635. Die zerbrochene Säule zu Nürnberg.

[185] Von Jakob Schnerr. – S. Lochner (das Königr. Bayern. München 1846. II., 274.) Die Kapelle vermuthlich aus Barbarossa's Zeit.


Zu Nürnberg, auf der Kaiserburg,

Ist eine Kapelle zu schauen,

Gar wohl erhalten aus grauer Zeit,

Dran half der Gott sei bei uns bauen.


Zwar hat der dort nicht Steine behau'n,

Und auch nicht den Mörtel getragen,

Doch ließ er sich mit dem Pfaffen ein,

Und thät eine Wett' mit ihm wagen.


Vier schlanke Säulen von Marmorstein,

Im Ganzen war jede gehauen,

– Wer zweifelt, der kann noch heut zu Tag

Sie dort in dem Kirchlein schauen, –


Die lagen, für's Kirchlein, in Rom bereit;

Drum sann man vor allen Dingen,

Wie etwa von dorten um billiges Geld

Sie wären gen Nürnberg zu bringen.
[185]

Wie damals nun der höllische Fürst

Auf Seelenraub oft ausgegangen,

So trug denn nach einer Pfaffenseel'

Er doppelt und dreifach Verlangen.


Ihm däucht's ein winziges Werk zu sein

Von Rom her die Säulen zu bringen;

Drum trat er gar keck vor den Pfaffen hin,

Und ließ von diesem sich dingen.


Der Priester wollte sein eigen sein,

Mit Seel' und mit leiblichem Wesen,

Wofern er die Säulen gen Nürnberg brächt',

Bevor er die Messe gelesen.


Und topp! Im Hui nun brauset er fort;

Im Nu war eine zur Stelle.

So bringt er die Zweite, die Dritte her,

Schier gar mit Gedankenschnelle.


Der Pfaff indessen las auch nicht faul,

Aus Furcht vor den höllischen Flammen

Und listiglich, weil es ihm ernstlich droht,

Nimmt Anfang und End' er zusammen.


Wie nun der schwarze die Vierte bringt

Heran auf den luftigen Wegen,

So tönet ihm aus der Ferne schon

Das: »Missa est« gellend entgegen.


Da warf die Bürde der Höllengott

Zu Boden mit bitterem Grollen.

Da lag die herrliche Säule nun

Vom Fall in Stücke zerschollen. –


Wohl hat der Priester nicht redlich gethan

Das, was er dem Teufel versprochen,

Doch hat auch der Satan gar übereilt

So Säule als Wette gebrochen. –


Und weil der Arme durch Pfaffenlist

Sich so übertölpelt gefunden

Ist er beschämt zur selbigen Frist,

Will's Gott, auf ewig, verschwunden.


Noch ist die Säule im Kirchlein dort

Zusammengestückelt zu schauen

Desgleichen des Pfaffen Angesicht,

Hohnlachend, in Stein gehauen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 185-186.
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