930. Jüngstes Rolandslied.

Von A. Kaufmann. – Der wissenschaftliche Name der Ruländerrebe, die auch als Viliboner (vinum bonum) bekannt ist, lautet rother Clävner von Cläven (Chiavenna), woher sie durch einen Assessor des Reichskammergerichts nach Speier versetzt worden war.


Einst lud im alten Speier –

Warm lag der Sonnenschein –

Zu froher Abendfeier

Ein Mann sich Gäste ein.

Sie saßen in der Laube Zier,

Vom Abendgold umleuchtet,

Und tranken braunes Bier.


Es war kein schlimm Getränke,

Doch heute ging's nicht ein:

»Herr Wirth, wenn ich's bedenke,

Wir tränken besser Wein!

Eur Garten blüht so maienhaft:

Hierhin gehört Liäus,

Nicht Sankt Gambrini Saft!


Müßt's nicht für ungut nehmen,

Verehrter Herr Roland!«

Der drauf: »Ich sollt mich schämen,

So schlimm ist's hier bewandt.

Mein Keller trägt ein Trauerkleid –

Wer führt auch guten Keller,

Geht durch das Land solch Leid.


Und doch, es kann gelingen:

Gebt ihr ein gutes Wort,

Wollt ich ein Tränklein bringen,

Das hier erwuchs am Ort:

In meinem Keller herbergt ja

Ein wunderseltsam Fäßlein –

Hört, wie's damit geschah:


Kurz nach dem Schreckenstage,

Der unsre Herrlichkeit

Geknickt mit einem Schlage,

Ging ich das Herz voll Leid,

Und sah mir die Zerstörung an

Und flucht' in tiefster Seele

Dem fränkischen Tyrann.


Die Stadt, drin Kaiser ruhten,

Was war sie? Trümmerhauf!

Noch rannten Feuersgluten

Die Gassen ab und auf.

An diesem Platze war's ringsrum

Vor Allem traurig, schaurig,

Vor Allem öd' und stumm.


Sein Eigner war gestorben,

Vom Sohn für g'ringes Geld

Hab ich den Raum erworben,

Dies Haus dann hingestellt.

Als ich den Garten umschuf, fand

Ich drin zwölf Rebenstöcke,

Fruchtschwer trotz Schutt und Brand.


Die Reben ließ ich stehen,

Die Trauben preßt' ich ein,

Und heute will ich sehen,

Ob wohl ein guter Wein

Aus Blut und Brand erwachsen kann?

Kommt mit hinab zum Keller –

Mein Fäßlein stech ich an.«
[1]

Neugierig stieg zur Tiefe

Das plaudernde Gelag,

Der Wein, als ob er schliefe,

Im braunen Röcklein lag;

Doch als er in die Becher floß,

Weiß Gott, daß er erwachte,

Der schäumende Genoß!


Welch wundersames Düften

Dem Fäßlein sich entrang!

Hell klang's in allen Lüften –

Der Geist des Weines schwang

Erlöst sich aus der langen Haft,

Mit jauchzendem Entzücken,

Mit voller Jugendkraft.


Und Glas auf Gläslein leerten

Die Gäste, Krug auf Krug,

Die Weiblein selbst begehrten

Trinkmuthig Zug auf Zug;

Des Kellers alt Gemäuer scholl

Vom fröhlichsten Gesange,

Der toll und toller schwoll.


Da sang der alte Paster:

»Ihr Herren, betrunken sein,

Von heut an ist's kein Laster,

Gießt brav in euch hinein!

Ich absolvir' euch ungehört,

Wenn ihr nach Hause taumelt

Und brave Bürger stört.«


»O di sub alto throno,«

So schrie der Schulmonarch,

»Quam hoc est vino bono!

Den trink ich bis zum Sarg,

Den trink ich, bis am Höllenthor

Mich Cerberus empfänget;

Ich steig' ihm Einen vor.«


Ein Dritter sang: »Roländer,

Wir haben dich erprobt

Als rechten Unmuthwender!

Fortan sei hochgelobt!

Ich wollte, voll von diesem Wein

Hätt' ich Sankt Otmars Fläschchen1

Wie fröhlich wollt ich sein!«


Es jauchzten selbst die Frauen,

Froh lauschte Herr Roland:

»Dich, Reblein, will ich bauen,

Erblüht in Schutt und Brand!

Es ist aus Tod und Graus und Nacht

Viel Herrliches entsprossen:

Der Trank und seine Pracht!


Getreu will ich dich pflegen,

Du mehrest mir das Haus,

Dich sucht man allerwegen –

Klar seh ich es voraus:

Ich bin, wenn nur ein Jahr verrollt,

Der reichste Mann in Speier,

Dem Alles schatzt und zollt!


Es wuchs aus schlimmstem Sterne

Mir ungeahntes Glück,

Und doch, wie gern, wie gerne

Gäb' Alles ich zurück,

Ständ noch die hochberühmte Stadt,

Ständ noch das alte Speier,

Wie's einst gestanden hat!«

1

Sankt Otmars Fläschlein hatte die Eigenschaft, daß es nie leer wurde.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 1-2,9-10.
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