1253. Vom Marktgschlerf1 zu Wolfratshausen.

[253] Mündlich.


In früherer Zeit war in Wolfratshausen eine Hebamme, die man schon zu ihren Lebzeiten »Gschlerf« nannte. Sie trug nämlich nach[253] damaliger Sitte Pantoffeln mit hohen Absätzen und mit Eisen beschlagen, die sie im Gehen nachschleppte, – »schlärfelte.« –

Einmal soll diese bei der Geburt ein Kind getödtet haben, und dafür muß sie bis heute als Geist auf Erden umgehen. Das Eigenthümliche dieses Gespenstes ist es, daß es sich ungeheuer groß machen kann, gewöhnlich im obern Stock den Leuten zum Fenster hineinschaut und gerne Hausfrauen schreckt, wenn die Männer nicht zu Hause sind. Sonst wird sie beschrieben als eine ärmlich gekleidete Frau in alter Tracht, mit einer schmalverbrämten Pelzhaube, etwas zerzaustem Haare, wollenem Röckchen mit Leibl, und oben erwähnten Pantoffeln, durch deren Geklapper auf dem Pflaster sie sich gewöhnlich ankündigt; indessen wollen sie auch viele wie die Windsbraut sausend durch die Straße des Markts dahin eilen gesehen haben.

Oefters sieht man sie auf einer Bank vor den Häusern sitzen, plötzlich erhebt sie sich, »schlärfelt« durch den Markt, schaut irgendwo im obern Stock zum Fenster hinein, und verschwindet wieder, wenn der Hahn zum erstenmale gekräht hat.

Gutes bedeutet aber ihr Erscheinen nicht; meist tragen sich schlimme Dinge darnach zu.

1

Schlärfeln: schleppend einhergehen, Geschlärf, schleppender Gang, Schlärfel, Schlarpfen abgetretene Schuhe, Pantoffeln.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 253-254.
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