vater still und blickte wohlgefällig auf die weiten, goldgelben Flächen hin. Das Korn war gut geraten und stand in der Reise. »Morgen heben wir an zu schneiden. Ist wohl Zeit, daß uns der Gott Vater die volle Hand herabhält, dem letzten Mehlschaffel sieht man schon auf den Boden. Da werden wir uns einmal helfen können. In etlichen Tagen will ich den ersten Kornsack[338] in die Mühl' tragen.« Unsere Kornmühle, drei Gänge groß, stand unten im Engtale unweit dem Gasthäusel am gießenden Wasser. – Am Kartoffelacker, zu dem wir auf unserem Heimweg kamen, sahen wir ein Fleckchen aufgewühlter Erde. Mutter hatte die ersten Erdäpfel ausgegraben. Heute abends gibt's ihrer! Das war allemal ein Freudentag, wenn die ersten Erdäpfel im Topfe brodelten. Es hatte Winter gegeben im Waldlande, da Kartoffeln und Kohlkraut fast die einzigen Nahrungsmittel gewesen.

Wir redeten unterwegs wenig, aber keuchten um so mehr in der schwülen Abendluft. Sie war sehr schwül. Wenn die Kost, die wir in den Körben trugen, wenigstens unser, der Menschen, gewesen wäre!

Als wir gegen den Hof kamen, dunkelte es schon. Aus den Küchenfenstern schimmerte der Schein des Herdfeuers. Mein jüngerer Bruder trieb die Herde von der Weide heim. Es waren zwei Ochsen, zwei Kühe und ein Kalb.

»Wenn wir nur wieder zu einem Vieh kommen könnten!« sagte mein Vater. Unsere Ställe konnten leicht an dreißig Stück Rinder fassen und noch ungezählte Schafe, Schweine und Hühner. Aber in den letzten Jahren war es leer geworden. Mißwachs, Seuchen, Gläubiger!

Und dann war mein Vater manchmal ein guter Viehhändler gewesen. Den Ochsen hatte er gegen eine Kuh vertauscht – die gab Milch. Die Kuh gegen ein Kalb – das brauchte weniger Futter und Pflege. Das Kalb gegen ein Ferkel, bas konnte man schlachten und Schweinernes ist vortrefflich zu essen. Es war nicht gerade so wie bei jenem Hans im Glück, aber ähnlich. Mein Vater war nur[339] so lange ein kluger Hauswirt gewesen, als er Glück gehabt hatte. Als er's mit allerlei Mißgeschick zu tun bekam, suchte er für seine innere Zufriedenheit einen anderen Grundstein als den des Wohlstandes. Es war ihm gar nicht mehr viel daran gelegen; bis jedoch immer mehr der Mangel kam, die Bedrängnis, da fragte er: »Wieso denn? Ganz arm werden? Wieso denn?« – Seinem geruhigen Leben merkte man nicht viel an, daß etwas nicht richtig war.

Froh waren wir nach Hause gekommen, hatten unsere Körbe in die Krippen der Kühe geleert und hatten uns zu Tische gesetzt, um Erdäpfel zu essen. Aber die Schüssel war nur halb voll und die Mutter sagte: An den Erdäpfeln würde dies Jahr keine große Freude zu erleben sein, mehr als die Hälfte von denen, die sie zur Probe ausgegraben, seien krank. »Wär' nit schlecht!« antwortete der Vater, »dann müssen wir uns halt aus Kraut halten. Haben zum Glück einen weiten Fleck angebaut.«

»Kraut ist eh gut,« meinte der alte Knecht, unser einäugiger Simon, der mit seinem einzigen Auge immer mehr Gutes an der Welt sah, als andere mit zweien. »Kraut ist etwas Ausgezeichnetes, wenn die rechte Zuspeis' dazu kommt: Speckknödeln und Selchfleisch.«

Unser jüngerer Knecht, der Poldel, war in zweifelhaften Fällen immer witzig, der sagte nun, am besten sei das Kraut, wenn es Hirschfleisch geworden. Er spielte auf das nachbarliche Herrschaftswild an, das uns häufig den Krautgarten kahlgeäset hatte und das man füglich zu Wildbrat machen sollte. Dies Jahr stand im Krautgarten, der oben hinter dem Gehöfte lag, alles gut. Kein Wunder also, daß sich der Waldbauer bei den vielen Sachen an[340] diesem Tage reich vorkam. Aber nur an diesem Tage, am nächsten nicht mehr. –

Als die Nacht vorüber war; hatte der trübdämmernde Morgen keinen einzigen Bewohner des Waldbauernhauses im Bette gefunden. Sie lehnten so in den Winkeln umher. Die Weibsleute hätten noch gern geweint, aber es ging nicht mehr. Der Simon hatte sich eine Pfeife angezündet, aber sie schmeckte nicht. Die Mutter ging verloren umher und verstopfte die eingeschlagenen Fenster mit Lappen. Der Vater schritt ums Haus herum. Die Erde war besäet mit Dachsplittern. Auf den weiten Feldern lag das schwere Eis. Aus dem Engtale stieg langsam ein brauner, brenzeliger Rauch heraus. Als das die Mutter durch ein Fenster sah, rief sie gellend aus: »Das Gasthäusel ist auch hin!«

Ber Vater wußte anderes: »Das Gasthäusel steht, aber in die Mühl' hat's eingeschlagen. Raucht nur mehr die Brandstatt.«

Als es ganz licht geworden war und die Verwüstung offen dalag, sagte der Knecht Poldel: »So schön, jetzt ersparen wir uns die Arbeit.«

»Und das Essen,« setzte der Knecht Simon bei, dann versuchte er es wieder mit der Pfeife; sie begann zu schmecken.

Der Halterbub berichtete: »Das Kraut steht noch!«

Und das war merkwürdig. Wie der Hagel schon mitunter seine schmalen Streifen nimmt: so sehr vom Gehöfte abwärts alles vernichtet war, vom Hause aufwärts war wenig zu spüren; außer daß die Kohlköpfe ihre äußeren Blätter verloren hatten.[341]

Der Vater war den ganzen Tag wortlos herumgegangen, um nach schwerem Arbeitsjahre diese »Ernte« zu betrachten. Am Abende, als wir bei der Milchsuppe saßen, alles schweigsam und verdrossen, sagte er plötzlich mit frischer Stimme: »Verhungern werden wir nit. Wir haben noch die zwei Kühe, wir haben die Sau, wir haben die Erdäpfel und das Kraut. Wir fretten uns durch und nächst Jahr wird's wieder besser sein.«

Die Dienstboten machten dazu saure Gesichter und mochten sich denken, drüben in Fischbach und in Trabach hat's nicht gehagelt. Brauchen auch dort Leute, und müssen nicht erst aufs Besserwerden im nächsten Jahre warten. – Der Vater sagte: »Wie es jetzt ausschaut ums Haus herum, ich brauch' nötig Arbeitsleut'. Aber wer fortgehen will, aufhalten mag ich keinen.«

Der einäugige Simon stemmte den Beinlöffel auf den Tisch: »Ich bin im guten Jahr geblieben und bleib' auch im schlechten.« Und keines sagte etwas vom Fortgehen.

Als die Gläubiger in Fischbach, in Krieglach, in Langenwang gehört, dem Waldbauern hätte der Hagel alles niedergedroschen, trachteten sie nach ihrer Sache. Denn wenn der Hof auf die Gant kommt, hätten sie das Nachsehen. Soll auch im Steueramt viel schuldig sein. Einem schimpfenden Mehlhändler in Mitterdorf, der uns in früheren Mißjahren vor Hungersnot gerettet, hatte mein Vater nun mit dem Kalb den Mund gestopft, wie der Poldel sagte. Der Bader von Fischbach hatte zwei Männer gesandt, um das Paar Ochsen fortzutreiben. Da mußte der Waldbauer lachen. Die Armut ist stärker als der Reichtum, der Armut kann man nichts nehmen. Die[342] Ochsen gehörten nicht ihm, sondern einem Nachbar, der sie »auf Zag und Zucht« hergeliehen hatte. Auch andere der Ärzte begannen zu drängen. Die hatten sich für ihre Medizinen und Krankenbesuche jahrelang vertrösten lassen auf bessere Zeiten, jetzt, da die schlechtesten da waren, streckten sie hart ihre Hände aus. Eine Kuh wurde fortgetrieben und am nächsten Tage das Schwein. Meine Mutter rang buchstäblich mit den Treibern, aber sie wurde an die Wand geschupft. Der Vater hatte den »Räubern«, wie er die amtlichen Pfänderknechte nannte, ein Scheit nachgeschleudert, aber schon während es flog, schrie er zum Himmel, daß es nicht treffe. Dann wurde er nachdenklich. »Mich wird Gott noch ganz verlassen,« sagte er zu mir: »Ich habe keine Geduld im Unglück. Du sollst mir wohl wieder einmal was aus einem geistlichen Buch vorlesen.« Er selber hatte nie einen Buchstaben lesen oder schreiben gelernt. Ich meinte, es wäre halt gut, wenn man jetzt »das Leben-Christi-Buch« hätte.

Eines Morgens, es lag schon Herbstreif auf dem kurzen Grase, kam der Halterbub, der die einzige Kuh auf den Anger geführt hatte und berichtete, beim Kraut wäre der Hirsch gewesen. Am oberen Rand des Gartens seien alle Kohlköpfe zerfressen.

»Das auch noch,« sagte der Vater gelassen.

»Siehst du, Waldbauer!« rief der Knecht Simon, »siehst du, daß der Herrgott noch auf uns denkt. Jetzt schickt er uns Hirschfleisch.«

Darauf der Vater: »Schieß' ihn nur nieder! Nachher wirst auf ein halbes Jahr – du weißt schon, was!«

»Ja, jetzt weiß ich was, schießen wir jedes einen Hirschen nieder und wir sind über den Winter versorgt«[343]

»Ja, mit dem Kotter.«

»Das meine ich. Brauchen nichts zu arbeiten und haben unsere ordentliche Kost. Um die Anbauzeit sind wir wieder da.«

So haben wir das angehende Elend ertragen mit Schalkereien und Kummer.

Als der Winter kam, ließ mein Vater die großen Lärchen fällen, um sie für Eisenbahnschwellen zu verkaufen. Aber auch diese lieben alten Bäume haben sich nicht treu erwiesen. Bis auf nur wenige Stämme waren sie kernfaul und nicht zu verwerten. Mit dem geringen Gelde, das der Vater dafür gelöst hatte, ging er am Thomastage nach Krieglach auf den Markt, um für die derb eingetretene Winterzeit ein paar Kleidungsstücke und einen Sack Bohnen zu kaufen. Und siehe, jetzt hatte er zu meinem geradezu freudigen Schreck auch noch etwas anderes heimgebracht vom Markte. »Da,« sagte der Vater zu mir, als er's aus dem Bündel nahm, »da hast du dein Leben-Christi-Buch, daß du vorlesen kannst; schau nur; daß du gesund wirst.« Ich lag zurzeit im dunkeln Bette, litt an einer Augenentzündung so arg, daß es mir unmöglich war, irgendwelchen Lichtschein zu vertragen oder ein Buch anzusehen. So machte sich gleich an demselben Abend der Jungknecht Poldel über das »Leben Christi« her und begann, so gut es ging, daraus etwas zu lesen. Der Vater hatte sich an den Tisch gesetzt, er dürstete schon nach christlichem Zuspruch. Der Poldel nahm das erstbeste Kapitel, das Buch ist ja auf jeder Seite groß.

»Zur Be – rei – tung von – Trüffel- oder Gänse– leber – Pa – ste – ten –«[344]

»Ah!« sagte mein Vater, »schon ein Gleichnis!«

Der Jungknecht las holpernd weiter: »Nimm Speck – latten, Fasch mit Leber – stücken und Trüffeln, dann dicken Teig aus Roggen – mehl, Eierklar – kommt in ein mäßig erhitztes Kochrohr, zwei bis drei Stunden, dann mit gutem Wein ausgekocht –«

»Das ist kein Leben-Christi-Buch!« schrie ich von meinem Bette aus. Und jetzt erst besah man den Titel: »Kochbuch für deutsche Küche, nebst Ratgeber in häuslichen Dingen, insonderheit um Vorräte aufzubewahren –«

»Au weh zwick!« rief mein Vater schrecklich hell aus, »was hab' ich da heimgebracht?« – Ja, der Irrtum unten auf dem Markt war durch das Gedränge entstanden. Alles kaufte Kalender und da hatte der Büchermann ihm in der Eile das unrichtige Buch in die Hand gegeben. Bezahlt war das »Leben Christi«.

Als meine Augen soweit waren, daß sie Schneelicht vertragen konnten, ging ich mit dem Kochbuch, um den Buchhändler zu suchen. Ich fand ihn in Kindberg, er war sehr froh, als der Mißgriff gut gemacht wurde, schien das Kochbuch mit der Trüffelpastete wesentlich höher zu bewerten als das »Leben Christi«, mit dem ich dann nach Hause eilte. Das war für uns Waldbauernleute das richtige Buch! – Am Christtage habe ich schon zu aller Erbauung daraus vorgelesen. Der Christtag fiel überhaupt nicht so traurig aus, als wir in Ermangelung von Speckklößen und Schweinsbraten erwartet hatten. Meine Mutter leistete auch ohne Kochbuch etwas. Da gab es Erdäpfelsuppe, Erdäpfelbrei, Erdäpfelschmarren, Erdäpfelkrapfen, und wer was Gebratenes haben wollte, für den waren die schönsten »Grundbirnen« in die Glut gelegt[345] worden. Kurz, wir hatten unser Festmahl, waren fröhlich und tranken Brunnenbacher Auslese.

Wenn der Jungknecht an diesem Tage das Wort »Erdäpfelbauer« aufbrachte, so geschah es, weil man die besten Witze stets im Zustande behaglicher Sättigung macht. Die Mutter war froh. Sie dachte, das würden die letzten Weihnachten gewesen sein auf dem Hofe. Die nächsten möchte sie wohl schon im Ausgedinghäusel verleben in Ruhe und größerer Sorglosigkeit. Aufs Ausgedinghäusel hatte sie immer all Trost und Hoffnung gesetzt, wenn Kummer und Mühsal sie überwältigen wollten.

Ter Winter war mit harter Macht gekommen, die Fenster hatten so dicke Eisblumen, daß es ganz dunkel war in der Stube. Im Ofen brüllten fortwährend Scheiter und doch verkrochen wir Kinder uns immer wieder ins Bettstroh, um nicht zu frieren. Der Vater war um diese Zeit viel außer Hause, wie es hieß, beim Bruckmüller draußen, wohl um künftige Mahlvereinbarungen zu machen; da ja unsere Mühle tief unter dem Schnee in Asche lag. Eines Tages kam der Vater gegen seine Gewohnheit erst spät abends heim; er trat fester auf als sonst und hatte ein frisches, unternehmendes Gesicht, so daß die Mutter betroffen dreinschaute. Was wäre denn das, wenn er so anfinge?! Beim Bruckmüller war ein Wirtshaus. – Nein, das war es nicht, getrunken hatte er nicht. Aus Krieglach kam er. Ein großes Paket trug er unter dem Arm. Loden, Joppen und Wollhauben hatte er eingekauft für uns Kinder und ein großes schottisch gestreiftes Umhängetuch für die Mutter. Und Bargeld hatte er in der Brieftasche. Wenn die Mutter erst betroffen[346] gewesen, jetzt, als sie die Sachen und das Geld sah, ere schrak sie. Woher hat er das? Der Altknecht hatte an einem Abend zuvor das Märchen erzählt, wie ein armer Mann für einen Hut voll Geld dem Teufel seine Seele verschrieben. Sie wußte wohl, daß derlei Geschichten nicht wahr sind, aber sie sind ein Gleichnis! –

Meine Geschwister schliefen schon in der Stube, ich noch nicht, ich guckte und hörte, was gesprochen wurde.

»Lenzl, woher hast du's Geld!« fragte sie ihn leise, aber scharf.

»Wirst nit raten,« antwortete der Vater wohlgemut.

»Hast das letzte Restel Wald verkauft?«

»Dafür möcht' ich wohl nit fünf so saubere Bildeln bekommen haben. Schau nur her!« Fünf fast neue Hundertguldenscheine zog er aus der Brieftasche und legte sie vor ihren Augen auf die Bettdecke. »Weißt, Weib, ich hab' mir gedacht, besser das kleine ist weg, als das große. Mit dem großen Haus kann man sich immer noch leichter helfen, wenn wieder bessere Zeiten kommen.«

»Mensch! Lenzl!« sagte sie stockenden Atems, »du wirst doch nit –«

»Tu denkst dir's eh schon. Dem Bruckmüller hab' ich das Gasthäusel verkauft. Es ist abgemacht. Sind heut' beim Gericht gewesen.« Nicht mit ganzer Sicherheit hatte der Vater diese Worte gesagt. Er hatte jetzt doch befürchtet, daß sie arg auffahren würde.

Nein, sie blieb ruhig und schwieg. Sie zog ihr Obergewand aus und legte sich ins Bett. Und war immer noch still. Erst nach Mitternacht begann sie zu schluchzen.

Am nächsten Tage stand die Mutter früh auf, legte ihr Sonntagsgewand an, weckte den Vater und fragte ihn[347] gütig, ob er mitgehen wolle. Sie gehe nach Kindberg zum Gericht. Der Handel mit dem Bruckmüller müsse wieder zurück. Sie habe ihren Ehevertrag gut aufgehoben, darin heiße es, daß sie Miteigentümerin sei von dem ganzen Waldbauerngut und wenn er das Gasthäusel verkaufen wolle, so müsse das auch ihr recht sein.

Er habe das alles bedacht, antwortete der Vater demütig, aber sie würde so wenig wie er die Kinder erfrieren und verhungern lassen wollen. Der Winter währe noch lang und auf Borg habe ihm der Bruckmüller und der Krämer und der Bäcker in Krieglach nichts mehr gegeben.

»Das will ich doch einmal sehen,« sagte sie. »Steh' erst nur auf und geh' mit. Derweil du dich anlegst, koch' ich die Erdäpfelsuppen.«

Als sie hernach auf dem Wege ins Gericht zum Bruckmüllerhause kamen, kehrten sie bei diesem zu. Der Müller saß in seinem dicken Schafhautpelz beim Küchenherd und aß behäbig Kaffee mit Heidensterz. Daneben stand die Müllerin und schürte das Feuer.

»Du wirst schon verzeihen, mein lieber Bruckmüller,« sagte die Waldbäuerin zu ihm. »Ich bin auch noch auf der Welt. Der Handel geht zurück. Mein Mann hat's halt unüberlegt getan, weil's uns just ein bissel zwickt. Und weil ich Mitbesitzerin bin, gehe ich jetzt schnurgerade nach Kindberg zum Gericht, wenn du den Kaufbrief nicht willig hergibst.«

»Da ist er,« antwortete der Müller und zog den Schein aus seiner Brieftasche. »Schau ihn an, ob er's ist und dann zerreiß' ihn, wenn du willst. Unterschrieben ist er eh noch nit. Mir ist nix um euer Gasthäusel, hab's[348] nur kaufen wollen, weil ich gesehen hab', daß ihr Geld braucht.«

Das sprach der Mann ganz ruhig und ohne jede Gereiztheit, so daß die Waldbäuerin sich ein wenig schämte, ihn gleich so scharf angefahren zu haben. Sie sagte nun zu ihrem Manne: »So gib ihm das Geld zurück.«

Recht zögernd langte der Waldbauer in seinen inneren Rocksack. »Das kommt mir wohl sauer an.«

»Ich bin kein Stein,« sprach nun der Müller, dieweilen er mit dem Tischtuch seinen Löffel abwischte. »Wenn's euch gar arg zwickt, so leih' ich euch das Geld gegen fünf von hundert im Jahr.«

»Du bist ein Tor!« rief die Müllerin drein und warf ein paar Scheiter in das Herdfeuer, daß die Funken stoben. »Fünf von hundert, das zahlt jede Sparkasse. Der Waldbauer soll sechs geben!«

»Es ist wahr, ihr könnt mir sechs geben,« entschied der Bruckmüller. So durfte mein Vater diesmal das Geld in der Tasche behalten und die Mutter war wieder Mitbesitzerin des Gasthäusels. Zufrieden gingen sie miteinander heim.

Auf solche Weise war zu den alten Gläubigern ein neuer gekommen, und zwar einer zu sechs Prozent. Als die anderen Gläubiger wahrnahmen, daß der Bruckmüller Zinsen verlangte, taten sie es auch. Zinsen waren bishin im Waldlande etwas Unerhörtes gewesen, nun aber fand der neue Brauch Eingang, und das war das Ende. Das nächste fruchtbare Jahr half nicht mehr viel; was einkam, das holten sich die Gläubiger. Die Dienstboten hatten sich auch allmählich vom »Erdäpfelbauer« abgewendet, denn in der Nachbarschaft gab es bessere Plätze. Nur der[349] alte Simon blieb, der mit seinem einzigen Auge immer noch mehr Gutes sah auf dem Hofe, als andere mit zwei. Er sagte zu einem Kameraden, auf diesem Hofe gehe es zwar arm her, aber verträglich und friedlich – und das sei sein Wohlgefallen.

Wenige Jahre noch und der Frieden im Waldbauernhause war zu groß geworden. Es rührte sich nichts am Hause, als nur die Brennesseln und der Holunderstrauch, wenn der Wind ging. Und es rührte sich nichts im Hause, als etwa ein Spinnengewebe, wenn die Luft durch die Fugen strich.

Die alten Leute hockten notig unten im Gasthäusel mit ihren noch kleineren Kindern. Ein paar der größeren hatten sich in den Dienst fremder Bauernhöfe begeben. Und der Älteste suchte sein Glück in der weiten Welt, also, wie im dritten Bande dieses Buches erzählt worden ist.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 334-350.
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